• 02.07.2015 15:48

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Gary Anderson: Wie man Mercedes-Dominanz beenden kann

Der ehemalige Formel-1-Designer Gary Anderson beantwortet Fanfragen und fordert die Hersteller auf, das Token-System zu verändern

(Motorsport-Total.com) - Ex-Technikchef Gary Anderson stellt sich wieder interessanten Fragen der Formel-1-Fans: Welche Auswirkungen hätten zwei vorgeschriebene Boxenstopps? Warum macht man die Belüftungen für die Bremsen nicht größer und wie wird man DRS wieder los? Der frühere Jordan-Designer verrät außerdem, warum Thierry Boutsen 1993 so lustlos zu Werke gegangen ist. Um die aktuelle Dominanz von Mercedes zu brechen, hat Anderson einen interessanten Vorschlag.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Technik-Experte Gary Anderson stellt sich den Fragen der Formel-1-Fans Zoom

Mike Farr (E-Mail): "Gary, wie bewertest du die Dominanz von Mercedes? Ich habe genug von all den negativen Kommentaren."
Gary Anderson: "Die Abteilungen für Motor und Chassis haben sehr gut gearbeitet. Ross Brawn war der Initiator für die Personalstruktur. Er war der Meinung, dass das notwendig war, um die Red-Bull-Dominanz von 2010 bis 2013 zu beenden. Leider wurde er ersetzt, bevor er die Früchte des Erfolges ernten konnte. Wir müssen uns auch in Erinnerung rufen, dass er der Mann hinter der Dominanz von Michael Schumacher bei Benetton und Ferrari war."

"Wenn ein Chassis- oder Motorenhersteller es richtig hinbekommt, dann gibt es für eine bestimmte Periode eine Dominanz. Das war schon seit vielen Jahren der Fall und ich bin mir sicher, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird. Ich mache mir aber über den Vorsprung Sorgen. Es ist nicht die Schuld von Mercedes, dass es die anderen falsch gemacht haben. Da das Antriebsreglement so eng geschnürt ist, ist es für die anderen schwierig, das aufzuholen."

"Im Interesse der Formel 1 sollte Mercedes nachgeben. Sollte dieses dumme Token-System bleiben, dann sollte den anderen Herstellern über die FIA zusätzliche Token erlaubt werden. Oder wir gehen den anderen verrückten Weg und machen eine Motormeisterschaft. Punkte werden für die höchste Platzierung eines Motors vergeben und am Ende wird es so angepasst, dass keiner einen Vorteil hat, wenn man zusätzliche Teams ausrüstet."

Nico Rosberg

Mercedes dominiert seit 2014 die Formel 1 fast nach Belieben Zoom

"Wenn Mercedes 600 Punkte hat, wird es durch die Anzahl der Autos (acht) dividiert. Dann gibt es 75 Punkte pro Auto. Für jeden Hersteller gilt der gleiche Ansatz. Dann müsste man Anhand des Punkteunterschieds zwischen den Herstellern Token vergeben. Momentan würde Honda viele Token bekommen, Mercedes keine. Als zusätzlicher Bonus ist es wichtig, dass man auch kleine Teams, die wenige Punkte sammeln, ausrüstet, denn sie zählen in der Rechnung als ausgerüstetes Team."

Thomas Freres (E-Mail): "Thierry Boutson war der letzte Grand-Prix-Sieger Belgiens. Ich habe mich oft gefragt, warum seine Karriere nach den Höhepunkten bei Williams so rasch nach unten gegangen ist. Du hast mit ihm in seiner letzten Phase in der Formel 1 gearbeitet. Ich würde gerne wissen, wie er während der Saison 1993 war. Warum hat er nach dem Rennen in Belgien aufgehört? Die gleiche Frage stellt sich auch bei Ivan Capelli, der bei Leyton House eine Entdeckung war."

Thierry Boutsen

Thierry Boutsen fuhr 1993 seine letzte Formel-1-Saison für Jordan Zoom

Anderson: "Als Thierry Boutsen zu uns gekommen ist, war er am Ende seiner Karriere. Er kam zu uns, weil wir von Barclay gesponsert wurden. Es war eine belgische Firma. Da wir keine tolle Saison hatten, dachte man, dass es mit einem belgischen Fahrer nicht so schmerzvoll sein würde. Außerdem könnte er uns Erfahrung einbringen. Als er das erste Mal für uns in Silverstone getestet hat, machte er er sehr gut, obwohl er kaum Platz im Auto hatte. Wir schafften dann im Chassis mehr Platz, aber ich habe von ihm nie mehr diese Hingabe gesehen."

"Damals war der Motorsport viel gefährlicher als heutzutage. Wenn man sich entschieden hat, diese Risiken nicht mehr einzugehen, dann war es besser, wenn man seinen Helm an den Nagel hängte. Sein Rücktritt in Spa war ein guter Zeitpunkt. Er hatte seine Motivation verloren und der Zeitpunkt war richtig."

"Bei Ivan Capelli glaube ich, dass er sich nie davon erholt hat, als er sich in Kanada 1992 mit dem Ferrari in Kurve 4 den Kopf angeschlagen hat. Außerdem ist es für einen Italiener ein schwieriger Abstieg, wenn man von Ferrari zu Jordan wechselt."

Technologie dominiert alles

Al Gordon (E-Mail): "Es hat den Anschein, dass die Technologie heute alles dominiert und der Fahrer nur noch einen geringen Anteil beiträgt. Was kann getan werden, um den Schwerpunkt auf die Fähigkeiten der Fahrer zu verlagern?"
Anderson: "Ich stimme zu, aber um das zu erreichen, muss man einen Rückschritt machen. Das will aber niemand tun. Man braucht ein Reglement, das es einem Fahrer erlaubt, seine Fähigkeiten zu zeigen."

"Ich denke, die Tage von Prost und Senna sind ein gutes Beispiel dafür. Ayrton Senna konnte etwas mehr Rundenzeit finden, als es am meisten zählte. Alain Prost hat seine Bemühungen in die Autoabstimmung gesteckt und fand auf diese Weise die Rundenzeit."

Alain Prost

In den 1980er-Jahren hatte der Fahrer einen größeren Einfluss als heute Zoom

"Regeln zu finden, damit die Technologie des Autos nicht die Talente der Fahrer überstrahlt, ist nicht einfach, aber es muss getan werden. Ich habe genug davon, wenn alle über Änderungen in der nächsten Woche sprechen. Sie müssen sich von dem Hype des Rennens loslösen und daheim vorm Fernseher sitzen. Dann werden sie realisieren, dass es sich nicht um die beste Action handelt."

Vorgeschriebene Pflichtstopps?

Eugene Seatter (E-Mail): "Hi Gary! Bei all den diskutierten Änderungen um die Formel 1 wieder spannender zu machen, habe ich nirgendwo gelesen, dass man zwei Boxenstopps vorschreiben könnte. Es ist bereits vorgeschrieben, dass man beide Reifenmischungen benutzen muss. Warum schreibt man dann nicht zwei Boxenstopps vor? Würde das nicht aus strategischer Sicht die Show verbessern? Außerdem müssen die Fahrer die Reifen nicht so sehr schonen."

Anderson: "Deine Idee würde das Risiko minimieren, dass die Fahrer ihre Reifen extrem schonen müssen. Aber wann machst du die Boxenstopps. Wenn zwei Stopps besser sind, dann werden die Leute sagen, warum machen wir nicht drei? Für die versierten Fans ist es sehr interessant, wie sich unterschiedliche Strategien entwickeln. Aber für Zuschauer kann es eine sehr verwirrende Phase im Rennen sein. Das ist der Zeitpunkt, wenn man in den Garten geht und den Rasen mäht."

Felipe Massa, Boxenstopp

Würden zwei Pflichtboxenstopps zu mehr Spektakel führen? Zoom

"Ich denke, die meisten Fans, Zuschauer und auch die involvierten Personen wollen Racing auf der Strecke sehen. Dafür muss das Technische Reglement angepasst werden, um enges Racing zu ermöglichen. Die Reifen müssen robust genug sein, um engen Rennsport aushalten zu können. Die Sportlichen Regeln müssen das ermöglichen. Wenn sich im Moment zwei Autos leicht berühren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Fahrer eine Strafe bekommt. Das ist genau das Gegenteil, um enges Racing und Überholmanöver zu fördern."

Aerodynamik zu ausgefeilt

@TheWheelspinner (Twitter): "Warum macht deiner Meinung nach Honda bei der Entwicklung des Energierückgewinnungssystem nur langsam Fortschritte?"
Anderson: "Ich habe mit unterschiedlichen Motorenherstellern gearbeitet, und die Japaner sind die härtesten. Ihr größer Nachteil, zu einem gewissen Maß ist das ihre Einstellung, ist, dass sie einen genauen Plan haben. Wenn der Plan stimmt, dann sind sie die Besten. Wenn der Plan aber nicht stimmt, dann haben sie keinen Mechanismus, um die Richtung zu ändern. Ich habe seit dem ersten McLaren-Honda-Test gesagt, dass jemand aufstehen und das Projekt unter Kontrolle bringen muss. Sie sind viel zu lieb zueinander. Ich sehe bis heute niemanden, der das macht."

@StegTheDinosaur (Twitter): "Viele Fahrer beklagen sich über die Bremsen, wenn sie einem anderen Auto folgen. Wären verstellbare Einlässe für die Bremskühlung eine Lösung?"
Anderson: "Das Problem mit den Bremsen ist hausgemacht. Wenn man größere Einlässe für die Kühlung montieren würde, würde man etwas Abtrieb verlieren. Sie versuchen also die kleinstmögliche Öffnung zu haben. Das erlaubt es, größere und effizientere Luftleitbleche auf den Bremskühlungen zu montieren, um mehr Abtrieb zu haben."


Silverstone: Härtester Bremspunkt

Das sind die Herausforderungen, denen sich die Bremsen beim Grand Prix von Großbritannien stellen müssen Weitere Formel-1-Videos

"Diese Abtrieb generierenden Teile bei den Schächten für die Bremskühlung würde ich sofort verbieten. Gemäß Reglement sind sie eigentlich illegal, aber das ist ein Teil des Problems, das die Formel 1 dorthin gebracht hat wo sie heute steht. Die Regeln werden nicht durchgesetzt. Es heißt zum Beispiel, dass der Fahrer das Auto alleine und ohne Hilfe fahren muss."

Lenkrad

Die Lenkräder sind in der aktuellen Formel 1 eigentlich Computer Zoom

"Wenn ich Mathematikaufgaben gestellt bekomme und ich erhalte einen Taschenrechner, einen Stift und ein Blatt Papier, muss ich es alleine und ohne Hilfe lösen. Ja, ich muss die richtigen Tasten drücken, aber die Antwort kommt nicht von mir, sondern vom Taschenrechner. Genau das macht ein Fahrer bei einem Gangwechsel. Er drückt den richtigen Schalter, alles andere erledigt der Computer. Wenn man bestehende Regeln durchsetzen würde, würde das viele Probleme lösen."

Calum Edward (Twitter): "Besteht eine realistische Chance, dass DRS mit den neuen Regeln 2017 abgeschafft wird?"
Anderson: "Ich kann es nur hoffen. Das DRS ist eine Notlösung, weil die Autos nicht nahe genug hintereinander fahren können, ohne zu viel Abtrieb zu verlieren. Als die Aerodynamikregeln 2009 eingeführt wurden, gab es auch den verstellbaren Frontflügel. Damit wollte man dem verlorenen Abtrieb entgegenwirken, wenn man einem anderen Auto nahe folgt. Es ist aber ein sehr gutes Beispiel, wie man für die Lösung eines einfachen Problems eine komplizierte Lösung schuf. Wenn man die Basis richtig macht, wird sich der Rest von selbst lösen."

@eggry (Twitter): "Craig Scarborough vermutet einen Turbokompressor beim Antriebssystem von Honda. Was sind die Vor- und Nachteile davon?"
Anderson: "Ich kenne nicht den genauen Unterschied bei der Effizienz, aber ich weiß, dass viele Firmen über viele Jahre an der Turbinenversion eines Turbo gearbeitet haben. Honda muss das Rad nicht neu erfinden. Wenn ich in das Design des Honda-Antriebs involviert wäre, hätte ich einen Turbokompressor sehr früh von der Liste gestrichen. Ich kann nur Craigs Vermutungen kommentieren, aber ich muss zugeben, dass ich sehr überrascht wäre, wenn sich Honda dafür entschieden hätte."