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Formel-1-Vorstand stellt sich demonstrativ hinter Ecclestone

Formel-1-Vorstand Martin Sorrell findet, dass Bernie Ecclestone nicht ersetzt werden kann, aber warum er das sagt, darüber wird jetzt spekuliert

(Motorsport-Total.com) - Wenn Sir Martin Sorrell, Vorstandsmitglied der Formel 1 und damit einer der Chefs von Bernie Ecclestone, der offiziellen und von Ecclestone betriebenen Formel-1-Website ein Interview gibt, dann sicher nicht nur, weil die Redaktion die Idee hatte, den Herrn einmal zu interviewen. Hinter solchen Veröffentlichungen auf offiziellen Plattformen steckt in der Regel ein strategischer Hintergrund, und genau über den rätselt derzeit der halbe Formel-1-Paddock.

Titel-Bild zur News: Martin Sorrell und Bernie Ecclestone

Martin Sorrell und Bernie Ecclestone sind mit die mächtigsten Männer der Formel 1 Zoom

Denn Sorrell war in jüngerer Vergangenheit nicht immer einer Meinung mit dem Formel-1-Geschäftsführer. Als der zum Beispiel Hitler öffentlich dafür bewunderte, dass der Nazi-Diktator Dinge auf seine Weise geregelt hat, war Sorrell der erste mächtige Mann der Formel 1, der reichweitenstark seine Entrüstung äußerte. Und bei einer Podiumsdiskussion in London stritten sich die beiden unter anderem über den Brexit und die Flüchtlingsfrage, die für Sorrell, einen bekennenden Juden mit russischen Wurzeln, emotional aufgeladen ist.

Ecclestone sei "leicht zu kritisieren", sagt Sorrell in dem Interview mit 'formula1.com', "weil er jemand mit extremen Ansichten ist. Ich habe ihn kürzlich in London interviewt. Er hat Frauen angegriffen, er sagte, dass Putin Europa anführen sollte, und so weiter. Er genießt das, er spielt schon eine ganze Weile mit diesen Dingen. Er ist in einer fest verwurzelten Position. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist er einmalig, nicht wahr?"

Sorrell: Ecclestone ist nicht zu ersetzen

"Und jemand, der einmalig ist - und das wird mich in Schwierigkeiten bringen - kann per Definition nicht ersetzt werden. Per Definition", stellt sich Sorrell demonstrativ hinter Ecclestone. "Der Formel 1 geht es sehr gut. Sie ist ein hochinteressantes Asset. Könnte man sie auf andere Weise führen? Sicher könnte man. Könnte man vieles besser machen? Da bin ich mir sicher. Aber soweit ich das beurteilen kann, geht es der Formel 1 ziemlich gut."

Der 71-Jährige geht sogar noch weiter. Auf die Frage, was derjenige können muss, der die Formel 1 in Zukunft führen wird, antwortet er: "Er muss Bernies Qualitäten haben! Was auch immer die Leute denken, dass diese sind. Er ist ein Unternehmer. Er hat ein 1,7-Milliarden-Dollar-Business geschaffen. Er hat Unmengen von Arbeitsplätzen geschaffen. Er hat eine ganze Industrie geschaffen und Technologien gepusht." Ein etwaiger Nachfolger müsse "all diese Qualitäten" auch haben.


Podiumsdiskussion: Martin Sorrell und Bernie Ecclestone

CVC und Teams sägen an Ecclestones Stuhl

Das ist in einer Zeit, in der Formel-1-Kontrolleigentümer CVC Capital Partners angeblich heimlich, still und leise an Ecclestones Stuhl sägt, Balsam auf dessen Wunden. Und man wird den Eindruck nicht los, dass sich hier zwei in die Jahre kommende Geschäftsleute, die in ihren jeweiligen Positionen unter Druck geraten, gegenseitig helfen. Denn nicht nur Ecclestone ist in seiner Rolle als Formel-1-Geschäftsführer nicht unumstritten.

Auch Sorrell steht derzeit in der Kritik, als Chef der weltgrößten Werbe- und PR-Agentur WPP. Die hat er einst vom Zwei-Mann-Unternehmen zu heute fast 200.000 Mitarbeitern in mehr als 100 Ländern der Welt aufgebaut. Aber daran, dass er sich dafür 88 Millionen Euro Jahresgehalt ausbezahlt, stören sich die WPP-Aktionäre - ebenso wie an der Tatsache, dass es keinen geregelten Nachfolgeplan gibt. Das dürfte Ecclestone bekannt vorkommen.

Martin Sorrell

Martin Sorrell ist hauptberuflich Chef der weltgrößten Werbeagentur WPP Zoom

Die Annahme, dass es in Zukunft mindestens zwei Personen brauchen wird, um Ecclestone zu ersetzen, hält Sorrell übrigens für Unsinn: "Dem stimme ich nicht zu", sagt er. "Wenn sich zwei Personen um den gleichen Job streiten, man beide behält und als Co-Chefs bezeichnet, als Fusion zweier gleichgestellter Mitarbeiter, dann funktioniert das nicht. Sollten da Träume einer Zwei-Personen-Führung sein, dann sind die Chancen auf Erfolg limitiert."

Soziale Netzwerke lösen klassisches TV ab

"Aber Bernie hat seinen Job immer noch im Griff, wie ich finde", so der Formel-1-Vorstand. "Wenn ich extrem kritisch wäre, würde ich sagen, dass die Formel 1 zu taktisch vorgeht und nicht strategisch genug. Und das bringt uns zum digitalen Thema: Da muss man investieren, um langfristig zu gewinnen, da muss man einige kurzfristige Effekte opfern, um in Zukunft hohe Gewinne einfahren zu können." Sprich: auf soziale Netzwerke setzen, auch wenn das die TV-Einnahmen beschneidet.

Ob Sorrells Votum für Ecclestone in einer Zeit, in der neben CVC auch die Teams immer stärker die Frage stellen, ob der 85-Jährige noch der richtige Mann für die Formel 1 ist, etwas bewirken kann, sei dahingestellt. Dass das Interview nicht zufällig passiert ist, sondern der Veröffentlichung ein strategischer Hintergrund zugrunde liegt, davon kann man ausgehen. Und so ist weniger das Gesagte interessant als vielmehr die Frage: Warum wurde es gesagt, und warum gerade jetzt...