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  • 22.09.2016 11:56

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Gary Anderson: Warum Mercedes in Singapur Glück hatte

Einige haben das Glück in Singapur arg strapaziert: Neben Mercedes waren das vor allem Vorfälle mit gelben Flaggen und rennenden Marshalls

(Motorsport-Total.com) - Bis 15 Runden vor Schluss war der Grand Prix von Singapur kein großartiges Rennen. Aber dann überschlugen sich aus heiterem Himmel die Ereignisse und man musste bis zum Ende dranbleiben, um zu erfahren, wie es ausgeht. Wäre es nicht toll, wenn das die Norm und nicht die Ausnahme wäre?

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Nico Rosberg hätte in Singapur ein entspannteres Rennen haben können Zoom

Ich muss zugeben, dass ich etwas sprachlos war, als wir in der achten Runde Nico Rosbergs Ingenieur hörten, der meinte, dass er auf seine Bremsen aufpassen müsste und es sich um ein sehr ernstes Problem handle. Wirklich verwirrt war ich, als man das gleiche Lewis Hamilton in Runde 9 mitteilte. Warum geht ein Team, das so einen Vorteil hat, so sehr ans Limit?

Die vorderen Bremsbelüftungen eines Formel-1-Autos sind sehr heikel für die allgemeine aerodynamische Leistung des Autos. Jedes Team bemüht sich um den maximalen Abtrieb, aber dafür kann man nicht alle anderen Aspekte außer Acht lassen.

Ganz grob hätte Mercedes wahrscheinlich die Kühlung der Vorderbremsen um zehn Prozent verbessern können und dafür nur ein Prozent Abtrieb hergeschenkt. Dieses eine Prozent hätte pro Runde ungefähr eine Zehntelsekunde ausgemacht. In Anbetracht der Tatsache, dass sie die Pole mit einem Vorsprung von mehr als einer halben Sekunde geholt haben, hätte ihnen die um zehn Prozent verbesserte Kühlung der Vorderbremsen einfach nur ein entspannteres Rennen erlaubt.

Man stelle sich vor, Daniel Ricciardo hätte Rosberg beim Start überholt und der Mercedes-Pilot hätte dem Red Bull folgen müssen. Die Mercedes-Bremsen hätten sich nicht sonderlich darüber gefreut, und das hätte Red Bull in die Hände spielen können.


Fotostrecke: GP Singapur, Highlights 2016

Wir haben gehört, dass sich Hamilton sehr über sein unter dem Bremsproblem leidendes Tempo beschwert hat und seinen Ingenieur um eine Wunderstrategie gebeten hat. Es tut mir leid, aber so läuft das nicht. Seit der Sommerpause scheint Hamilton neben der Spur zu sein. In Singapur sah er nie so aus, als hätte er Rosberg das Wasser reichen können. Ja, er hat etwas Trainingszeit verloren, aber damit sollten er und das Team dank ihrer Erfahrung eigentlich klarkommen.

Er muss sich genau ansehen, warum das Tempo fehlte, sonst sichert sich Rosberg alle Punkte. Und wir haben in der Vergangenheit bereits gesehen, dass Lewis mit solchen Situation nicht gerade gut klarkommt.

Richtige Strategie: Red Bull bald im Vorteil?

Was die Strategie angeht, zeigte Singapur ein verschwommenes Bild. Die Boxengasse erinnerte wegen des regen Betriebs an einen Drive-In an einem hektischen Nachmittag. Ich war überrascht, wie viel Rundenzeit man mit einem Undercut gutmachen konnte, aber als den Teams das bewusst wurde, nutzten sie es zu ihrem Vorteil. Das hat die letzten 15 Rennrunden äußerst spannend gemacht. Auch das Reglement mit den drei Reifenmischungen leistete dafür seinen Beitrag. Wenn man das gut hinbekommt, kann das ganz rasch über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Wenn wir einen kleinen Ausblick auf 2017 und das neue Aerodynamikreglement wagen, dann könnte es sich durchaus auszahlen, ein bisschen Geld auf Red Bull zu setzen. Adrian Newey scheint sein Interesse an der Formel 1 wiedergefunden zu haben, was an der Herausforderung des neuen Reglements liegt. Außerdem sieht es so aus, als hätte Renault die Lücke zu Mercedes und Ferrari geschlossen.

Daniel Ricciardo

Vorteil gegenüber Mercedes: Red Bull macht taktisch vieles richtig Zoom

Wenn man dann noch das Tempo von Ricciardo und Max Verstappen und ihren Willen, als Team zu arbeiten, bedenkt, dann fehlen nicht mehr viele Puzzleteile, zumal Red Bull bei der Strategie gerne eigene Wege geht. Und trotz all der Erfolge trifft Mercedes immer noch Entscheidungen - wie bei den Bremsen -, über die man sich wundern muss. In einem direkten Duell mit Red Bull könnte solch eine Schwäche über Sieg und Niederlage entscheiden.

Wenn wir schon über Verstappen reden: Auf seinen Kampf gegen Daniil Kwjat habe ich mich gefreut, seit Kwjat von Red Bull Racing vor die Türe gesetzt wurde. Ich finde es gut, dass die Red-Bull-Leitung es den Fahrern erlaubte, das untereinander auszumachen. Beide haben dabei große Reife gezeigt, was man glaube ich erwarten darf. Es war aber schön zu sehen, dass Verstappen im Duell mit seinen eigenen Waffen bekämpft wurde.

Mangelnder Respekt vor Flaggen

Was wir viel zu häufig sehen, ist mangelnder Respekt der Fahrer vor gelben Flaggen. Irgendetwas muss passieren, oder es wird einen ernsthaften Zwischenfall geben. Fast zwei Jahre ist der Unfall von Jules Bianchi nun her, und wir brauchen nicht so bald eine Wiederholung davon. Zudem sieht die Formel 1 aufgrund fehlender Konstanz amateurhaft aus. Die Elektronik sollte dieses Problem beheben, trotzdem liegt es weiterhin an den Fahrern zu entscheiden, was für die Situation gut genug ist.

In Singapur hat es Sergio Perez auf Kosten von Valtteri Bottas in Q3 geschafft. Einer von ihnen hat die gelben Flaggen respektiert, der andere nicht. Obwohl Perez eine Grid-Strafe von acht Startplätzen bekommen hat, zeigt es trotzdem die mögliche Belohnung für das Risiko. In Singapur ist es für einen Fahrer schwierig zu wissen, was vor einem liegt, von daher ist das Beachten der Flaggen auf so einem Kurs wichtig.

Perez hat das Falsche getan, als er so wenig wie möglich Zeit verlieren wollte, aber trotzdem gezeigt hat, dass er verlangsamt hat. Aber er hat Recht damit, dass die Regeln und deren Anwendung ihn dazu bewogen haben. Für einen Fahrer am Limit fühlt sich das Verlangsamen um ein paar Prozent wie Spaziertempo an. Aber ist es auch genug, um sicher zu sein?


Mercedes: Der strategische Singapur-Grand-Prix

Warum kam Lewis Hamilton noch einmal rein? Warum reagierte Ferrari? Was war Daniel Riccardos Ziel? Und warum reagierte Rosberg nicht? Weitere Formel-1-Videos

Kurzfristig gibt es viele einfache Wege, um dieses Problem zu lösen. Wenn sich ein Fahrer in einer Zone mit doppelt geschwenkten gelben Flaggen befindet, dann sollte diese Rundenzeit sofort gelöscht werden. Damit muss man die Grenzen nicht mehr ausreizen. Ich weiß, dass es schwierig ist, wenn sich die Bedingungen dramatisch ändern, aber so was gleicht sich im Laufe der Saison normalerweise wieder aus.

Rennender Marshall sorgt für Gefahr

Zu dem Marshall, der während des Rennens auf der Strecke war und versucht hat, Usain Bolts 100-Meter-Weltrekord zu brechen, bevor Nico Rosberg ankommt: Das sollte nicht passieren und muss ernsthaft angeschaut werden, da die Konsequenzen katastrophal sein könnten. Wir haben in den vergangenen Jahren ähnliche Vorfälle erlebt, aber das darf nicht weiter vorkommen, da irgendwann irgendetwas schiefgehen wird.

Das heißt nicht unbedingt, dass der Marshall schuld daran war. Es hört sich so an, als wurde ihm aufgetragen, das zu tun, was er getan hat, aber die Abläufe sollten definitiv kontrolliert werden, um eine Wiederholung zu verhindern.

Nico Rosberg

Der Streckenposten rannte am Wochenende um sein Leben Zoom

In Q3 war die die Boxengasse wie die Hyde Park Corner am Freitagnachmittag. Verstappen beschwerte sich über Funk, dass seine Outlap beeinträchtigt wurde und eine richtige Reifenvorbereitung unmöglich gemacht hat. Warum wartet man also nicht und geht 20 Sekunden - oder wie auch immer die Outlap-Zeit ist plus ein paar Sekunden - raus, bevor das erste Auto nach seiner Warm-Up-Runde zurückkommt? Auf diese Weise hätte man die freieste mögliche Strecke. Kimi Räikkönen hat das in beiden seiner Q3-Versuche gemacht. Also tut Ferrari zumindest manchmal die richtigen Dinge.

Am Samstagnachmittag haben einige Fahrer zudem eine andere Strategie gewählt und sind in Q2 mit anderen Reifen herausgefahren. Ricciardo und Verstappen haben Supersofts statt Ultrasofts genutzt und mussten das Rennen auf diesen Reifen beginnen. Weil das häufiger passiert, ist es umso wichtiger zu zeigen, auf welchen Reifen die Fahrer ihre Rundenzeit gefahren haben. Das würde dem Zuschauer viel mehr Verständnis von den Vorgängen geben. Ich verstehe nicht, wieso das nicht gemacht wird.

Die Informationen sind alle da, von daher ist es einfach nur die Anzeige-Software, die einen Ruck braucht. Es kann noch so viel mehr getan werden, um den Zuschauern das zu geben, was sie brauchen. Vielleicht ist das etwas, worüber Liberty Media nachdenken sollte.