• 07.08.2016 09:18

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Ferrari: Dieser Fehler könnte die Formel 1 2017 bestimmen

Vor dem Hintergrund massiver Regeländerungen für 2017 befindet sich Ferraris Technikabteilung im Umbruch - Wohin steuert die Scuderia nach Allisons Weggang?

(Motorsport-Total.com) - Abgesehen von einer weiteren Kehrtwende der FIA und der Formel-1-Strategiegruppe war die größte Nachricht rund um den Grand Prix von Deutschland der Abgang des Technischen Direktors von Ferrari, James Allison.

Titel-Bild zur News: Maurizio Arrivabene

Maurizio Arrivabene und James Allison waren sich nicht immer grün Zoom

Wirklich jeder im Formel-1-Paddock fühlt mit James, der seine Frau kurz nach dem Grand Prix von Australien verloren hat. Er hat zu Hause in England drei Kinder und ist so ehrlich zu sich selbst, sich einzugestehen, dass diese Vorrang davor haben, für Ferrari in Italien zu arbeiten.

Ich glaube aber nicht, dass es lange dauern wird, bis ihn sich ein englisches Team schnappt. Auf diese Weise könnte er weiterhin in dem Umfeld arbeiten, dem er bisher sein Leben gewidmet hat. Natürlich immer vorausgesetzt, dass er das möchte.

Rückwärtsgang: Ferrari hinter Mercedes und Red Bull

Eine große Frage, die ich mir stelle, ist: Warum hat ihm Ferrari nicht einen Vorschlag gemacht, der es ihm erlaubt, zumindest übergangsmäßig weiter für das Team zu arbeiten, während im Hintergrund die erforderlichen personellen Neubesetzungen in die Wege geleitet werden?

Nach Allisons Abgang wurde durch Beförderungen intern nachbesetzt, insofern bin ich mir sicher, dass es da Möglichkeiten gegeben hätte. James würde dann nicht für ein gegnerisches Team arbeiten und mit seinen Fähigkeiten einen Beitrag für Ferrari leisten, wenn auch nicht auf der gleichen Basis wie bisher.

Für Ferrari ist der Zeitpunkt für so eine einschneidende Veränderung ungünstig. Im derzeitigen Kräfteverhältnis liegt das Team hinter Mercedes, in verstärktem Maß auch hinter Red Bull, und es muss diesen Rückstand aufholen und sich gleichzeitig auch noch auf die Regeln 2017 vorbereiten.

Sergio Marchionne nie ein Fan von James Allison

Die Saison 2016 hätte eigentlich ein spannendes Duell zwischen Mercedes und Ferrari werden sollen. Das ist nicht passiert, und wenn jetzt die falschen Maßnahmen gesetzt werden, kann es auch noch eine ganze Weile dauern, bis es zu diesem Duell kommt. Ferrari im Wandel hat große Auswirkungen auf die Formel 1 im nächsten Jahr.

Allisons Abgang wirft die große Frage auf, wie Ferrari eigentlich arbeitet. Ich habe Gerüchte gehört, dass der Ferrari-Vorsitzende Sergio Marchionne nie ein Fan von ihm war, weil James klug genug war, sich nicht von ihm in unrealistische Situationen manövrieren zu lassen, und weil er sich seinen Mund nicht verbieten lassen wollte.

Warum auch sollte jemand, der wenig bis keine Erfahrung in der Formel 1 hat, auf jemanden wie James hören, der 25 Jahre Erfahrung und eine Reputation als einer der cleversten technischen Köpfe im Paddock mitbringt?


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Als das teaminterne Gefüge bei Ferrari noch stimmte

Das ist, kurz und bündig gesagt, alles, was seit den Tagen von Michael Schumacher, Jean Todt und Ross Brawn bei Ferrari schiefgelaufen ist.

Jean war extrem gut darin, Luca di Montezemolo zu kontrollieren, damals Chef von Ferrari, damit sich dieser nicht ins technische Team einmischt. So konnte sich Ross auf die technischen Elemente konzentrieren und ungestört seinen so wichtigen Aufgaben nachgehen.

In Kombination mit Schumacher, der damals Ferraris unumstrittene Nummer 1 war, ermöglichte das dem Team, die weithin bekannten Erfolge einzufahren.

Was einen guten Technischen Direktor ausmacht

Die große Frage, die man sich stellen muss, wenn man sich vom Technischen Direktor trennt: Welche Rolle hat er genau ausgeübt und welche Lücke muss nun gestopft werden?

Die Definition der Aufgaben des Technischen Direktors wurde in den vergangenen zehn Jahren immer schwammiger, mit neu geschaffenen Positionen wie "Chief Technical Officer" und "Chief Engineering Officer". Aber wenn die Rolle des Technischen Direktors funktioniert, dann ist sie traditionell interpretiert: Jemand mit einem guten Verständnis davon, was ein Rennauto schneller macht und wie es Vertrauen beim Fahrer schafft.

Ein Technischer Direktor muss nicht zwangsläufig der allerbeste Personalmanager sein, und er muss auch nicht unbedingt wahnsinnig organisiert sein. Solche Mitarbeiter findet man in allen Sparten des Ingenieurswesens. Die Aufgabe solcher Mitarbeiter ist es, das richtige Personal zu finden, Prozesse und Arbeitsabläufe zu entwickeln, auf die Kommunikation zu achten und eine große Belegschaft zu motivieren.

Ferrari fehlt die nötige Stabilität für mehr Erfolg

Der Technische Direktor hingegen muss eine Vision haben und die Fähigkeit besitzen, das große Ganze zu sehen, nämlich wie ein Formel-1-Auto im Zusammenspiel aller Teile funktioniert. Nur dann kann es seine Leistung an jedem Rennwochenende voll entfalten.

Dafür reicht jedoch keine Tabellenkalkulation. Natürlich ist Platz für ingenieurwissenschaftliche Konzepte, allerdings braucht es auch ein gewisses Gespür für das Auto. Es entscheidet darüber, wie der Technische Direktor die Entwicklung eines Teams ausrichtet.

Um dieses Potential vollends auszuschöpfen, ist Stabilität das A und O. Es kann Jahre dauern, diese Stabilität zu entwickeln. Aber Ferrari stößt weiter Veränderungen an, bis sich irgendetwas überhaupt auszahlen kann.

Ferrari wird langsamer, die Konkurrenz schneller

Betrachtet man Ferraris Performance in den vergangenen Jahren, seit der neue 1,6-Liter-V6-Motor mit Hybrid-Technologie im Jahr 2014 eingeführt wurde, sprechen die Zahlen für sich.

Im Vergleich der schnellsten Runden von Ferrari im Laufe eines Wochenendes mit den schnellsten insgesamt in Prozent (damit wird anders als bei der Verwendung von Zeitrückständen jede Strecke gleich gewichtet) ergibt sich folgendes Bild, wenn man einen Saisondurchschnitt errechnet:


Fotostrecke: Top 10: Dominanteste Teams der Formel 1

2014: +1.276%
2015: +0.703%
2016: +1.198% (nach zwölf Rennen)

Ist Mattia Binotto nur eine Übergangslösung?

Während der Saison war Ferrari in Kanada am besten (+0.244%), wohingegen Österreich das Schlusslicht ist (+2.914%). Es gibt also eine große Differenz zwischen Strecken, die in Realität gar nicht so verschieden sind, wenn es um das Setup des Autos geht. Beide verlangen einen hohen Top-Speed, gute Traktion und stabiles Bremsen.

Dieses Jahr erlebt Ferrari eine Krisensaison, die dem eigenen Druck, den man sich mit Gesprächen über einen möglichen Kampf um die Weltmeisterschaft selbst auferlegte, nicht standhält. Wenn man aber bedenkt, was Allison persönlich widerfahren ist, ist es keine große Überraschung, dass die Saison so verlaufen ist, wo doch die Umstände gegen ihn sprachen, insbesondere in einem Team, das so arbeitet wie Ferrari.

Für den neuen Mann, Mattia Binotto, ist der Weg steinig. Er wird sich mit einer Politik befassen müssen, die er noch nicht kennt. Zudem werden einige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wird er das Erbe von James fortsetzen oder die Strukturen in eine eigene, neue Richtung lenken? Oder wird er nur eine Übergangslösung sein, bis sie jemand anderen gefunden haben?

Zeitpunkt für Ferraris Technik-Krise denkbar ungünstig

Binotto ist sicherlich sehr versiert in dem, was er tut. Er arbeitet seit 1995 bei Ferrari, stieg als Ingenieur für Testmotoren ein, wurde 2013 Leiter der Abteilung für Antriebseinheiten. Er kennt sich also mit Motoren aus.

Mit den Regeländerungen für 2017, die die Aerodynamik der Autos auf den Kopf stellen, wäre jemand mit entsprechender Expertise überaus wichtig gewesen, um die Design-Abteilung zu leiten. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Denn jeder von Relevanz in der Formel 1 steht bereits unter Vertrag.

Selbst wenn Ferrari es hinbekommen würde, jemanden davon zu überzeugen, die Geschäfte in Maranello zu übernehmen und wieder Ordnung ins Team zu bringen, würde derjenige von seinem aktuellen Arbeitgeber für mindestens sechs Monate freigestellt. Ehe er bei Ferrari anfangen könnte, wäre es zu spät, um das Auto für 2017 und vielleicht sogar 2018 noch zu beeinflussen.

Was Ferrari braucht, um zu alter Stärke zurückzufinden

Diejenigen, die im Design-Team von Ferrari arbeiten, werden einen ganz genauen Blick auf den Neuen werfen. Denn solch plötzliche Wechsel bringen immer eine Zeit der Ungewissheit mit sich, die sich ohne Zweifel auf kurzfristige Entwicklungen auswirken wird.

Sie werden genauso verwirrt sein, wie die Außenwelt es ist. Bleibt der neue Technische Direktor länger oder gibt es jemanden in Wartestellung, der erneute Änderungen mit sich bringen wird? All da kann sich auf die Art und Weise, wie das Team arbeitet, niederschlagen - und auf die Ergebnisse auf der Strecke.

Ich fürchte, dass sich bei Ferrari nichts ändern wird, bevor es sich nicht um mehr Stabilität bemüht und allen, die in der Verantwortung stehen, Erfolge zu generieren, 100-prozentige Unterstützung zusichert, und zwar langfristig. Ansonsten wird es weiter auf und ab gehen wie bei einem Jojo.

Ein wertvoller Rat von Harvey Postlethwaite

Harvey Postlethwaite, der für Ferrari schon einige Male als Technischer Direktor tätig war, hat mir einmal einen sehr weisen Rat gegeben. Für den Fall, dass ich jemals für Ferrari arbeite, sagte er mir, ich solle auf die Rückseite meiner Visitenkarte schreiben, wie viel ich verdiene, und sie in einer Schreibtischschublade verstauen.

Wenn dann mal alles zu viel wird, öffne die Schublade, schau auf die Rückseite der Karte, leg sie wieder zurück und mach einfach weiter...