• 09.08.2016 13:12

  • von Dominik Sharaf

Kaltenborns Appell an die Formel 1: "Müssen etwas ändern!"

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn spricht über die Folgen des Longbow-Deals, über Bernie Ecclestones Geldverteilung und fordert, dass Traditionsstrecken bleiben

(Motorsport-Total.com) - Monisha Kaltenborn hat einige schlaflose Monate hinter sich. Lange Zeit war die Zukunft des finanziell angeschlagenen Sauber-Teams im Argen, bevor man vor wenigen Tagen die neue Partnerschaft mit Investor Longbow Finance bekanntgeben konnte. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht die Teamchefin über die Auswirkungen des neuen Deals, warum die Formel 1 bei der Investorensuche ein Hindernis ist und warum sie weiter gegen Kundenautos kämpft.

Titel-Bild zur News: Monisha Kaltenborn

Monisha Kaltenborn kann nach dem jüngsten Sauber-Deal wieder lachen Zoom

Frage: "Frau Kaltenborn, wie schwierig war es für Sie persönlich, in den vergangenen Wochen um die Zukunft des Teams kämpfen zu müssen?"
Monisha Kaltenborn: "Es war eine sehr große Belastung, weil der Standort in Hinwil und auch die ganzen Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Wir sprechen immerhin von mehr als 350 Arbeitsplätzen, die es zu sichern galt. Diese sind nun alle abgesichert, wie auch der Standort in Hinwil."

Frage: "Gab es nur Gespräche mit Longbow oder haben Sie parallel mit mehreren Unternehmen gesprochen?"
Kaltenborn: "Es gab viele Gespräche, aber schlussendlich haben Longbow und wir uns gefunden."

Frage: "Es gab auch eine Zeit lang Gerüchte um einen Einstieg von Alfa Romeo. Was war da rückblickend betrachtet an der Sache dran?"
Kaltenborn: "Das weiß ich nicht. Ich habe die Gerüchte nicht gestreut, noch kommentiere ich Spekulationen. Sie müssen die fragen, die die Gerüchte in Umlauf gebracht haben."

Alfa Romeo, Logo

Der Einstieg von Alfa Romeo geisterte jüngst durch die Medien Zoom

Frage: "Bislang haben Sie wenig über Longbow kommuniziert. Warum sind Sie so zurückhaltend?"
Kaltenborn: "Es gibt auch nicht mehr zu sagen. Ich glaube, dass man diese Branche genauso ansehen sollte wie andere Branchen. Es gibt einen Deal, und es wird das gesagt, was die Parteien möchten - und das ist es. Zu mehr sind wir auch nicht verpflichtet. Im Vordergrund sollte stehen, dass die Marke dem Motorsport erhalten bleibt und dass es in dieser schwierigen Zeit trotzdem eine neue Partei gibt, die hier investiert, die ein Team stabilisieren und das Unternehmen stärken wird und die im Engineering-Bereich weiter wachsen möchte. Das ist das Wesentliche."

Überzeugt vom Sprung nach vorn

Frage: "Wann erwarten Sie durch die neuen Besitzverhältnisse eine Änderung am operativen Geschäft bei Sauber?"
Kaltenborn: "Das gibt es schon. Wir haben bereits angefangen, das Unternehmen zu stabilisieren. Wir werden jetzt noch an der Strecke ein paar Dinge umsetzen, die wir in erster Linie aus finanziellen Gründen nicht umsetzen konnten. Aber wie alle anderen Teams sind wir bereits am nächstjährigen Auto dran, und ich bin überzeugt, dass wir den Sprung nach vorne wieder machen werden."

Frage: "Glauben Sie, dass sich die Philosophie bei Sauber verändern könnte?"
Kaltenborn: "Es muss sich immer etwas ändern, weil man sich immer der Situation anpassen muss. Es ist auch wichtig, dass das Unternehmen weiter wächst. Wir sind als Unternehmen jetzt seit 46 Jahren im Motorsport, und da hat sich viel verändert. Es konnten gewisse strukturelle Dinge auch deswegen nicht gemacht werden, weil sie mit der Gesamtsituation zu tun hatten. Wenn Sie schon eine schwierige Situation haben, dann werden Sie nicht auch noch mit solchen gravierenden Veränderungen hereinschlagen und vielleicht für noch mehr Unsicherheit sorgen."

Frage: "Longbow ist ein Private-Equity-Unternehmen, die im Normalfall immer das Ziel haben, ein Unternehmen zu kaufen, es aufzubauen und dann wieder gewinnbringend zu verkaufen. Ist dies auch bei Longbow das Ziel?"
Kaltenborn: "Das Ziel von Longbow ist, dass sie das Team stabilisieren und das Unternehmen als Ganzes mit einer Langzeitperspektive stärken möchten. Es soll auf der Formel-1-Seite wieder konkurrenzfähig sein; das gleiche gilt für den Engineering-Bereich, in dem wir schon sehr viel leisten."


Fotostrecke: Sauber-Präsentationen seit 2000

Frage: "Es heißt, dass Longbow Verbindungen zu Marcus Ericsson besitzt, was Sie aber nicht kommentiert haben. Wäre es allgemein gesprochen nachteilig, wenn es eine Verbindung zu einem Fahrer gibt?"
Kaltenborn: "Es gab sehr viele Spekulationen und Gerüchte, und man hat alles Mögliche durcheinandergemischt. Ich bleibe dabei, dass ich solche Gerüchte nicht kommentiere. Es ist, wie es ist. Longbow Finance ist unser Partner, und darauf fokussieren wir uns."

Die Formel 1 als Investorenschreck

Frage: "Ist es aus Ihrer Sicht derzeit schwierig, einen Investor davon zu überzeugen, in die Formel 1 zu investieren?"
Kaltenborn: "Das ist sehr schwierig. Schauen Sie sich doch einfach an, wie viele Teams angeblich zum Verkauf stehen und gerne einen Investor hätten. Deswegen können wir uns besonders glücklich schätzen, dass wir es geschafft haben."

Frage: "Was macht es denn so schwierig? Ist es die Attraktivität der Formel 1 oder vielleicht der Zeitgeist?"
Kaltenborn: "Es sind viele Dinge. Ich glaube, es hängt davon ab, wer der mögliche Investor ist. Wenn es große Unternehmen sind, für die Governance oder Compliance eine Rolle spielen, dann gibt es wohl genug problematische Felder in der Formel 1, die nicht jeder so akzeptieren möchte und auch kann. Dann kommt hinzu, dass im Moment keine Stabilität bei den Regeln vorhanden ist. Ich kenne keine andere Branche, in der alleine gewisse Richtlinien oder Vorgaben - wie aktuell mit den Funkregeln - ständig geändert werden. Sie ändern doch auch nicht ständig ein Staatsgesetz, nur weil es vielleicht jemandem nicht passt oder weil man vielleicht etwas findet, was nicht richtig ist."

"Dinge sind da, um interpretiert zu werden, und man muss auch den Mut haben, um sie entsprechend zu interpretieren. Es fehlt einfach an der Stabilität der Regeln, was wiederum auch für finanzielle Aspekte eine Rolle spielt. Denn wenn keine Regelstabilität vorhanden ist und eine Änderung jedes Mal mit großen Kosten verbunden ist, wie kann man dann hier überhaupt noch planen? Das sind auch Punkte, die damals mit zum Ausstieg von BMW geführt haben. Man wollte das mit dem ganzen Umfeld nicht akzeptieren."


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Frage: "Sehen Sie eine konkrete Perspektive, dass sich daran was ändern könnte?"
Kaltenborn: "Es muss sich etwas ändern. Wir sehen das ja auch, und das ist der Spiegel, den wir von den Fans vorgehalten bekommen. Wir können uns noch so toll finden: Die Zuschauerzahlen zeigen, wo wir stehen. Dass die Fans nicht zufrieden sind, das sehen wir. Wir sind als Sport sehr kontrovers, und das löst Aufmerksamkeit aus. Das ist aber auch gut und gehört dazu, aber irgendwann müssen wir uns den Tatsachen stellen, dass man für die Fans mehr machen muss. Es kann nicht sein, dass gewisse Traditionsrennen nicht mehr dabei sind, weil die genauso zur Formel 1 gehören."

Frage: "In der Formel 1 ist 'Brexit' ein großes Thema, weil niemand weiß, welche Auswirkungen das hat. Ihr seid eines der wenigen Teams mit einem Standort außerhalb von Großbritannien. Könnte das ein Vorteil sein, weil auf die anderen Teams größere Kosten zukommen?"
Kaltenborn: "Ich glaube nicht. Die Schweiz ist ja auch nicht in der EU. Wir leiden schon finanziell genug, weil der Schweizer Franken viel zu stark geworden ist. Für uns wird das kaum einen Einfluss haben."

Bernie Ecclestone glauben? Abwarten...

Frage: "Bernie Ecclestone kündigte unlängst eine Gleichverteilung der Gelder unter allen Teams ab 2020 an, bei der es erfolgsabhängige Bonuszahlungen geben soll. Das kennen wir sonst nicht von ihm, hat er umgeschwenkt?"
Kaltenborn: "Ich weiß nicht. Ich glaube, dass es nicht gut ist, irgendwelche Spekulationen anzustellen, warum Bernie das sagt. Wir haben in den vergangenen Jahren schon vieles gehört - mal in die eine, mal in die andere Richtung. Das ist ein weiterer Kommentar in eine Richtung, die mehr für uns spricht. Mehr ist da nicht."

Frage: "Gibt es bei Ecclestone vielleicht eine Einsicht für die Situation kleinerer Teams?"
Kaltenborn: "Ich würde da überhaupt keine Interpretation anstellen. Wer weiß, was jetzt als nächstes gesagt wird. Das könnte genau in die andere Richtung gehen."

Monisha Kaltenborn und Bernie Ecclestone

Die Sauber-Teamchefin ist vorsichtig bei Bernie Ecclestones Aussagen Zoom

Frage: "Welche Perspektive gibt es für Sauber eigentlich bei den Ferrari-Motoren? Gibt es vielleicht andere Partner, die interessant sind?"
Kaltenborn: "Wir sind im nächsten Jahr noch mit Ferrari zusammen, das ist auch so bestätigt. Was dann ist, werden wir sehen."

Frage: "Könnten Sie sich auch vorstellen, noch näher an einen Motorenhersteller heranzurücken, so wie das Manor oder Haas getan haben?"
Kaltenborn: "Das hängt ganz davon ab, welche Bereiche der Zusammenarbeit möglich sind. Es gibt sehr wohl Bereiche, in denen man zusammenarbeiten kann, und dafür sind wir absolut offen."

Regeln gegen Kundenteams verschärfen

Frage: "Welche Bereiche sind das?"
Kaltenborn: "Auch am Auto selber. Sie können Dinge gemeinsam mitentwickeln. Es gibt ja genau diese Interfaces zwischen dem Motor und dem Auto. Da gibt es Teile, und wir haben schon beides erlebt: Mal hat es das Team gemacht, mal hat es der Motorenhersteller gemacht. Das sind Bereiche, in denen man zusammenarbeiten kann. Wir haben keine Kernkompetenz im strengeren Motorenbereich, das können wir auch nicht machen."

"Wir haben übrigens viel früher, als die Motorenentwicklung noch uneingeschränkt war und wir die Prüfstände in Hinwil hatten, Motorenentwicklung betrieben. Das könnten wir heute aber nicht mehr, auch weil die Zeit dafür nicht mehr da ist. Es gibt aber durchaus Bereiche, in denen man zusammenarbeiten kann."

"Ich bleibe dabei, dass es für die Formel 1 wichtig ist, dass Konstrukteure auftreten." Monisha Kaltenborn

Frage: "Die Grenze zu Kundenautos verschwimmt dadurch aber immer mehr. Muss man das Reglement verschärfen, um Kundenautos zu verhindern?"
Kaltenborn: "Das sehe ich so. Man kann sinnvoll Dinge ändern. Die Liste der Teile, die man selber machen musste, ist ziemlich verkleinert worden. Da gab es Dinge, die man wirklich nicht machen musste, weil das wirklich extreme Kostentreiber waren. Ich bleibe aber dabei, dass es für die Formel 1 wichtig ist, dass Konstrukteure auftreten. Wir sollen keinen anderen Weg gehen, bei dem zwei, drei Leute Chassis zur Verfügung stellen und man diese einfach nur einsetzt. Das ist nicht das Wesen der Formel 1."

"Man kann sinnvoll Dinge entwickeln, und da sind wir wieder bei dem Thema: Wie schränkt man es ein. Schränkt man es auf gewisse wesentliche Komponenten ein oder sagt man, dass es einen finanziellen Rahmen gibt, in dem sich jeder bewegen kann? Aber es besteht eine absolute Gefahr, dass man den Weg für die Kunden, der eh schon geöffnet ist, noch weiter geht. Ich würde das für ganz schlecht halten, denn ich bin überzeugt, dass man damit auch nicht die Einnahmen generieren würde, die man heute hat."