• 05.10.2014 13:42

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Talent, Spektakel, Risiko: Der schmale Grat Regenrennen

Hätte die Rennleitung bereits vor dem Bianchi-Unfall das Safety-Car aussenden oder den Grand Prix früher starten müssen? Die Piloten disktuieren Sicht und Reifen

(Motorsport-Total.com) - In den vergangenen Jahren erlebte die Sicherheitsdebatte in der Formel 1 einen Richtungsschwenk. Schier endlose Prozessionen hinter dem Safety-Car, sobald die ersten Regentropfen fallen, ließen Fans und Journalisten diskutieren, ob die besten Piloten der Welt in Watte gepackt werden? Ob den Zuschauern ein Filetstück Motorsport entgeht? Ob den Aktiven und insbesondere vermeintlichen Hinterbänklern die seltene Chance genommen wird, ihr Können unabhängig vom Material zu demonstrieren?

Der Unfall Jules Bianchis in Suzuka könnte der Sache eine neue Wendung geben, schließlich hat er unabhängig von seinem Ausgang das Potenzial, Menschen wachzurütteln. "Motorsport ist noch immer gefährlich", erinnert Rennlegende Niki Lauda, der 1976 im japanischen Regenchaos sein Auto abstellte und den Zweikampf mit James Hunt um den WM-Titel sausen ließ, um nicht sein Leben zu riskieren. "Wir gewöhnen uns, dass nichts passiert und sind plötzlich alle überrascht", sagt der Österreicher.

Die FIA und die Rennleitung werden sich nach den Vorfällen von Suzuka Kritik in zwei Punkten anhören müssen. Erstens: Als die Bedingungen um Runde 40 zunehmend schwieriger wurden, lief der Rennbetrieb weiter und das Safety-Car blieb zunächst in der Boxengasse. Zweitens: Ein Rennen, für das Meteorologen wegen des Taifuns Phanfone seit Tagen schwierige Umstände vorhergesagt hatten, wurde zur regulären Zeit gestartet, obwohl ein paar Stunden früher bei komfortableren Wetter hätte gefahren werden können.

Verzerrt Mercedes' Überauto das Urteil der Rennleitung?

Den ersten Punkt sehen die Piloten kontrovers. Sie diskutieren aber nicht die Frage, ob überhaupt noch die Durchführung eines Grand Prix möglich war, sondern, ob auf Intermediates gefahren werden konnte. Pirelli liefert aber einen reinen Regenreifen, den sich jeder an der Box hätte abholen können. Sebastian Vettel, der nochmal stoppte, entschied sich sogar gegen den blaumarkierten Pneu. "Es war hart an der Grenze", sagt der Red-Bull-Pilot. "Das Problem ist, dass die Sicht sehr schlecht ist, sobald viel Wasser da ist."

Gibt es aktuell den richtigen Reifen, wenn der Himmel seine Schleusen öffnet? "Dann funktioniert der Intermediate nicht mehr und der Regenreifen besitzt nur ein sehr, sehr kleines Arbeitsfenster", klagt Vettel. "Die Wasserverdrängung ist nicht so gut, wie sie sein sollte." Lewis Hamilton fühlte sich noch wohl im Auto und behielt den Durchblick: "Die Strecke ließ sich erkennen. Es wurden immer mehr Reflexionen sichtbar, was die Zunahme der Wassermenge zeigte. Ich habe aber keinen Unterschied gespürt und war in der Lage, das gleiche Tempo zu gehen."


Fotos: Großer Preis von Japan


Der Brite glaubt sogar, dass Regenreifen trotz zunehmenden Niederschlags in der Folge nicht nötig gewesen wären: "Wir hätten das Rennen wahrscheinlich auf diesen Pneus zu Ende fahren können." Sein Teamkollege Nico Rosberg gibt jedoch zu bedenken, dass nicht jeder Pilot einen Mercedes fährt: "Es war in Ordnung, aber wir haben eben auch so viel mehr Abtrieb als andere", beschreibt der Wiesbadener das Gefühl, mit dem derzeit besten Auto im Feld um den Kurs zu fliegen und hat Verständnis für die Konkurrenz.

"Wir haben viel mehr Abtrieb. Ich kann mir vorstellen, wie es anderen erging." Nico Rosberg

Sutil-Unfall kein Grund für Safety-Car-Einsatz

Rosberg meint in Richtung seiner Gegner: "Da kann ich mir vorstellen, wie es für sie gewesen ist. Es begann schon für uns, schwieriger zu werden. Wir waren kurz davor, auf die Regenreifen setzen zu müssen." Egal, auf welchen Pneus: Bianchi verunglückte im fraglos abtriebsschwachen Marussia zu einem Zeitpunkt, als an der Unfallstelle Adrian Sutils doppelt Gelb geschwenkt wurde. Das heißt: Bereitmachen zum Anhalten. Der Franzose könnte in Anbetracht des Ausmaßes seines Crashs zu schnell unterwegs gewesen sein.

Lauda hat Verständnis, dass das Safety-Car trotz des havarierten Sauber nicht aktiviert wurde: "Sutils Unfall war weit abseits der Fahrbahn, unter normalen Umständen würden wir darüber gar nicht sprechen. Das Auto wurde direkt weggeschleppt, und die Lücke, wo man das Auto hätte parken können, war auch sehr nah", erklärt der Mercedes-Verantwortliche und kommt zu einem ambivalenten Schluss: "So gesehen war die Entscheidung richtig. Aber wenn man mich jetzt fragt, würde ich sagen: Die Entscheidung war falsch."

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel setzte noch kurz vor Schluss auf neue Intermediates Zoom

Wenn es um den zweiten Aspekt - den regulären Startzeitpunkt - geht, hat Vettel eine Meinung, die den Sportkommissaren nicht schmeichelt. Er erinnert an Lauda und Fuji: "Sie haben es schon 1976 nicht geschafft, das Rennen zu verschieben, und heute schaffen sie es immer noch nicht", mokiert sich der 27-Jährige, nimmt die Verantwortlichen aber gleichzeitig in Schutz: "Es ist natürlich der Druck von TV und Medien. Unter den Umständen hat die Rennleitung getan, was sie konnte. Dass so ein Unfall kommt, ist unmöglich vorherzusagen."

Räikkönen fuhr "normales Regenrennen

Lauda hätte es für möglich gehalten, zwei Stunden früher zu beginnen und damit den Warnungen der Meteorologen zu folgen. "Im Nachhinein wäre das vielleicht die bessere Entscheidung gewesen", merkt der Österreicher an. Marcus Ericsson wäre sein peinlicher Dreher erspart geblieben, den er sich gleich zu Beginn hinter dem Safety-Car leistete - interessanterweise in einem technisch unterlegenen Caterham. Auch Hamilton hätte in den "Aufwärmrunden" nicht an die Box funken müssen, dass er in der Gischt hinter Nico Rosberg nichts mehr erkennen kann.

Marcus Ericsson

Marcus Ericsson im Caterham: Opfer der Bedingungen, des Autos oder des Talents? Zoom

Kimi Räikkönen pflichtet dem WM-Führenden bei: "Zu Beginn konnte man hinter dem Safety-Car überhaupt nichts sehen. Überall stand Wasser auf der Strecke", beschreibt der Ferrari-Pilot, der nach der kurzen Unterbrechung jedoch kein Problem mehr mit den Bedingungen hatte: "Als der Niederschlag dann nachließ, war es ein normales Regenrennen." Auch Lauda will sich nicht daran beteiligen, die Rennleitung zu kritisieren: "Die FIA hat einen guten Job gemacht. Wir wollen Rennen fahren, aber auf sichere Art und Weise."