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Pirelli-Krisengipfel: Hembery stellt Bedingungen für Verbleib

Angriff ist die beste Verteidigung: Wie es Pirelli geschafft hat, das Desaster von Spa zum eigenen Vorteil zu nutzen und die Fahrer mit einem Maulkorb zu versehen

(Motorsport-Total.com) - In Spa-Francorchamps war Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery der große Buhmann. Doch in Monza ging der italienische Einheitsreifenhersteller in die große Gegenoffensive. Bei einem Krisengipfel, den Sebastian Vettel in Belgien nach seinem Reifenplatzer mit der harschen öffentlichen Kritik auslöste, machte Hembery die zahlreichen Zwänge in der Formel 1 für den Zwischenfall verantwortlich und stellte zahlreiche Grundbedingungen für den Weiterverbleib in der Königsklasse des Motorsports.

Titel-Bild zur News: Paul Hembery

Cleverer Stratege: Paul Hembery nimmt die Teams nach Spa in die Pflicht Zoom

Öffentliche Querschläge gegen Pirelli, wie sie von Vettel und später auch von Lewis Hamilton geäußert wurde, wird es demnach in Zukunft nicht mehr geben. "Es ist nicht gerade vorteilhaft, wenn berühmte Leute solche Dinge sagen", fürchtet Hembery einen Imageschaden für seinen Arbeitgeber. Auf die Frage, ob Kaliber wie Vettel, Fernando Alonso oder die Mercedes-Stars nicht öffentlich ihre Meinung sagen dürften, reagiert der Brite mit einem Ausweichmanöver.

"Sie wurden darum gebeten, ihre Meinung auf die richtige Art und Weise zu äußern, also beim Team und bei uns. Es passieren andere Dinge in diesem Sport, und sie geben ihre Meinung auch nicht preis. Es muss einfach ausgeglichen sein, das ist alles."

Gegenleistung für Maulkorb: Pirelli bietet Piloten mehr Gehör an

Vettel, Alonso, Nico Rosberg und Lewis Hamilton waren bei der Besprechung neben Vertretern der Teams Ferrari, Mercedes und Red Bull sowie Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, Pirelli-Boss Marco Tronchetti-Provera und Hembery anwesend. Und sorgten für Zündstoff. Laut den Kollegen von 'auto motor und sport' war es Vettel, der erneut kritisierte, dass Reifen nicht ohne Vorwarnung platzen dürfen, und von Alonso Rückendeckung erhielt. Der Spanier argumentierte, dass Pirelli die Fahrer im Dunkeln tappen ließe und erst zehn Tage nach dem Crash mit einer Erklärung rausrückte.

Hembery machte daraufhin die schlechte Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen in der Formel 1 für die außer Kontrolle geratene Situation in Spa verantwortlich, als Vettel gemeint hatte, dass die Pneus seit Jahren nicht die gewünschte Leistung lieferten.

"Die Piloten wurden darum gebeten, ihre Meinung auf die richtige Art und Weise zu äußern, also beim Team und bei uns." Paul Hembery

"Wir haben also vorgeschlagen, regelmäßig Sitzungen mit den Fahrern durchzuführen, damit wir ihre Standpunkte kennen und diese den anderen Parteien näherbringen können", erklärt Hembery. Und wenn wir merken, dass die Standpunkte zu weit auseinanderliegen, dann werden wir darum bitten, dass man uns eine klare Richtung vorgibt."

Pirelli weist Kritik von Vettel von sich

Am Ende könne Pirelli nur den Anweisungen von oben nachkommen, schob aber die Schuld an den Reifenproblemen von Spa von sich: "Manche Fahrer wollen dies, der Sport will das, die Öffentlichkeit will wieder was anderes. Diese Diskussion muss offen geführt werden. Es wird vielleicht jemanden geben, der nicht mag, was entschieden wird, aber wenn sich der Sport dafür entscheidet, dann muss man damit klarkommen."

Die Kritik, dass Pirelli nicht in der Lage sei, ordentliche Reifen zu bauen, stößt Hembery sauer auf: "Wir können Reifen bauen, mit denen man nicht überholen kann, aber dann heißt es wieder: So langweilig war die Formel 1 noch nie. Und wir haben zwei Überholmanöver pro Rennen."

Niki Lauda, Bernie Ecclestone

Mit den aktuellen Reifen erfüllt Pirelli laut Hembery nur Ecclestones Wunsch Zoom

Nach dem Zugeständnis, der Meinung der Fahrer mehr Beachtung zu leisten, griff der Brite die Teams an. Sie würden Pirelli nicht ausreichend Informationen über ihre Autos zukommen lassen, wodurch ein Sicherheitsrisiko entstehe. "Es gibt in der Formel 1 immer diese Paranoia, wenn es darum geht, Informationen preiszugeben", schießt Hembery gegen die Teams. "Und wenn jemand etwas gefunden hat, einen Performance-Vorteil, dann will man ihn behalten. Manchmal kann sich das auch auf unsere Situation auswirken."

Teams tragen Mitverantwortung für Sicherheit der Reifen

Was er damit genau meint? "Es ist nicht jedes Chassis gleich, und es gibt gewisse Entwicklungen bei gewissen Autos, die ich jetzt nicht erklären kann, die aber aus Sicht des Asphalts eine unterschiedliche Betrachtungsweise erfordern." Das stelle Pirelli vor eine große Herausforderung: "Wir haben zehn unterschiedliche Autos und müssen uns immer mit dem Worst-Case-Szenario auseinandersetzen. Und wenn wir das nicht einschätzen können, dann macht das unsere Arbeit sehr schwierig."

Daraufhin willigten die Teams ein, Pirelli in Zukunft mit besseren Informationen zu versorgen, damit unerwartete Reifenschäden wie in Belgien vermieden werden könne. Doch Pirelli nutzte die Gelegenheit, um die nächste Problematik auf den Tisch zu bringen: das Reglement für die Saison 2017.

"Es gibt in der Formel 1 immer diese Paranoia, wenn es darum geht, Informationen preiszugeben." Paul Hembery

Noch ist nicht entschieden, ob Pirelli oder Michelin die Ausschreibung für die neue Formel-1-Ära, in der die Boliden und Hinterreifen breiter werden sollen, gewinnen wird. Formel-1-Boss Ecclestone deutete aber bereits an, dass sich die Italiener gute Chancen ausrechnen dürfen.

Hemberys Bedingungen für neuen Vertrag ab 2017

Hembery stellt nun Bedingungen für den Verbleib: "Wir können nicht weitermachen, wenn wir unsere Arbeit nicht machen können. Und es gibt gewisse Zwänge in diesem Sport, die sich nicht mit den Dingen vereinbaren lassen, um die wir gebeten werden, wie zum Beispiel das Testverbot. Wir fordern also ein ordentliches Testprogramm."

Auch wie dieses Programm, das die Daten zum Design der neuen Reifengeneration liefern soll, aussehen muss, hat man sich bei Pirelli bereits überlegt: "Das Auto muss anders sein als das aktuelle, denn die Spur wird breiter sein, es wird mehr Abtrieb haben. Wir können nicht einfach das aktuelle Auto mit breiteren Reifen versehen."

"Wir können nicht weitermachen, wenn wir unsere Arbeit nicht machen können." Paul Hembery

Neben einem zuverlässigen Testträger fordert man "die Teilnahme der Top-Piloten. Sie müssen die Produkte bestimmen, die wir dann in die Saison mitnehmen. Sie pushen auf der Strecke, sie rufen das gewisse Extra ab, was sie von den anderen Fahrern unterscheidet. Wir wollen sie in den Entscheidungsprozess einbinden."

Pirelli wünscht sich Standard-Randsteine

Auch das Timing wird kommende Saison eine Herausforderung werden, da der Kalender erstmals 21 Rennen umfasst. "Wir müssen schauen, wie wir unser Programm in einem sehr engen Rennkalender unterbringen", bestätigt Hembery. "Es ist noch nicht klar, ob zwei Teams an jeder Testsession teilnehmen werden, oder ob es nur ein Team geben wird. Wir würden sechs Tests zu je drei Tagen brauchen. Und im Frühjahr 2017 haben wir natürlich die Wintertests. Das sind unsere Bedingungen."

Darüber hinaus hat er einige Wünsche, um Reifenplatzer für die Zukunft ausschließen zu können: "So einen Schnitt wie bei Vettels Reifen in Spa haben wir in fünf Jahren nie gesehen. Wir benötigen also Standard-Abläufe, wenn es um die Säuberung der Strecken geht. Und im Idealfall gäbe es in Zukunft auch Standard-Randsteine." Hembery weiß aber, dass die Umsetzung wegen der Kosten schwierig wird.