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  • 11.11.2015 00:35

  • von Dominik Sharaf

Zwölfzylinder in der Formel 1: Mythos, Misere und Marketing

Die wechselvolle Geschichte des spektakulärsten Formel-1-Motors: Wie aus einem Motorradantrieb ein Powermonster wurde und was ihn mit Ferrari verbindet

(Motorsport-Total.com) - Vor genau 20 Jahren verschwindet ein Nimbus aus der Formel 1. Während die Konkurrenz schon ausnahmslos auf V10- und V8-Motoren umgestellt hat, donnert Ferrari beim Saisonfinale 1995 in Adelaide mit Power und Krawall aus zwölf Töpfen durch die Straßenschluchten der australischen Metropole. Zwar versagt das genauso anfällige wie aufsehenerregende Aggregat mit dem Namen 044/1 seinen Piloten Jean Alesi und Gerhard Berger öfters den Dienst. Doch das tut dem Spektakel keinen Abbruch.

Titel-Bild zur News: Honda-V12-Motor

Hondas erster V12-Motor wurde auf Basis eines Motorradantriebs entwickelt Zoom

Zunächst zurück zu den Wurzeln: Bis der Zylinderzahl Ende des Jahres 1999 auch von Seiten des Reglements ein Riegel vorgeschoben wird und V10-Motoren verbindlich werden, ist es den Teams respektive den Motorenherstellern überlassen, welches Konzept sie in der Formel 1 verwenden - mit der Einschränkung, dass ab 1988 Lösungen mit mehr als zwölf Zylindern untersagt sind. Schon von 1950 bis 1953 setzt ausschließlich Ferrari einen V12-Motor ein und gewinnt in der zweiten Saison überhaupt dank des Argentiniers Jose Froilan Gonzalez erstmals ein Rennen. Alberto Ascari wird 1952 Weltmeister, bestreitet aber nur einen einzigen Grand Prix mit zwölf Töpfen, denn der Reihen-Vierzylinder hat Einzug gefunden.

Pionier der zweiten V12-Ära ist 1964 allerdings nicht Ferrari, sondern ein Grünschnabel im automobilen Rennsport: Honda. Mit dem Modell RA271, das beim Deutschland-Grand-Prix auf der Nürburgring-Nordschleife seine Premiere feiert, schicken die Japaner nach zehn Jahren Abstinenz erstmals wieder einen V12 ins Rennen - wenige Monate nachdem sie überhaupt damit begonnen haben, Serienwagen zu produzieren. Mit seinen durch die Regeln vorgeschriebenen 1.495 ccm Hubraum ohne Kompressor bringt das auf der Basis hauseigener Motorradantriebe konstruierte Triebwerk den Vorteil, kleinere bewegliche Teile einsetzen zu können und Drehzahlen bis zu 13.000 Umdrehungen pro Minute zu erreichen. Weiterer Clou: eine Wasserkühlung.

Grünschnabel Honda: Die Pioniere kommen aus Japan

Mit 231 PS für nur 525 Kilogramm Kampfgewicht in einer weiteren Ausbaustufe verfügt Honda über das kräftigste Formel-1-Aggregat und über rund 80 PS mehr als Ferrari mit seinem V8. Obwohl der US-amerikanische Entwicklungspilot Ronnie Bucknum zunächst kaum das Ziel sieht, machen sich die Innovationen im Jahr darauf bezahlt. Honda verpflichtet mit Richie Ginther einen Toppiloten und gewinnt mit dem Nachfolger RA272, dessen irre Beschleunigung bei fast jedem Rennen für eine Führung nach dem stehenden Start sorgt, in Mexiko den ersten Grand Prix.

Ronnie Bucknum

Premiere auf der Norschleife: An Power mangelt es dem Honda-V12 nicht Zoom

Die Entwicklung ist auch dem zu diesem Zeitpunkt vielleicht mächtigsten Mann im Paddock nicht entgangen: Enzo Ferrari. Der "Commendatore" lässt in Maranello ebenfalls einen neuen Zwölfzylinder (mit zehn PS und 1.000 Umdrehungen weniger) entwickeln, allerdings nicht in V-Bauform. Nach einem ersten Test durch das US-Ablegerteam North American Racing mit Lorenzo Bandini schon 1964 holt Ferrari den auf die Bezeichnung 207 hörenden Motor auch in das Werksteam.

Der Erfolg der Scuderia hält sich in Grenzen, obwohl ein gewisser Ludovico Scarfiotti 1966 in Monza für einen Heimsieg sorgt. Dank der Power im Heck wird er mit dem Rekordtempo von 220 km/h gemessen. Ferrari bleibt hartnäckig und will die Motoren auch als Marketinginstrument für seine Serienmodelle nutzen - auch noch, als die kommenden zehn Jahre ohne WM-Titel zur Leidenszeit wurden. Cosworth fährt den Italienern mit konventioneller V8-Power Saison für Saison um die Ohren, obwohl partiell auch andere Teams - etwa Matra oder BRM - sich an einem V12 versuchen. Sonst erfolglos, bis ein gewisser Niki Lauda ins Rampenlicht tritt.


Fotostrecke: Formel-1-Meilensteine mit zwölf Zylindern

Ferraris Durstrecke: Erst Niki Lauda beendet das Leiden

1975 macht sich der Österreicher zum ersten Formel-1-Weltmeister auf zwölf Zylindern - als 180°-V-Motor, und endlich mit gigantischer Zuverlässigkeit. Lauda und Jody Scheckter holen weitere Titel, aber ab 1981 ist die Ära auch bei Ferrari unterbrochen. Der Turbo hat Einzug in die Formel 1 gefunden, was sich mit einem kleineren und schmaleren V6 besser vereinbaren lässt. Doppelt aufgeladen sorgen auch sechs Töpfe für bis zu 608 PS im Qualifying, doch das ist noch nicht der Sargnagel für den V12.

Niki Lauda

Niki Lauda und Ferrari bescheren dem Zwölfzylinder den ersten WM-Titel Zoom

Denn 1989 überzeugen die mit PS-Monstern einhergehenden Gefahren und Kosten die Formel-1-Verantwortlichen, die Turbos zu verbieten. Ferrari entscheidet sich für ein V12-Konzept, das nach etwas Entwicklungszeit mit 669 PS ähnlich stark ist wie der Turbo-Vorgänger. Allerdings sind die Italiener endlich ihrer Verbrauchsprobleme ledig. Ganz anders Lamborghini: Die Ex-Traktormarke ist mit einem extrem durstigen V12 des Ex-Ferrari-Designers Mauro Forghieri eingestiegen und beliefert Larousse.

Der letzte V12-Weltmeister heißt Ayrton Senna

Der Rest des Feldes beschränkt sich auf V8-Power (mit Ausnahme des V10-Aggregats von Honda) und fährt damit besser. Allen voran die Zuverlässigkeit macht Ferrari immer wieder einen Strich durch die Rechnung, obwohl Nigel Mansell, Gerhard Berger und Alain Prost zumindest in den Jahren 1990 und 1991 noch Grand-Prix-Siege einfahren. Doch der Abwärtstrend ist nicht mehr aufzuhalten.

Was bei den Italienern immer weniger funktioniert, gestalten die Japaner erfolgreicher. McLaren erhält von Honda ab 1991 ebenfalls V12-Motoren, was nach der Dominanz mit dem Vorgänger ein extremes Risiko darstellt. Ayrton Senna wird zwar 1991 Weltmeister und holt den vierten und letzten Titel mit zwölf Zylindern, doch zwei Jahre später steigt Honda aus - damit auch der V12 bei McLaren.

Ayrton Senna

Mit dem Mythos Zwölfzylinder ist ein weiterer verbunden: Ayrton Senna Zoom

1993 ist die Formel-1-Philosophie eine andere: Computertechnik, Fahrhilfen und die Raffinessen der Ingenieurskunst wie aktive Radaufhängung sorgen für eine Ära, in der Cyber-Technologie blanke Power aussticht. Ferrari und Lamborghini bleiben ihre der Verbindung zur Serienproduktion geschuldeten Maxime treu und bezahlen dafür. Ab 1991 bleibt die Scuderia, deren Kundenteams ohnehin hinterhergurken, ohne Rennerfolg und muss bis 1994 warten, ehe Berger und Jean Alesi auf der damaligen Hochgeschwindigkeitsbahn Hockenheimring die Durststrecke beenden.

Motorschaden: Abschiedsvorstellung als Ferrari-Sinnbild

Denn an einem mangelt es dem V12, an dessen Design Honda-Guru Osamu Goto mitgewirkt hat, nie: Kraftentfaltung im oberen Drehzahlbereich. So schlägt Berger den in Sachen Agilität und Zuverlässigkeit überlegenen Renault- und Ford-Kunden ein Schnippchen. Zum roten Märchen in Monza fehlen dem Österreicher wenig später knappe fünf Sekunden, doch den letzten V12-Triumph der Geschichte hat Ferrari trotz abknickender Formkurve 1995 noch im Köcher. Alesi profitiert beim Kanada-Grand-Prix in Montreal von einem Defektchaos und gewinnt.

Gerhard Berger

Gerhard Berger hat mit dem Ferrari-V12 mehr Kummer als Freude Zoom

Bis 1995 haben mit Honda, Ferrari, Weslake, BRM, Maserati, Matra, Delahaye, Delage, Alfa Romeo, Lamborghini und Tecno zwölf Hersteller Motoren mit zwölf Zylindern eingesetzt. Die Abschiedsvorstellung (zum History-Feature zum Rennen!) gibt es beim Saisonfinale im australischen Adelaide: Im Heck Bergers verraucht beim Abschied von der Scuderia der letzte V12-Motor, der je in einem Formel-1-Rennen eingesetzt wird. Ferrari überlässt es anschließend Superstar-Neuzugang Schumacher, zwischen V12 und V10 zu wählen. Der Deutsche ordnet dem Erfolg traditionelle Sentimentalität unter, was sich als weise entpuppt. Berger, der bei Ferrari jahrelang den V10 gefordert hat, ärgert das. Trotzdem schenkt er jedem seiner 36 Mechaniker zum Abschied eine goldene Uhr mit der Gravur "Grazie, Gerhard". Sein Motor geht leer aus. Mal wieder.