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  • 10.05.2016 09:26

  • von Roman Wittemeier

1986: Ein Spanien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Senna vs. Mansell in Jerez 1986 war einer der knappsten Zieleinläufe der Geschichte - Was viele schon vergessen haben: Diskussionen um Sennas Lotus

(Motorsport-Total.com) - Selten hat sich ein Grand Prix so dermaßen als Thriller dargestellt wie das Formel-1-Rennen 1986 im spanischen Jerez (alle Spanien-Grands-Prix in der Datenbank!). Rückblickend dürfte sich Ex-Champion Nigel Mansell gewünscht haben, dass der Zielstrich auf der andalusischen Strecke nur einige wenige Zentimeter weiter hinten gelegen hätte. Der Brite, der im ersten Formel-1-Grand-Prix in Jerez in seinem Williams der schnellste Mann war, verlor das Duell gegen Ayrton Senna (Lotus) um 0,014 Sekunden!

Titel-Bild zur News: Senna Mansell Jerez 1986

Ayrton Senna gegen Nigel Mansell in Jerez 1986: 0,014 Sekunden entscheiden Zoom

Einer der engsten Zieleinläufe in der Formel-1-Historie hatte eine umfassende Vor- und Nachgeschichte. In der Saison 1986 gab es zahlreiche Favoriten auf den Gewinn der Weltmeisterschaft: Alain Prost (McLaren) als amtierender Champion, die beiden Williams-Piloten Nigel Mansell und Nelson Piquet, Lauda-Nachfolger Keke Rosberg (McLaren) und auch der damals 26-jährige Ayrton Senna, der nach zwei Siegen im Vorjahr endlich in den Titelkampf eingreifen wollte.

"The Magic", wie Lotus-Teamchef Peter Warr seinen Schützling Senna bezeichnete, hatte sie Saison 1986 mit der Pole-Position (1,2 Sekunden Vorsprung!) und Rang zwei in Brasilien begonnen. Beim zweiten Saisonrennen auf dem damals neuen Kurs in Jerez de la Frontera sollte der erste Sieg her. Im Qualifying brummte er der versammelten Konkurrenz mehr als acht Zehntelsekunden auf: Pole bei der Spanien-Rückkehr der Formel 1 - und somit beste Aussichten für das Rennen.

Wie heute: Sprit und Reifen immer im Auge behalten

Im damaligen Turbozeitalter standen - wie heute - in den Grands Prix die Themen Spritsparen (nur noch 195 Liter im Tank) und Reifenmanagement im Vordergrund. Genau diese beiden Faktoren bestimmten auch das Formel-1-Rennen 1986 in Jerez. Während Ayrton Senna und Nelson Piquet ihr ersten beiden Positionen nach dem Start verteidigen konnten, geriet Nigel Mansell schnell unter Druck. Der Williams-Pilot fiel hinter die beiden McLaren von Prost und Rosberg zurück und musste fortan hart kämpfen, hatte aber den großen Vorteil des effizienteren Honda-Aggregats.

In typischer Löwenmanier agierte der Brite. Er schnappte sich die beiden Konkurrenten mit konsequenten Manövern und lag nach dem Ausfall von Teamkollege Piquet plötzlich wieder in aussichtsreicher Position. Mansell rang auch die führenden Senna und Prost nieder und war auf dem Weg zum Sieg. Allerdings ließen die Gegner nicht locker. Der junge Brasilianer schob sich mit einem beinharten Angriff noch einmal an die Spitze zurück, auch Prost konnte mit durchschlüpfen.

Mansell hatte die Reifen an seinem Williams zu jenem Zeitpunkt bereits zu arg strapaziert. Die Aufholjagd hatte Spuren hinterlassen. Zehn Runden vor dem Ende des Grand Prix bog der Brite in die Box ab, kam mit 20 Sekunden Rückstand auf die Piste und nutzte fortan die frischen Gummis. Senna und Prost mussten sich Reifen und Benzin bis zum Rennende einteilen, Mansell hingegen konnte Vollgas geben. Vier Runden vor dem Ende war Prost fällig, anschließend entwickelte sich ein legendäres Duell um den Sieg.


Jerez 1986: Finale Senna vs. Mansell

Zielstrich: Mansell ist siegessicher, Senna aber vorn

Den Rückstand von 7,1 Sekunden auf den Führenden fuhr Mansell innerhalb von zweieinhalb Runden zu. Es kam zum Showdown in der allerletzten Runde: Der Brasilianer schaute immer wieder in den Rückspiegel. In jeder Bremszone und in jeder Beschleunigungsphase kam der Williams dank neuer Goodyears näher. In der Spitzkehre vor Start und Ziel lag Mansell endlich am Heck des Lotus - auf halbem Weg zur Ziellinie zog der Brite aus dem Windschatten, nebeneinander überquerten sie den Strich - Fotofinish wie im Buche!

Die Auswertung der Bilder sowie die Zeitnahme zeigten schnell, dass Senna sich mit seinem Lotus knapp vor Mansell über den Zielstrich gerettet hatte: 0,014 Sekunden Abstand - knapper war es bis dorthin nur in Monza 1971 gewesen (alle Formel-1-Rekorde!). Senna ahnte es, Mansell aber nicht. Der Brite ging fest davon aus, das Beschleunigungsduell aus der letzten Kurve für sich entschieden zu haben. Glücklich fiel er seiner Frau in die Arme, es flossen Freudentränen. Dann der Schock: Mansell wurde erklärt, dass Senna gewonnen habe.

Auf einen kurzen - nicht druckreifen - Fluch der "Red Five" folgte zunächst Ernüchterung, dann Anerkennung für den Sieger. Mansell gratulierte seinem Konkurrenten und richtete anschließend im TV seine Worte an Teamchef Frank Williams, der nach seinem schweren Unfall bei Le Castellet noch in einer Klinik lag. "Lieber Frank, wenn du jetzt zuschauen solltest: Auf dem Strich war der Rückstand nicht größer als das Maß meiner Startnummer 5. Es war so knapp", so Mansell. "Beim nächsten Rennen werde ich es für dich zum Sieg schaffen!"


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Doch mit dem Versprechen an den Teamchef war der Kampf um den Sieg in Jerez 1986 noch nicht zu Ende. Die anhaltenden Diskussionen drehten sich nicht um Messgenauigkeiten bei der Zieldurchfahrt, um wildes Blockieren oder unfaire Fahrweisen: Die Technik des Lotus von Ayrton Senna stand im Fokus. Die Fabelzeit des Brasilianers im Qualifying hatte für allgemeines Kopfschütteln gesorgt. Kaum jemand glaubte, dass es bei der Performance des Lotus-Renault mit rechten Dingen zuging.

Nachspiel: War der Lotus von Senna illegal?

"Er mag ein Wunderkind sein, aber viel mehr Gas als alle anderen kann er auch nicht geben, oder die Arschbacken hier oder dort noch etwas mehr zusammenkneifen. Das bringt ihm vielleicht ein paar wenige Zehntel. Dass er aber 2,9 Sekunden schneller ist als ich, das muss andere Gründe haben", wunderte sich Gerhard Berger (Benetton-BMW). Williams-Technikchef Patrick Head schaute sich den Lotus genauer an, erkannte den Trick von Lotus-Designer Gerard Ducarouge sofort.

Der aus dem Raketenbau in die Formel 1 gewechselte Franzose hatte dem Lotus 98T eine Zeitreise in die Vergangenheit spendiert. An den Seiten hatte Ducarouge feine Elemente am Unterboden angefügt, die sich bei hohem Tempo verformten. Die dann nach unten gebogenen Bleche bildeten die bekannte Unterboden-Schürze, die den Saugnapf-Effekt erzeugten, der in der Formel 1 für extremen Abtrieb gesorgt hatte. Das Ausnutzen dieses Venturi-Effekts war 1986 jedoch verboten - schon seit fünf Jahren.

Gerard Ducarouge Ayrton Senna

Gerard Ducarouge (li.) machte den Senna-Lotus mit einem Trick schneller Zoom

"Was Lotus dort macht, ist Betrug", meinte Patrick Head, "aber immerhin muss einem so etwas erst einmal einfallen." Die schlaue Lösung am Lotus wurde von den FIA-Kommissaren begutachtet. Man erkannte den Trick als geniale Idee an, verbot jedoch das weitere Verwenden der biegsamen Elemente. Am Endergebnis des Grand Prix von Spanien 1986 änderte dies jedoch nichts mehr. Durarouge hatte für den Fall einer Disqualifikation gedroht: "Dann gehe ich sofort in Rente!"

Das Spanien-Rennen 1986 ist nicht nur durch einen der engsten Zieleinläufe aller Zeiten in die Geschichte eingegangen. Es gab eine weitere Besonderheit: Der Grand Prix auf der andalusischen Bahn, die erst am Donnerstag vor dem Rennen fertig geworden war, war das Comeback der Formel 1 in Spanien, die nach dem Abschied aus Jarama 1981 eine Pause eingelegt hatte. Alle Piloten hatten auf dem Neubau ihre sorgen. "Was für eine Buckelpiste. Da verbiegt es im Motor die Ventile", schüttelte Marc Surer (Arrows) genervt den Kopf, nachdem der Schweizer drei BMW-Aggregate durchgebracht hatte.