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  • 07.10.2015 14:17

  • von Ryk Fechner

40 Bildschirme: Das Formel-1-Wochenende der Rennleitung

Charly Whiting erzählt, warum er Kimi Räikkönen mag und wie sich der Ablauf bei Rennwochenden innerhalb von 20 Jahren geändert hat - Ferngläser in Sao Paulo...

(Motorsport-Total.com) - Seit 1988 ist Charly Whiting Renndirektor der Formel 1. Jedes Rennen wird von dem 63-Jährigen manuell per Knopfdruck gestartet - doch wer davon ausgeht, dass Whitings Job mit Knöpfchendrücken an zirka 20 Sonntagen im Jahr getan ist, irrt gewaltig. Daneben fallen Streckeninspektionen, Gespräche mit Fahrern und Teams über Rennabläufe sowie das Beobachten von Rennzwischenfällen in seinen Verantwortungsbereich. Während die Teams am Donnerstag an der Strecke sind, muss Whiting schon am Mittwoch vor einem Grand Prix anrücken.

Titel-Bild zur News: Charlie Whiting

Whiting erinnert sich an Tage, als er das Rennen noch mit dem Fernglas verfolgte Zoom

Gegenüber 'GPUpdate.net' schildert der Brite, inwieweit sein Betreuungsaufwand sich von Strecke zu Strecke unterscheidet: "Wenn du nach Silverstone, Spa oder Monza kommst, wo sie seit Jahren Rennen austragen, gibt es eine gewisse Sicherheit. Bei neueren Rennstrecken musst du mehr Dinge gegenchecken. Sachen, die du auf einigen Strecken als gegeben betrachtest, sind es auf anderen nicht. Normaler Weise versucht man, am Mittwoch anzukommen. Dann treffen wir die Streckenbetreiber, um sicherzugehen, dass von ihrer Seite alles da ist. Dann gehen wir verschiedene Checklisten durch."

Am Donnerstag geht es für Whiting weiter mit Teambesprechungen und der abschließenden Streckeninspektion: "Ich habe eine Liste von ungefähr fünfzig Punkten, die ich mit dem Angestellten der Rennstrecke durchgehe. Wenn ich mit ihm 20 Jahre zusammengearbeitet habe, gibt es dann Dinge, die nicht allzu lange brauchen. Am Freitag ist das erste, was passiert, dass die Strecke nochmal inspiziert wird. Es wird überprüft, ob die Streckenposten am Platz sind und ob alle Rettungs- und Krankenwagen für das erste Freie Training bereitstehen." Auch das Rennstreckenbeleuchtungssystem wird einer Überprüfung unterzogen.

Fahrerbesprechungen mit Kimi Räikkönen

Whiting, der vor seinem Beruf als Rennleiter bei den Formel-1-Teams Surtees, Hesketh und Bernie Ecclestones Brabham angestellt war, staucht die klassischen Fahrerbriefings aus den 1990er-Jahren mittlerweile zeitlich zusammen, da er nicht glaubt, dass man sie in der Form noch brauche: "Ich schicke den Fahrern am Donnerstag ein drei- bis vierseitiges Dokument und bespreche es dann mit den Teammanagern. Es sollte also keinen Bedarf geben, die Fahrer zu briefen."

Die eigentlichen Besprechungen bestehen heute aus einem Briefing, das nach dem zweiten Freien Training stattfindet: "Das erlaubt den Fahrern, ihre Eindrücke vom Kurs zu schildern und Vorkommnisse aus dem vorangegangenen Rennen zu besprechen." Das Redeverhalten der Piloten sei dabei von Thema zu Thema und von Fahrer zu Fahrer recht unterschiedlich: "Du weißt, wenn Kimi Räikkönen etwas sagt, dann ist es wichtig, denn er sagt sonst nie etwas. Wenn er sich aber dazu berufen fühlt, tut er es, weil er muss. Ich mag Kimi. Ein echter Star."

"Du weißt, wenn Kimi Räikkönen etwas sagt, dann ist es wichtig, denn er sagt sonst nie etwas." Charly Whiting

Starts per Hand, Rennen auf 40 Bildschirmen

Am Rennsonntag schaltet die Boxenampel eine halbe Stunde vor dem Rennen automatisch auf Grün, damit die Fahrer die Boxengasse Richtung Startaufstellung verlassen können. Eine viertel Stunde später springt sie wieder auf Rot. Auch wenn - zumeist um 14 Uhr Ortszeit - die Startampel auf Grün springt, um die Einführungsrunde einzuläuten, ist der Vorgang noch automatisch. Jedoch läuft die Startprozedur nach wie vor von Hand ab: "Am Ende der Formationsrunde sehe ich, wie sich alle in Position bewegen. Sobald sie stehen, lasse ich die roten Lichter angehen. Wenn sie alle an sind, schaue ich, ob es Probleme gibt - gelbe Flaggen und so weiter.

Bernie Ecclestone, Charlie Whiting, Riccardo Patrese

Bevor die Rennleiter-Karriere losging, machte Whiting (l.) bei Brabham Station Zoom

"Wenn alles okay zu sein scheint, drücke ich den Knopf, um die Lichter auszuschalten. Das wird alles von Hand getan. Wenn es ein Problem gibt, breche ich den Start ab."

Das Rennen verfolgt er zusammen mit dem Rest der Rennleitung an 30 bis 40 Bildschirmen, die ihm jeden einzelnen Winkel des Kurses zeigen. Jede einzelne Bewegung wird überwacht und aufgezeichnet, sodass einem Vorfall sofort auf den Grund gegangen werden kann: "Wir haben ein Überwachungssystem, das Auskunft über die Streckenposition aller Wagen gibt und wodurch wir alle Lichtsignale schalten können. Es verrät uns auch, ob ein Fahrer in einer Safety-Car-Phase zu schnell ist oder ein anderes Auto überholt."


Fotostrecke: Die hektischen Minuten vor dem Start

Safety-Car: Wenn Whiting die Teams stummschaltet

Über die Jahre erfuhr Whitings Job eine ziemliche Veränderung. Verglichen mit der digitalen Welt von heute wirkt seine Anekdote aus Interlagos wie tiefstes Mittelalter: "Vor zwanzig Jahren hatte man in Brasilien keine Kameras (als Rennleitung zur Verfügung; Anm. d. Red.). Wir saßen einfach auf dem obersten Stock des Turms für die Rennleitung, benutzten Ferngläser und hörten uns an, was die Streckenposten zu sagen hatten. Seitdem hat sich viel getan."

Auch beim Boxenfunk hört die Rennleitung mit. Wenn die Teams den Wunsch haben, mit Whiting in Kontakt zu treten, gibt es für sie einen Knopf "Race Control", wodurch Whiting die Worte "Team calling" ins Ohr bekommt und über Leuchtsignale vor sich sehen kann, um welches Team es sich handelt: "Es gibt aber auch Hochdruck-Situationen, zum Beispiel in Safety-Car-Phasen: Wenn alle Lichter angehen, habe ich einen netten Knopf zum Stummschalten, damit ich nicht die ganze Zeit 'Team, Team, Team' zu hören bekomme."