• 02.05.2015 13:41

  • von Jonathan Noble (Haymarket)

Caterhams Niedergang: Große Träume, fatale Entscheidungen

Wieso ein Platzregen über Silverstone und Panik vor einer Schlappe gegen Marussia den Anfang vom Ende einläuteten - Potenzial und Fortschritte waren vorhanden

(Motorsport-Total.com) - Die Geschichte der Formel 1 ist eine voller Episoden, die Aufstieg und Niedergang von Teams erzählen. Wenn Hinterbänkler die Schotten dichtmachen, wird eine Statistik gerne hervorgekramt: Nur sechs Prozent der Mannschaften, die sich im Laufe der Jahrzehnte an der Königsklasse beteiligten, haben überlebt und sind noch heute dabei. Der Fall Caterham ist nicht nur deshalb emotional, weil es sich um das jüngste Opfer handelt. Es gibt noch etwas, was das Akzeptieren schwierig macht.

Titel-Bild zur News: Kamui Kobayashi

An Kamui Kobayashi lag es nicht, dass Caterham gegen die Wand fuhr Zoom

Während sich kaum jemand ernsthaft vorstellen konnte, dass sich Teams wie Andrea Moda, Life, Lola oder HRT jemals in der Formel 1 etablieren würden, schmerzt Caterhams Scheitern die Beteiligten mehr. Der Grund: Das Projekt war nahe dran, etwas zu werden. Es handelte sich nicht um einen Haufen Fantasten, der sich in dem Glauben zusammengerottet und selbst betrogen hatte, sie könnten aufschlagen und gewinnen. Stattdessen war es durchdacht, gut finanziert und wurde von klugen Köpfen unterstützt. Die Zutaten waren vorhanden, allerdings wurden sie nicht ordentlich zusammengerührt.

Wie bei jedem kollabierten Team war der Grund für das Scheitern am Ende, dass das Geld ausging. Wenn Rechnungen nicht beglichen werden, dann holt einen der nicht zu stillende Durst der Formel 1 nach frischem Geld ein und man begibt sich auf dünnes Eis. Das bewahrheitete sich auch bei Caterham. Allerdings macht ein Blick in die Geschichte des Teams klar, dass das Ende nicht so simpel war, als dass Tony Fernandes kurzerhand entschieden hätte, dass es an der Zeit wäre, den Geldhahn zuzudrehen.

Die Saison 2012 als "goldenes Zeitalter"

Im Gespräch mit denjenigen, die nahe dran waren, wird klar: Es zeichnete sich lange vor dem misslungenen Start in die Saison 2014 ab, dass getroffene Entscheidungen dem Team schaden würden. Einige Mitarbeiter sind sogar überzeugt, dass sich der Schlüsselmoment anhand einer Grafik ablesen lassen würde: Die blaue Kurve zeigt den prozentualen Rückstand des schnelleren Lotus- respektive Caterham-Autos auf den Gesamtschnellsten im ersten Qualifyingabschnitt. Umso näher die Kurve sich dem unteren Ende der Grafik näher, umso näher war das Team dran an der Spitze.

Es zeigt sich ein großer Abstand zu dem Zeitpunkt, als das Team erstmals an der Formel 1 teilgenommen hat. Anschließend wird deutlich, dass es zwei Jahre brauchte, um langsam in die Gänge zu kommen und konstante Fortschritte zu machen. Wirklich faszinierend ist aber die Phase ab Saisonanfang 2012, die von zahlreichen Beobachtern als "goldenes Zeitalter" des Teams gewertet wird. Das Team war nicht nur dauerhaft näher an der Spitze als jemals zuvor oder danach, es gab auch stetige Entwicklung.

Keine Grafik nach diesem Muster wird jemals eine Gerade ausweisen, aber der verallgemeinerte Trend ist einer der Verbesserung mit der kleinsten Lücke beim Bahrain-Grand-Prix 2012, als nur 1,1 Sekunden auf die Schnellsten fehlten, gefolgt vom Europa-Grand-Prix in Valencia. Anschließend wendet sich das Blatt. Der Anfang vom Ende darf bei der Entscheidung verortet werden, die gewohnte Aerodynamik-Entwicklung aufzugeben und stattdessen auf den angeblasenen Unterboden zu setzen.

Letzter Sargnagel Renault-Antrieb

Der angeblasene Unterboden wurde beim Rennen in Großbritannien tatsächlich eingesetzt, aber die Alarmglocken wurden überhört: Die Leistung litt, aber heftiger Regen täuschte über die wahre Leistung hinweg. Obwohl in der Theorie große Verbesserungen zu erkennen waren und Caterhams neuer Entwicklungschef John Iley das Potenzial von McLaren kannte, war das Team mit seinen Mitteln nicht in der Lage, die Aufgabe zu meistern. Nur die finanzstarken Truppen von Red Bull und McLaren kamen jemals damit klar - sie hatten aber ganz andere technische Möglichkeiten als Caterham.

Tony Fernandes

Tony Fernandes hatte große Träume, letztlich aber nicht die nötigen Ressourcen Zoom

Zu diesem Zeitpunkt war Caterhams Zukunft besiegelt, weil weiter auf den angeblasenen Unterboden hingearbeitet und dafür Mittel aufgewendet wurden - sowohl in Form technischer Ressourcen als auch in Form von Geld. Das Budget uferte aus, als verzweifelt versucht wurde, das Konzept umzusetzen. Die Kasse für die kommende Saison leerte sich, außerdem wurde in die Saison 2012 und die Vorbereitung auf die große Regelnovelle 2014 so viel investiert, dass kaum etwas für 2013 übrig blieb.

Die Geschichte danach ist schnell erzählt: Trotz des Versprechens, dass es in Ordnung sei, mit einem Minimum an Aufwand durch das Jahr 2013 zu kommen, machte sich Panik breit, als klar wurde, dass Caterham Marussia kaum noch etwas entgegenzusetzen hatte. Die Entscheidung, das aktuelle Auto umzugestalten und dafür weitere Einschnitte beim Budget hinzunehmen, wirkte sich negativ auf die Vorbereitungen für 2014 aus. Den letzten Sargnagel bedeutete der schlechte Renault-Antrieb des vergangenen Jahres.


Fotostrecke: Legendäre Formel-1-Teams a. D.

In der Formel 1 gibt es keine Wunder

Es ist einfach, dem Geschehen rückblickend einen roten Faden zu geben. Das Team hatte keine Ahnung, wie groß die Auswirkungen sein würden, als es sich dem angeblasenen Unterboden verschrieb und die weiteren Entscheidungen traf. Schlussendlich zeigt Caterhams Geschichte nur, dass es in der Formel 1 keine Wunder gibt. Sie steht und fällt mit der Qualität der Ingenieurskunst. Obwohl viele davon geträumt haben: Kein Zauber der Welt schafft es, im Handumdrehen für eine Wunderrundenzeit zu sorgen.

Giedo van der Garde

Giedo van der Garde erlitt 2013 mit Caterham eine Bruchlandung Zoom

Mike Gascoyne, der beim Aufbau des Teams eine tragende Rolle spielte, war einer derjenigen, der dem Caterham-Management früh den Kopf wusch. "Man muss es stetig aufbauen", sagte Gascoyne damals. Er war bis zur Schlüsselphase 2012 mit an Bord und meint rückblickend: "Es geht um langweiliges Entwickeln. Ich habe das immer wieder betont, aber die Leute wollten denjenigen glauben, die ihnen versprochen haben, es ginge von jetzt auf gleich. Das funktioniert aber nicht in der Formel 1."

Der Wunsch, den Anschluss an das Mittelfeld zu finden, kommentiert Gascoyne so: "Wie schafft man es, an diese Jungs heranzukommen? Es gibt diese Traditionsteams, sie haben Hunderte von Mitarbeitern. Wir haben es so gut gedeichselt, wie es eben nur ging. Ich denke nicht, dass es für ein neues Team möglich gewesen wäre, irgendetwas besser zu machen. Jede andere Truppe war schon zehn oder 15 Jahre im Geschäft. Die Phase der ersten Rennen 2012 zeigte, wie gut wir wirklich waren."

"Das Jahr 2012 zeigte, wie gut wir wirklich waren." Mike Gascoyne

Kovalainen: Gut, aber nicht gut genug für die Formel 1

Der Ehrgeiz überholte vielleicht die Realität. Fernandes war ein Mann mit dem Traum, an die Spitze heranzukommen, aber die Mechanismen der Formel 1 - ohne Budgetobergrenze, komplizierten angeblasenen Unterböden und Kosten außer Rand und Band - war das nie realistisch. Heikki Kovalainen hat die Mehrheit der Jahre mit Lotus respektive Caterham mitgemacht und beharrt darauf, dass das Team nie eine Konkurrenz für die Werksmannschaften, aber eine fixe Größe hätte werden können.

Heikki Kovalainen

Kovalainen glaubte an Caterham, doch die Sache ging in Rauch auf Zoom

Der Finne glaubt mittlerweile: "Das Team war klein, aber eine ziemlich gute Truppe. Das Problem war nur, dass es nicht in der Lage war, gegen Mittelfeld-Teams zu bestehen, von Topteams ganz zu schweigen. Die Ingenieure und die Designer waren aber sehr versiert. Es gab hart arbeitende sowie motivierte Mitarbeiter und das Team funktionierte als Rennteam. Es gab alle nötigen Abteilungen und die Organisation war professionell. Es war nur leider nicht genug für die Formel 1. Der Wettbewerb ist so hart, dass es noch etwas mehr braucht." Leider war mehr nicht vorhanden, als es nötig war. Jetzt ist es zu spät.