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  • 18.09.2014 12:22

  • von Norman Fischer & SID

Teams stöhnen über Funkverbot: Gefährlich, unnötig, schädlich

Während einige Fahrer dem Funkverbot etwas Gutes abgewinnen können, herrscht auf der anderen Seite der Boxenmauer Frust - Steigt die Unfallgefahr?

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 wird leiser! Nicht nur von den Motoren kommt ab Singapur kaum Sound mehr, auch am Funk wird es für die Piloten nun deutlich ruhiger werden. Mit sofortiger Wirkung wurden von der FIA alle Funksprüche verboten, die den Fahrern in einem Grand Prix dabei helfen, das Auto zu fahren. Zwar dürfen gewisse Ansagen immer noch gemacht werden, doch die Zeit der Anweisungen zu Benzinverbrauch oder Motoreneinstellung ist vorbei.

Titel-Bild zur News: Pat Symonds

Bei Williams ist man mit der Entscheidung der FIA nicht gerade einverstanden Zoom

Für die Piloten bedeutet das, dass sie wieder mehr auf sich alleine gestellt sind und alles selbst im Blick haben müssen. Bei den meisten stößt das auf Gegenliebe: "Ich denke, es ist der richtige Weg: Pures Racing", sagt beispielsweise Nico Rosberg in Singapur. Und auch sein ehemaliger Kart-Kumpel Lewis Hamilton fühlt sich wohl bei dem Gedanken an weniger Funkverkehr. "Ich mag es, dass wir uns wieder selbst überlassen sind. Wie zu alten Kart-Tagen. Es ist also der Schritt zurück, es wieder auf die altmodische Art zu machen", sagt Hamilton dem englischen Sender 'Sky Sport News'.

Wer letztlich im Titelduell der Silberpfeile davon profitiert, dass nicht mehr jede Kleinigkeit von der Box aus gemanaget wird, wird sich noch zeigen. Rosberg jedenfalls war schon wieder fleißig und setzte sich im englischen Brackley in den Simulator, "weil man sich so viel mehr merken muss".

Grundsätzlich aber findet auch der Wiesbadener die neuen Regeln, die unter anderem codierte Botschaften, detaillierte Informationen über die Sektorenzeiten der Konkurrenz oder den Kraftstoffverbrauch verbieten, gut. "Es kann sehr interessant werden. Zuletzt hatten wir 100 Prozent Kommunikation, jetzt dürfen sie mir nur noch 20 Prozent davon mitteilen. Es ist also ein großer Unterschied."

Massa nicht begeistert: "Riskiere einen Unfall"

Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo, mit 166 Punkten einziger ernsthafter Verfolger von Rosberg (238) und Hamilton (216), nimmt die ganze Geschichte auf die gewohnt lockere, australische Art: "Wir werden alle falsch abbiegen und in die Mauer krachen", lacht er auf die Unterschiede angesprochen. Doch wie üblich sind sich die Beteiligten in der Formel 1 wieder einmal nicht einig. Besonders Felipe Massa findet, dass Singapur einer der denkbar ungeeignetsten Orte für eine solche Regelnovelle ist.

"Ich muss die wichtigsten Sachen lernen. Aber manche Dinge sind so kompliziert, dass du dir unmöglich alles merken kannst", wird der Williams-Pilot von 'auto motor und sport' zitiert. Der Brasilianer sieht in Singapur neue Risiken auf die Piloten zukommen: "Was passiert, wenn die hinteren Bremsen zu heiß werden? Bisher bekam ich von der Box die Warnung, dass ich die Bremsbalance nach vorne justieren soll. Jetzt riskiere ich einen Unfall, weil ich keine Information darüber bekomme."

Ähnlich viel Unverständnis schlägt der FIA von der anderen Seite der Boxenmauer entgegen. Viele Verantwortliche sind nicht begeistert darüber, dass sie ihren Fahrern nichts mehr über den Zustand des Autos berichten dürfen - was eben gewisse Risiken mit sich bringt: "Bislang haben wir den Fahrern drei bis vier Mal pro Runde Motoreinstellungen durchgegeben. Wenn diese komplizierten Antriebseinheiten zur falschen Zeit im falschen Modus laufen, kann leicht ein Schaden entstehen", wirft Lotus-Einsatzleiter Alan Permane laut 'auto motor und sport' ein.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Singapur

Und auch Williams-Technikchef Pat Symonds findet die Regel nicht gut durchdacht, und erklärt es anhand eines Beispiels: "Der Fahrer muss in der Auslaufrunde nach dem Rennen die Batterie in einen bestimmten Ladezustand bringen, damit sie transportfähig ist. Ist der Ladezustand zu hoch oder zu niedrig, reduziert das die Lebensdauer der Batterie. Wir haben bisher den Fahrer daran erinnert. Vergisst er es, müssen wir die Batterie ausbauen und extern laden. Das dauert Stunden. Wenn wir innerhalb von sieben Tagen zwei Rennen haben, verpassen wir den Transport", sagt er.

Größere Displays im Vorteil

Die einzige Chance: Den Piloten Informationen auf dem Lenkrad-Display mitteilen, doch das birgt seine Gefahren, wie Sauber-Teammanager Beat Zehnder weiß. "Das könnte ihn ablenken. Der ein oder andere Fahrer ist damit vielleicht überfordert und landet in der Mauer", sagt er. Hinzu kommt, dass einige Team keine großen Displays auf dem Lenkrad haben - so wie Red Bull, Williams, Lotus oder Force India. Bei ihnen gibt es lediglich kleine Digitalanzeigen.

"Wir haben diese Anzeigen so programmiert, dass die wichtigsten Dinge wie Benzinverbrauch oder Ladezustand dort aufscheinen. Aber der Fahrer muss sich durchscrollen. Das lenkt ab", kritisiert Symonds. Nachrüsten will sein Team aber vor der Saison 2015 nicht mehr. Erst dann könnten Felipe Massa und Valtteri Bottas auf ein größeres Display zurückgreifen. Deswegen ärgert den Briten auch der Zeitpunkt des Funkverbotes: "Wir hätten damit wenigstens bis 2015 warten können. Dann hätten sich alle in Ruhe darauf vorbereiten können."

Mercedes-Lenkrad

Fahrer mit einem großen Display im Auto könnten von nun an im Vorteil sein Zoom

Für 16 Uhr Ortszeit stand ein Meeting mit Renndirektor Charlie Whiting auf der Agenda, um über die neue Regelung zu diskutieren. Erfolg versprechen sich die Teamverantwortlichen davon aber nicht: "Es sieht ganz danach aus, als wollten sie das durchziehen. Ich glaube nicht, dass sich Charlie auf lange Diskussionen einlassen wird", sagt Force Indias Teammanger Andy Stevenson.

Profitiert Rosberg im WM-Kampf?

Und so werden die Fahrer in Singapur noch mehr auf ihren Renninstinkt vertrauen müssen. Nico Rosberg sieht sich dadurch im WM-Kampf gegen Teamkollege Hamilton wieder im Vorteil, weil er über strategische Elemente nun alleine entscheiden muss: "Es gab zum Beispiel dieses Rennen in Barcelona. Immer, wenn ich meinem Motor mehr Boost gegeben habe, haben Lewis' Ingenieure ihm gesagt, er soll dasselbe tun. Deshalb hatte ich kaum eine Chance ihn zu schnappen. Das war schade, weil es nicht allein in meiner Hand lag."

Jetzt hätte Hamilton diese taktische Möglichkeit nicht mehr, was allerdings andersherum auch für Rosberg gilt. Doch für Ex-Designer Gary Anderson ist ebenfalls klar, dass Hamilton von dem Verbot mehr getroffen wird: "Lewis hat bislang um mehr Ratschläge via Boxenfunk gebeten", erklärt der BBC-Experte, "während Nico im Auto selbstständiger wirkt und mehr mitdenkt." Doch der WM-Zweite macht sich keine Sorgen: "Es wird jetzt zwar etwas schwieriger, was die Strategien angeht. Im Kart hatten wir aber auch keine Daten - und ich war trotzdem schnell."

Die endgültigen Auswirkungen des Funkverbotes wird man wohl erst im Einsatz sehen, für die Zuschauer bedeutet dies aber zumindest, dass sie nicht mehr mit langweiligen Einstellungen am Auto versorgt werden. Bernie Ecclestone dürfte das nach der zuletzt geäußerten Fankritik nur Recht sein. Doch die kritischen Stimmen mehren sich nun von der anderen Seite. Ausgang offen.

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