• 26.05.2015 19:48

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Gary Anderson: Lasst die Mercedes-Strategen in Ruhe

Der ehemalige Technikchef Gary Anderson findet, nach dem Strategie-Patzer von Mercedes in Monaco sollte man mit Schuldzuweisungen vorsichtig sein

(Motorsport-Total.com) - Wer im berühmten Casino von Monte Carlo schon einmal Roulette gespielt hat weiß, dass man nichts gewinnt, wenn man seinen Einsatz gleichmäßig auf Schwarz und Rot verteilt. Nun, als nach Max Verstappens Unfall in St. Devote erst das virtuelle und dann das echte Safety-Car rauskamen, wollte Mercedes den großen Gewinn und ging ein Risiko ein. Sie setzten alles auf Rot.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Die Mercedes-Verantwortlichen müssen sich viele unangenehme Fragen stellen Zoom

Das ging nicht auf und statt eines Doppelerfolgs und dem sicheren Sieg von Lewis Hamilton gewann Nico Rosberg und Ferrari wurde auch noch der zweite Platz für Sebastian Vettel geschenkt. Das Ergebnis war ein niedergeschlagener Hamilton.

Wir haben seither alle möglichen Gründe gehört, warum Hamilton zum Boxenstopp gerufen wurde. Nico Lauda brachte es aber auf dem Punkt als er erzählte, es habe "sehr viel Gerede und Verwirrung über Funk" gegeben, was letztendlich zu der falschen Entscheidung führte.

Man muss die Dinge voraus sehen können

Ich selbst war oft an der Boxenmauer verantwortlich für Autos im Einsatz. Wenn so etwas wie der Unfall von Verstappen passiert, muss man darauf vorbereitet sein und eine klare Vorstellung davon haben, was in bestimmten Situationen passieren muss, damit man richtig reagieren kann. Und man muss schnell sein.

Das wichtigste ist jedoch, dass nicht gleich ein Haufen Leute eingreift, die nicht alle auf diese Art von Entscheidungen ausgerichtet sind. Denn so entsteht "Gerede und Verwirrung" und die Leute stehen am Ende dumm da.

Gary Anderson, Rubens Barrichello, David Coulthard

Gary Anderson (links) kann sich in die Entscheidungsträger hinein versetzen Zoom

Wenn man jemanden für den Job hat, dann soll der das erledigen. Manchmal muss man innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen und manchmal kann sich die Situation innerhalb dieser kurzen Zeit dramatisch ändern.

Entscheidung in Hamiltons Fall gar nicht so schwierig

Man muss daher eine verantwortungsvolle Person entscheiden lassen. Später kann dann beurteilt werden, ob derjenige für den Job gemacht ist, aber nicht während des Prozesses. Wer weiß, wenn Mercedes die richtigen Leute ihren Job hätte machen lassen, dann wäre vielleicht die richtige Entscheidung gefallen.

Ich würde die Position meines Autos und den Abstand zu den Autos davor oder dahinter in jeder Runde neu beurteilen. Wenn man dieses klare Bild im Kopf hat, wird man wissen, wie und ob man auf einen Boxenstopp der anderen reagieren muss. Sollte man es ihnen gleich tun? Sollte man draußen bleiben und Gas geben, um die Lücke zu vergrößern? Oder kann man sein Auto an die Box rufen, ohne die Position zu verlieren?


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Monaco


In Hamiltons Fall war das sogar noch einfacher, weil er führte und man daher nur die Lücke zu den Autos hinter ihm berücksichtigen musste. Nur Rosberg und Vettel waren nah genug dran, um gefährlich zu werden, was die Rechnung nicht allzu schwer machte.

Keines der vier ersten Autos hätte stoppen sollen

In Runde 63, bevor das virtuelle Safety-Car angezeigt wurde, lag Hamilton 19,2 Sekunden vor Rosberg, der 1,8 Sekunden vor Vettel fuhr. Vettel lag 11,6 Sekunden vor Kwjat, also war keiner von Hamiltons Rivalen in der Lage, einen Boxenstopp zu riskieren, ohne seine Position zu verlieren.

Als Hamilton rein gerufen wurde, war klar, dass er seine Position an Rosberg verlieren würde, und mit dem kleinsten Zeitverlust, der wegen des Verkehrs in der Boxengasse auch eintrat, auch an Vettel. Jede vernünftige Analyse der Situation ergab, dass keines dieser vier Autos an die Box hätte kommen sollen.

Die Tatsache, dass drei davon es auch nicht getan haben, Hamilton aber schon, sagt einem alles, was man wissen muss. So einfach ist das. Alles andere, was man hätte bedenken können, wie etwa zu denken, dass einer der anderen hätte rein kommen können, war bei den gegebenen Umständen einfach unwahrscheinlich.

Safty-Car-Umstände müssen in Monaco klar sein

Die Position auf der Strecke ist in Monaco alles - vor allem bei der Stabilität der Reifen dort. Es ist also nicht so, dass frischere Reifen einem das Überholen garantieren würden. Die ersten vier hätten alle draußen bleiben müssen. Wenn einer gestoppt hätte, wäre die Position ohnehin weg gewesen.

Was man außerdem immer bedenken muss, ist die Art von Unfällen auf dieser Strecke und wie lang eine Safety-Car-Phase - ob nun in echt oder virtuell - dauern kann. Man hat Fahrer gehört, die über Funk gefragt haben, wie lang die Aufräumarbeiten dauern könnten. Das zeigt den Wert solcher Informationen.

In diesem Fall war es ein recht heftiger Unfall, bei dem man nie sicher sein kann, ob der Fahrer nicht durch Teile, die das Chassis durchbohren und seine Beine treffen, verletzt wurde. Wenn so etwas passiert, könnte der Fahrer für einige Zeit festsitzen. Auch die Reparatur der Streckenbegrenzung muss bedacht werden.

Überrundete sorgen wieder für Ärger

Wenn so etwas eingetreten wäre, hätte das Rennen hinter dem Safety-Car beendet werden oder mit roten Flaggen unterbrochen werden können. Da bereits 75 Prozent des Rennens absolviert waren, hätte es auch mit voller Punkteausgabe abgebrochen werden können. Und bei roten Flaggen und Neustart hätte man sowieso Reifen wechseln können!

Tatsächlich hat das alles, abgesehen von der Verwirrung um das virtuelle Safety-Car, das dem echten voraus ging, gar nicht so lang gedauert. Es folgte nur noch diese lächerliche Notwendigkeit, dass die überrundeten Autos am Safety-Car vorbei mussten, was dem Rennen ein bis zwei Runden Renngeschehen gekostete haben dürfte.

Nico Rosberg, Sebastian Vettel, Valtteri Bottas

Erst als alle Überrundeten vorbei waren kam das Safety-Car wieder rein Zoom

Überrundete Autos sollten ans Ende des Feldes zurück geschickt werden. Das würde viel schneller gehen und sie könnten mit ihrem Rennen fortfahren, wenn das Safety-Car wieder rein kommt. Wenn sie überrundet werden, können sie ruhig ein bis zwei Runden zurück bleiben. Sie wären so aus dem Weg für die, die vorne um die Punkte, und im Endeffekt auch um die Weltmeisterschaft, kämpfen.

Überholen war unmöglich

Bei allem, was wir bisher darüber gehört haben, habe ich immer noch keine Ahnung, warum Hamilton rein gerufen wurde. Es macht einfach keinen Sinn. Das ist ähnlich sinnig, wie sechs Monatslöhne auf die rote 23 zu setzten, ohne für dieses Risiko belohnt zu werden. Hamilton hatte das Rennen eigentlich schon gewonnen. Ich hoffe, keiner von Mercedes war in Monte Carlo im Casino...

Noch verwirrender war das Ganze, weil Überholen in Monaco schon immer schwierig war. Es ist eine dieser Strecken, wo das DRS reine Zeitverschwendung ist, was auf dieser kurzen Start-Ziel-Geraden Sinn macht.

Es gibt außerdem das Problem, dass die Autos einfach nicht dicht genug aneinander dran bleiben können. Es wird immer behaupten, man könne anderen Autos in schnellen Kurven nicht folgen. Aber auch in mittelschnellen und langsamen Kurven spielt der Abtrieb eine Rolle.

Es muss sich etwas ändern

Jedes Mal, wenn ein Auto aerodynamische Kräfte entwickelt, um den Grip zu verbessern, ist es wegen der Luft-Turbulenzen, die es dabei verursacht, schwierig, ihm zu folgen. Ein Beweis dafür sind Hamiltons letzte zehn Runden beim Monaco-Grand-Prix.

Er befand sich mit neuen und schnelleren Supersoft-Reifen hintere Vettel, dessen Soft-Reifen schon 30 Runden hinter sich hatten und außerdem wegen der Safety-Car-Phase an Temperatur verloren hatten. Er hat ihn hetzen können, aber es sah nie aus, als wäre er in der Lage gewesen sein, innen vorbeizuziehen.


Fotostrecke: GP Monaco, Highlights 2015

Ich hoffe inständig, dass einer der Entscheidungsträger für die zukünftige Richtung der Formel 1 einmal seine rosarote Brille lange genug abnimmt, um zu sehen, was mir auffällt. Ich hoffe, dass es einige Vorschläge zu Gunsten der Rennaction geben wird, um den derzeitigen Prozessionen, bei denen nur strategische Entscheidungen über die Reihenfolge entscheiden, entgegenzuwirken.