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  • 30.10.2016 02:36

  • von Dieter Rencken & Daniel Halder

Alexander Wurz: Rosberg konzentriert sich zu viel auf Hamilton

Auch in Mexiko steht Nico Rosberg bislang in Hamiltons Schatten, Experte Alexander Wurz findet ihn "zu passiv" - Kommt er mit der Rolle des Gejagten nicht zurecht?

(Motorsport-Total.com) - Schwächelt Nico Rosberg auf der Zielgeraden der Formel-1-Weltmeisterschaft 2016? Nachdem er schon in der Vorwoche beim Großen Preis der USA in Austin kein Land gegen den souveränen Sieger Lewis Hamilton sah, steht er auch an diesem Wochenende in Mexiko bisher klar im Schatten seines Teamkollegen. Erst mit einem Kraftakt in letzter Sekunde rettete sich Rosberg im Qualifying in die erste Startreihe und verhinderte, dass die Red-Bull-Piloten seine WM-Ambitionen noch mehr gefährden.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Nico Rosberg

Nico Rosberg musste nach dem Mexiko-Qualifying seinem Rivalen gratulieren Zoom

Wirkte der Deutsche bei seinen souveränen Rennsiegen in Singapur und Suzuka wie auf Wolke sieben schwebend, scheint das Pendel aktuell wieder in Hamiltons Richtung zu schwingen. Vor dem drittletzten Rennen hat der Brite 26 Punkte Rückstand aufzuholen - und während sich Hamilton in der Rolle des Jägers aufreizend angriffslustig zeigt, scheint Rosberg zunehmend in die Defensive zu geraten. Das hat auch TV-Experte Alexander Wurz beobachtet. Im 'ORF' stellt der Ex-Pilot fest: "Im Kopf von Rosberg sehe ich ganz klar den Schwenk von 'Ich schaue nur auf mich' auf die Haltung 'Oh, jetzt bin ich in Führung, nun muss ich die verteidigen.' Das ist gefährlich."

Wurz will das vermeintliche Umdenken des Deutschen schon bei Start in Austin erkannt haben. Dort positionierte der WM-Führende seinen Silberpfeil in der Startaufstellung mit der Nase des Boliden eindeutig in Hamiltons Richtung und verlor anschließend das Duell in der ersten Kurve nicht nur gegen seinen Teamkollegen, sondern auch gegen Red-Bull-Star Daniel Ricciardo. "Das ist für mich ein klares Zeichen, dass er mehr ans Verteidigen und in Richtung Hamilton denkt, denn an sich selbst und ans Angreifen. So hat er im letzten Jahr schon die WM verloren", schwant Wurz Böses.

Von Hamilton abgehängt: Ist Rosberg zu passiv?

Wurz Aussagen sind brisant, hatte Rosberg doch als Schlüssel zu seinem diesjährigen Erfolg stets ausgemacht, dass es ihm nun gelänge, nur von Rennen zu Rennen zu denken und alles andere wie den WM-Stand auszublenden. "Das spielt sich alles im Kopf ab", führt der Österreicher fort. "Du gehst das ganze Wochenende anders an, bereitest dich dann eher aufs Rennen vor, weil du denkst, dass du hier gut sein musst", sieht er eine zu passive Herangehensweise des WM-Leaders. "So etwas schüttelst du dann auch nicht mehr ab, vor allem, weil dich die Medien auch noch in jeder Minute darauf ansprechen."

Alexander Wurz

Alexander Wurz will bei Nico Rosberg erste Anzeichen von Nervosität erkannt haben Zoom

Tatsächlich wird Rosberg schon das ganze Mexiko-Wochenende von Journalisten nach seinem mentalen Befinden gefragt. Einige wollen sogar erkannt haben, dass der Deutsche über die Maßen nervös ist, weil er im Freien Training und im Qualifying überdurchschnittlich viel via Teamfunk mit der Mercedes-Box kommunizierte. "Alles ganz normal", wiegelt der 31-Jährige ab. "Du musst dich hier ständig umschauen und umhören, um die perfekte Position für eine schnelle Runde zu finden."

Rosberg betont: "Es ist alles ganz normal"

Der WM-Führende kann gar nicht oft genug betonen, dass eigentlich alles ganz normal und wie immer sei. Nein, im Qualifying sei er nicht besonders unter Druck gewesen, weil er zuvor nicht mit seinem W07 zurechtkam und Ferrari und speziell Red Bull Druck machten. "Es war nicht anders als sonst. In Q3 muss halt alles sitzen - da ist immer eine Anspannung dabei. Ich habe mich aber wohl gefühlt, weil es immer besser lief und auch das Auto immer besser wurde. Ich hatte immer das Gefühl, das ich noch da hinkommen werde", will der Deutsche Optimismus vermitteln.

Und nein, es würde ihn auch nicht nervös machen, dass beim Start am Sonntagabend hinter ihm die Red-Bull-Piloten mit Supersoft-Reifen lauern. In Austin hatte Ricciardo Rosberg auf der weicheren Mischung kassiert. "Ich bin überhaupt nicht besorgt. Ich hatte einen guten Start in Austin. Der war auf den Soft-Pirellis genauso gut wie der Start der Jungs auf Supersoft. Außerdem ist es hier ein langer Weg bis zur ersten Kurve. Außerdem ist es eine lange Gerade bis zur ersten Kurve. Das sollte ein Vorteil für den Zweiten sein mit dem Windschatten", hofft der WM-Leader.

Mexiko-Sieg noch immer im Visier

Trotz der deutlichen Packung, die ihm Hamilton in Q1, Q2 und in den Freien Trainings mitgegeben hatte, denkt Rosberg weiter an den Rennsieg und will auf Angriff fahren. "Ich will versuchen, den ersten Platz zu erobern. In Sachen Risiko gibt es überhaupt keinen Unterschied zu früheren Rennen. Ich gehe auf den Sieg und werde dementsprechend Risiken eingehen", behauptet der Wiesbadener. Im Idealfall will er Pole-Setter Hamilton schon auf der rund 900 Meter langen Geraden bis zur ersten Kurve schnappen. Dass er im bisherigen Verlauf des Wochenendes mit seinen Startübungen haderte, weil die Kupplung nicht richtig biss, soll am Sonntagabend keine Rolle mehr spielen.

Während Rosberg also Normalität betont und sich auffallend zuversichtlich gibt, legt Rivale Hamilton im Psycho-Duell um den WM-Titel eine fast schon aufreizend gute Laune an den Tag. "Ich hatte einen großen Vorsprung zu Nico in den Longruns. Ich plane nicht, hier Zweiter zu werden", gibt sich der Dreifach-Champion selbstbewusst. Fast beiläufig erwähnt er, dass es bei Rosberg erst besser lief, als der seine Abstimmung kopierte.

"In Sachen Risiko gibt es überhaupt keinen Unterschied zu früheren Rennen. Ich gehe auf den Sieg und werde dementsprechend Risiken eingehen." Nico Rosberg

Und auch sein Sorgenkind Start bereite ihm kein Kopfzerbrechen mehr: "Ich fühle mich in dem ganzen Prozess jetzt viel besser. Wir haben hart daran gearbeitet und ich wünschte, es hätte schon früher besser geklappt, aber jetzt ist es okay", verschwendet Hamilton keinen Gedanken an einen Positionsverlust.

Wurz: "Nico hat noch einen weiten Weg vor sich"

Zwischen vier und fünf Zehntel nahm er seinem Teamkollegen - mit Ausnahme von Q3 - in allen bisherigen Sessions ab, dazu hat er noch einen frischen Soft-Reifensatz mehr für das Rennen zur Verfügung als sein Gegner im eigenen Team. Alles läuft für den Sonntag also auf Hamilton hinaus - auch wenn Wurz erkannt haben will, dass der Brite nach dem Qualifying etwas geknickt gewirkt habe. "Er hat insgeheim sicher gehofft, dass die Red Bulls zwischen ihn und Rosberg kommen. Deshalb wirkte er etwas betrübt. Aber Nico hat noch einen weiten Weg vor sich. Auch in den Longruns am Freitag hatte er einen großen Rückstand", sieht Wurz die Trümpfe für Mexiko beim Engländer.

Nicht viel spricht also dafür, dass der Deutsche bereits am Sonntagabend im Autódromo Hermanos Rodríguez seinen allerersten WM-Titel feiern darf. Sollte es ihm gelingen, dass sich keiner der beiden Red-Bull-Piloten auf dem Podest zwischen die Mercedes-Fahrer drängt, hätte er aber ein weiteres wichtiges Etappenziel erreicht. Teamchef Toto Wolff traut seinem WM-Leader den ganz große Wurf trotz Hamiltons Stärke weiterhin zu: "Er hat die ganze Saison Punkte geholt, als es darauf ankam. Er ist cool geblieben und hat von Rennen zu Rennen geschaut. Er ist jetzt ein Anwärter auf den Titel. Wer auch immer es am Ende macht, ist ein verdienter Weltmeister", so Wolff abschließend.