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Ferrari-Krise: Arrivabenes Problem ist Sergio Marchionne

Ein Drink mit Eddie Irvine, Folge 15: Warum Ferrari besser italienisch ist als erfolgreich und was die heutige Scuderia mit Manchester United gemeinsam hat

(Motorsport-Total.com) - Seit Singapur 2015 wartet Ferrari in der Formel 1 auf einen Sieg, eine Pole-Position oder einen Start aus der ersten Reihe, weswegen besonders die italienischen Medien langsam die Nerven verlieren. Wer die Situation etwas genauer beobachtet, fühlt sich an die frühen 1990er-Jahre erinnert: Bei der Scuderia regieren die Italiener - und die arbeiten manchmal mehr mit dem Herz als mit dem Kopf.

Titel-Bild zur News: Eddie Irvine

Eddie Irvine: Ferrari ist besser weiterhin erfolglos als nicht mehr italienisch Zoom

Alles nur ein Klischee? Eddie Irvine findet nicht: "Die italienische Arbeitsweise ist nicht ideal", erklärt er in der neuesten Folge unserer Video-Interviewserie "Ein Drink mit Eddie Irvine", die jetzt im Videobereich unserer Portale sowie auf YouTube und Facebook verfügbar ist. "Es ist eine erstaunliche, eine wunderschöne Arbeitsweise, sehr unterhaltsam. Aber die deutsch-angelsächsische Mentalität ist vielleicht besser. Todt hat das erkannt und sie zu Ferrari gebracht."

Umgekehrt hat ein italienisches Ferrari-Team auch seine charmanten Seiten. Während des Todt-Regimes wurde sehr viel Wert auf Disziplin und Professionalität gelegt; dabei sind es gerade Szenen wie ein weinender Mechaniker oder ein heulender Renningenieur am Boxenfunk, die das ausmachen, was Ferrari für viele Fans ist. Das haben nüchterne Vollprofis wie Jean Todt und Ross Brawn nicht immer repräsentiert.

Selbst Teil des Aufbaus in den Todt-Jahren

Irvine, der als Teamkollege von Michael Schumacher zwischen 1996 und 1999 selbst ein Bestandteil der Aufbaujahre des späteren "Dreamteams" war, sieht das genauso: "Ich sehe die Jahre, in denen Michael all die Weltmeisterschaften gewonnen hat: deutscher Fahrer, britischer Technikchef, südafrikanischer Designer, französischer Chef. Da frage ich mich: Ist das wirklich Ferrari? Der Purist in mir sagt nein."

Heute sind die Schlüsselpositionen wieder mit Italienern besetzt. Ganz oben steht Ferrari-Präsident Sergio Marchionne. Der ist zwar mit 14 nach Kanada ausgewandert, hat aber italienische Wurzeln. Teamchef ist Maurizio Arrivabene. "Maurizio", sagt Irvine, "ist so italienisch, wie ein Italiener nur sein kann." Simone Resta baut als Chefdesigner das Auto und tritt damit in die Fußstapfen von Rory Byrne. Und Mattia Binotto macht den Job, den einst Ross Brawn innehatte.

"Mattia war früher mein Ingenieur", erinnert sich Irvine. "Ein sehr cleverer Junge, sehr methodisch und vernünftig. Ich bin gespannt, welchen Unterschied er bewirken kann. Ich mag ihn sehr." Allerdings gibt es auch Kritik an Binotto, weil er noch nie den Bau eines kompletten Formel-1-Autos verantwortet hat. Gerüchten zufolge soll er nur eine Übergangslösung sein und bald abgelöst werden. Zum Beispiel durch Paddy Lowe oder James Key.

Irvine: Ferrari ist wie Manchester United

Irvine strapaziert in diesem Kontext den Vergleich zum Fußball. Die Mannschaft von Manchester United begeistere viel mehr Fans als jene von Manchester City. Das eine Konzept ist, an Tradition festzuhalten und etwas Eigenes aufzubauen; das andere zielt einfach darauf ab, auf der ganzen Welt alles zusammenzukaufen, was gut sein könnte. Oder, wie Irvine sagt: "City gewinnt, aber interessiert das wirklich jemanden?"

Ferrari versuche, "ein italienisches Team aufzubauen. Wenn sie es nicht schaffen, schaffen sie es eben nicht. Aber dann haben sie es wenigstens versucht!" Zumal Irvine glaubt: Selbst Todt würde bei einer Rückkehr "fünf, sechs, sieben Jahre brauchen", um Ferrari wieder auf Vordermann zu bringen. Und ein Comeback von Brawn könnte zwar helfen, "aber ich bezweifle, ob das ausreichen würde. Die Formel 1 ist kein Teilzeitjob."

Arrivabene nimmt Irvine jedenfalls in Schutz: "Der Druck, dem er ausgesetzt ist, ist unglaublich. Und eines der Probleme, das er hat, ist: Marchionne ist kein Racing-, sondern ein Marketing- und Finanzmensch. Aber der Rennsport ist ein anderes Spiel. Marchionne erwartet viel, und er erwartet es zu schnell." Bereits in seinem allerersten Interview habe Marchionne "naiv" auf ihn gewirkt, findet der Beinahe-Formel-1-Weltmeister von 1999.

Daher steht für ihn fest: "Ferrari sollte italienisch bleiben." Zur Not auch ohne Erfolg...