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  • 29.10.2014 13:55

  • von Bernd Mayländer

Bernd-Mayländer-Kolumne: Chancen stehen 50:50

Der große Grand-Prix-Check des Safety-Car-Fahrers: Das WM-Duell vor Austin, die Transferoptionen von Alonso und warum Vettel bei Ferrari gut aufgehoben ist

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Nico Rosberg oder Lewis Hamilton: Wer macht das Rennen um den WM-Titel? Zoom

Hallo, liebe Leser,

wenn ihr diese Zeilen lest, sitze ich wahrscheinlich gerade im Flieger nach Texas. Oder besser gesagt hoffentlich, denn mit den vielen Lufthansa-Streiks in den vergangenen Wochen waren die Chancen, pünktlich von A nach B zu kommen, manchmal schlechter als die auf einen Sechser im Lotto - auch wenn's mich selbst zum Glück noch nicht erwischt hat.

Es ist also Endspurt angesagt, nur noch drei Rennen zu fahren und maximal 100 Punkte pro Fahrer zu vergeben. Daniel Ricciardo ist praktisch (rechnerisch noch nicht ganz) raus aus der WM-Entscheidung. Also wird's ein Duell zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Momentan sind sie durch 17 Punkte getrennt - das ist ein Punkt mehr als ein zweiter Platz und somit auf den ersten Blick relativ viel. Andererseits gibt's in Abu Dhabi bekanntlich doppelte Punkte. Das relativiert einiges.

Hoffen wir mal, dass sowohl Lewis als auch Nico ihre technischen Probleme dieser Saison hinter sich haben - denn eine WM-Entscheidung, weil bei einem Fahrer die Zuverlässigkeit versagt, würde diesem tollen Duell nicht gerecht werden. Nico darf keinen Boden mehr auf Lewis verlieren. Lewis hat seit seinem Ausfall in Spa vier Rennen gewonnen und fährt momentan in bestechender Form. Mit Fehlern wie jenem in der ersten Runde in Sotschi ist gegen ihn gerade kein Blumentopf zu gewinnen.

Geht's mit drei Punkten Abstand nach "Abu Double"?

Die Luft wird jetzt richtig dünn. Noch zweimal Lewis vor Nico, dann wären es schon 31 statt 17 Punkte Abstand, und das ist selbst bei doppelten Punkten unter normalen Umständen kaum noch aufzuholen. Aber wer Nico kennt, der weiß, dass er nicht auf ankommen fahren, sondern alles daran setzen wird zu gewinnen. Und wenn er jetzt zweimal vor Lewis gewinnt, kommen sie mit drei Punkten Abstand nach Abu Dhabi. Insofern stehen die Chancen meiner Meinung nach immer noch 50:50. Es kommt auf die Tagesform an.

Lewis hatte mit dem Ausfall in Melbourne einen schwierigen Saisonstart, lag punktemäßig lange zurück, hat jetzt aber das Momentum auf seiner Seite. Und wenn es bei ihm richtig gut läuft, ist er kaum zu schlagen - von niemandem auf der Welt. Aber Lewis ist jetzt der Gejagte, Nico der Jäger - mal sehen, ob sich das auf Nico vielleicht sogar befreiend auswirkt und wie Lewis mit dem Druck des WM-Führenden umgeht.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Fehler wie in Sotschi sollte sich Nico Rosberg jetzt nicht mehr erlauben Zoom

Nicht nur, aber auch deswegen erwarte ich in Austin ein spektakuläres Rennen. Lewis hat 2012 die Premiere auf dem Circuit of The Americas gewonnen, die Strecke liegt ihm. Amerika als Land liebt er, wie wir wissen, und die Fans lieben ihn. Es ist ein Grand Prix, auf den sich alle freuen, vor den Toren einer mittelgroßen Stadt in Texas. Austin, so höre ich oft, sei nicht unbedingt typisch für die USA und Texas. Vielleicht funktioniert die Formel 1 dort gerade deswegen besser als in Indianapolis.

Von den Fans in Texas ins Herz geschlossen

Der Circuit of The Americas ist kein Ovalkurs, sondern dort werden ganz "normale" Autorennen gefahren, wie wir das in Europa kennen. Die WEC fährt auch dort. Wir als Formel 1 sind in Austin definitiv angekommen, auch in den Herzen der Fans. Die Strecke ist nicht kompliziert zu erreichen, sondern gut an die Highways rund um den Austin-Bergstrom-Flughafen angebunden. Alles richtig gemacht also! Hoffentlich bleibt die Formel 1 noch viele Jahre in Texas.

Die Strecke selbst ist "American Style", mit extremen Streckenpassagen und guten Überholmöglichkeiten - ich freue mich schon auf meinen Track-Test im Safety-Car am Donnerstagnachmittag! Sie verlangt einem wirklich alles ab. Und die Stadt ist keine Mega-City, bietet aber alles, was man braucht: eine Meile mit Restaurants, Nachtklubs und Bars - und Musik ist allgegenwärtig. Eine sehr trendige Stadt. Wer es sich leisten kann, sollte unbedingt mal hinfliegen!


Bernd Mayländer erklärt das Safety-Car

Vettel & Ferrari: So erfolgreich wie Schumacher?

Sebastian Vettel zähle ich in Austin nicht zu den allerheißesten Sieganwärtern, aber er ist natürlich durch seinen Wechsel zu Ferrari in aller Munde. Ich find's klasse und kann hundertprozentig nachvollziehen, warum er diese Herausforderung sucht. Sein großes Vorbild Michael Schumacher hat bei Ferrari seine größten Erfolge gefeiert. Der Weg zu fünf WM-Titeln auf Ferrari ist aber lang. Ich bin gespannt, was Sebastian aus dieser neuen Kombination macht.

Michael kam 1996 zu Ferrari und wurde 2000 erstmals Weltmeister. Ich glaube, dass es auch für Sebastian schwierig wird, von Anfang an erfolgreich zu sein. Dafür hat man sicher Verständnis. Ich traue der Kombination Ferrari/Vettel mittelfristig aber große Erfolge zu. Ferrari ist ein Team, das seit der Umstrukturierung vor fast 20 Jahren gewachsen ist. Und das, was nachjustiert werden muss, wurde meines Wissens bereits in die Wege geleitet und wird früher oder später Früchte tragen.

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel nimmt bei Ferrari eine neue Herausforderung in der Formel 1 an Zoom

Nun werfen viele Fans Sebastian vor, dass er nach einer mäßig erfolgreichen Saison, auch im Vergleich zu Ricciardo, das Handtuch wirft, dass das ein Schatten auf seiner ansonsten makellosen Karriere bleiben könnte. Das sehe ich anders. Erstens kann ihm das, was er bisher erreicht hat - unter anderem vier WM-Titel -, niemand mehr nehmen. Und zweitens ist es nur natürlich, dass sich nach so einer Erfolgsperiode im Spitzensport mal eine etwas schlechtere Saison einschleicht.

Vettel: Gleiches Schicksal wie die DFB-Elf

Da kam vieles zusammen. Das neue Reglement, das ihm vielleicht anfangs nicht ganz so entgegenkam und auf das er sich erst einstellen musste. Dass nach vier so erfolgreichen Jahren unweigerlich mal ein bisschen Druck abfällt, bei ihm als Rennfahrer und auch beim Team Red Bull. Und dass es auch einige andere Piloten gibt, die ganz hervorragend Formel 1 fahren können. An so einen ist er mit Ricciardo geraten.

Von einem Einbruch kann keine Rede sein, aber irgendwann lässt du mal vorübergehend ein, zwei Prozent nach. In einem Umfeld wie der Formel 1 reicht das, um statt ständig Erster plötzlich "nur" noch Vierter und Fünfter zu werden. Ein gutes Beispiel ist unsere Nationalmannschaft: Nach dem hart erarbeiteten WM-Erfolg in Brasilien folgten ein paar schwierigere Spiele. Das ist ganz normal. All diese Erfahrungen werden Sebastian in Zukunft in einem frischen Umfeld stärker machen.

Jenson Button, Fernando Alonso

Fernando Alonso wäre für McLaren und Honda ein optimales Zugpferd Zoom

Vielleicht folgt ihm sogar Stardesigner Adrian Newey eines Tages zu Ferrari nach, und über ein Comeback von Ross Brawn gibt's ja schon länger Gerüchte. So ein Dreamteam, das wäre eine echte Bombe! Aber erstmal bin ich gespannt, was Fernando Alonso jetzt macht. Ich hoffe, dass er als ehemaliger Weltmeister der Formel 1 erhalten bleibt, und finde, dass er mit seinen unbestrittenen Qualitäten genau der richtige Mann für McLaren und Honda wäre.

Alonso: Auf den Spuren von Alain Prost?

Ein Jahr aussetzen geht grundsätzlich, Alain Prost hat das 1992/93 bewiesen. Aber es ist heute wahrscheinlich noch schwieriger, dann ins Cockpit zurückzukehren und wieder erfolgreich zu sein. Sollte er wirklich eine Pause einlegen, hoffe ich, ihn zumindest in Le Mans im Porsche zu sehen. Mit den aktuellen LMP1-Autos, die ja auch über einen Hybridantrieb verfügen, würde er sicher gut zurechtkommen. Aber für Le Mans hat Fernando in seinem Alter (33) noch ein bisschen Zeit.

Nico Hülkenberg liebäugelt auch mit Le Mans und Porsche, sagt man mir. Das ist aber derzeit Spekulation, eine weitere Formel-1-Saison bei Force India hingegen bereits bestätigt. Es freut mich, dass er uns erhalten bleibt, dass das Team so früh zu ihm steht, denn er hatte 2014 einen hervorragenden Saisonstart und verdient das. Schwieriger geworden ist's für Nico erst in den vergangenen Wochen, und auch da hat er noch immer recht konstant Punkte gesammelt.

Ich selbst bleibe nach Austin noch zwei Tage in Texas und fliege erst in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch nach Brasilien. Einige Fahrer nutzen die Zeit für einen Kurzabstecher in die Karibik oder nach Miami, aber ich bleibe mit einer kleinen Gruppe (darunter auch Medical-Car-Fahrer Alan van der Merwe) in Austin. Ein bisschen Mountainbiken, ein bisschen Sport machen, ein bisschen mit einem Pickup herumdüsen. Nur Westernreiten und Schießen, das muss ich mir auch in Texas nicht unbedingt geben...

Euer

Bernd Mayländer

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