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  • 01.09.2014 16:54

  • von Adam Cooper (Haymarket)

Der Tag, an dem Ecclestone die Kontrolle übernahm

1974 sprang Bernie Ecclestone ein, um den Belgien-Grand-Prix zu retten, und lernte eine Lektion, die ihm dabei half, die Kontrolle über den Sport zu übernehmen

(Motorsport-Total.com) - Inmitten der Diskussionen über die Zukunft der Formel 1, hat der belgische Grand Prix dieses Jahres daran erinnert, dass es keinen Ersatz für einen traditionsreichen Austragungsort gibt. Der Fakt, dass das Rennen noch immer Teil des Kalenders ist - obwohl es 2003 und 2006 wegen finanzieller Unsicherheiten gestrichen werden musste - ist ein Indikator dafür, dass Bernie Ecclestone sich dessen bewusst ist. Er hatte schon immer eine Schwäche für Spa.

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone (hier mit John Cooper) war 1974 Besitzer des Brabham-Teams Zoom

Dieses Jahr markierte den 40. Geburtstag eines Belgien-Grand-Prix, der eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, wie sich der Sport unter Ecclestones Führung entwickelt hat. Das Rennen fand nicht in Spa, sondern in Nivelles statt, einem recht unbekannten Austragungsort in der Nähe von Brüssel, der in seiner kurzen Geschichte lediglich zwei Formel-1-Rennen ausrichtete. Das zweite fand am 12. Mai 1974 statt und öffnete Bernie im Hinblick auf die kommerziellen Möglichkeiten des Sports wohl erstmals die Augen.

Nivelles kam deshalb ins Spiel, weil es eine Debatte über der Sicherheit der originalen Strecke in Spa gab. Die Grand Prix Drivers' Association (Fahrervereinigung; Anm. d. Red.) hatte bereits lange Bedenken gehabt, besonders bei Regen, weshalb das Rennen 1969 abgesagt wurde. Nachdem einige Verbesserungen getroffen wurden, sollte dort 1970 wieder gefahren werden, doch die Piloten waren noch immer nicht glücklich. Bei einem Treffen der CSI (Vorgänger der FIA) in Genf im März 1971 wurde das Rennen erneut aus dem Kalender gestrichen.

Nivelles statt Spa

Es war klar, dass es keine Einigung geben würde, bevor es nicht zu umfassenden Änderungen kommen würde. Es gab eine schnelle Antwort der Regierung, die Pläne unterstütze, einen rund zehn Kilometer langen permanenten Straßenkurs zu erschaffen, der vier neue Streckenkilometer beinhalten sollte. Allerdings musste man einräumen, dass das Projekt mehrere Jahre bis zur Fertigstellung brauchen würde.

Für 1971 gab es keinen alternativen Austragungsort, denn Zolder - das zwar seit 1963 im Geschäft, allerdings noch nicht für große Zuschauermassen ausgestattet war - wurde als ungeeignet betrachtet. Eine Zeit lang gab es sogar Gespräche darüber, den belgischen Grand Prix 1972 im Oulton Park stattfinden zu lassen. Doch ein neuer und logischerer Veranstaltungsort befand sich bereits im Bau.

Nivelles-Baulers lag zwischen den beiden Orten dieses Namens und 40 Minuten südlich von Brüssel. Es wurde bereits seit mehreren Jahren daran gearbeitet - entsprechenden Plänen wurde bereits im Januar 1969 zugestimmt - allerdings wurde der Fortschritt einige Zeit später eingebremst, da der geistige Vater der Strecke, Yvan Dauriac, bei einem Straßenunfall ums Leben gekommen war.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Belgien

Eine Strecke mit vielen Problemen...

In böser Vorahnung berichtete 'Autosport' im April 1971, dass "die Immobiliengesellschaft, der das Grundstück gehört, zu denken scheint, dass es für sie besser wäre, dort ein Wohngebiet zu errichten." Trotzdem schritten die Arbeiten unter der Leitung von Bauunternehmer Robert Benoit, der mit den örtlichen Behörden einen Mietvertrag über 63 Jahre abgeschlossen hatte, voran.

Der 3,7 Kilometer lange Kurs wurde mit Fokus auf die Sicherheit erbaut und verfügte über eine lange Boxenstraße, eine Reihe schneller Kurven und eine enge Haarnadelkurve, die als Markenzeichen diente. Aus Gründen der Sicherheit gab es einige - für damalige Zeiten ungewöhnliche - Auslaufzonen, hinter denen sich mehrere Fangzäune befanden. Eigentlich hätte der Kurs länger und etwas herausfordernder sein sollen, aber eine geplante zusätzliche Schleife wurde nie gebaut, da der Preis für das angrenzende Land zu hoch war.

Spa-Francorchamps

Zu gefährlich: 1970 kam die Formel 1 zum vorerst letzten mal nach Spa Zoom

Am 5. September 1971 fanden die ersten Rennen auf der neuen Strecke statt, Highlight war ein Lauf der Formel-Ford-Meisterschaft. Die Anlage war nicht einmal ansatzweise fertig, aber trotzdem bekam die Strecke die Zusage für einen Grand Prix im Juni 1972. Im April dieses Jahres fand die zweite große Veranstaltung statt, dieses Mal war die Formel 5000 zu Gast. Die Boxenanlage war noch immer nicht fertig und es gab große Schwierigkeiten in Sachen Tickets, Zugang zum Fahrerlager und allgemein bei der Organisation.

Spa ist nicht zu ersetzen

Außerdem berichtete Robert Fearnall von 'Autosport', dass "nicht alle Einheimischen glücklich mit der Strecke sind. So ging in einer Bar, die wir besuchten, eine Petition herum, die sich gegen den Lärm richtete." Erneut eine böse Vorahnung. Trotzdem hatte man einige Lektionen gelernt und das folgende Grand-Prix-Wochenende ging ohne größere Dramen über die Bühne, obwohl das Fehlen jeglicher Atmosphäre offensichtlich war. Das größte Problem war schnell erklärt: Es war nicht Spa.

1973 hatte Zolder massiv nachgerüstet und war nun in der Lage, den belgischen Grand Prix dieses Jahres ausrichten zu können. Es gab ein politisches Übereinkommen, nach dem sich der Kurs in Flandern den Grand Prix im jährlichen Wechsel mit seinem Gegenstück in Wallonien teilen sollte. Das Rennen blieb in Erinnerung, da die schlecht erneuerte Straßendecke aufbrach und mehrere Unfälle verursachte. Folglich schien eine Rückkehr nach Nivelles 1974 gar keine so schlechte Idee zu sein.

Emerson Fittipaldi

1972 kam die Formel 1 erstmals nach Nivelles. Der Sieger hieß Emerson Fittipaldi Zoom

Doch mittlerweile herrschte ein einziges Chaos. Die Organisatoren waren vom Handelsgericht für bankrott erklärt worden, nachdem Kredite offenbar zu früh zurückgefordert worden waren. Einige lokale Lobbyisten wollten verhindern, dass das Projekt ein Erfolg wird, und hatten eine alternative Nutzung für das Grundstück im Sinn. Außerdem machten die Gegner des Lärms Druck. Im Februar gab der Royal Automobile Club de Belgique (RACB) bekannt, dass es unwahrscheinlich wäre, dass das Rennen stattfinden könne.

Ecclestone springt ein

Währenddessen stärkte Brabham-Besitzer Ecclestone in seiner Rollte als Chef der Teamvereinigung - damals die F1CA - seine Machtposition, als er stellvertretend für die Teams mit den Organisatoren des Rennens um Geld kämpfte. Er wollte unbedingt, dass der belgische Grand Prix stattfand. Marlboro und Texaco standen bereits hinter dem Event, aber es wurde noch mehr Geld benötigt. Im März reiste Bernie nach Brüssel, um sich mit John Goossens, dem Marketingleiter der Ölfirma, zu treffen.

Auch Vertreter von Marlboros Mutterkonzern Philip Morris waren dabei, außerdem RACB-Chef Hubert de Harlez. Die zwei etablierten Sponsoren stimmten zu, mehr Geld zu investieren, allerdings gab es noch immer ein Defizit. In kluger Voraussicht hatte Goosens Freddy de Dryver eingeladen, Boss von Bang & Olufsen Benelux, der kürzlich einen Sponsorenvertrag mit dem Surtees-Team für die Formel 1 und Formel 2 abgeschlossen hatte.

"Als ich die Dinge übernommen habe, bot ich den Teams an, alles für sie zu übernehmen." Bernie Ecclestone

"Mein Vater sagte: 'Okay, ich lege das Geld auf den Tisch'", berichtet Freddys Sohn Bernard: "'Aber dann muss es der Bang & Olufsen Große Preis von Belgien sein. Ich will der Hauptsponsor sein.' Es gab einen kleinen Kampf zwischen Texaco, Marlboro und dem RACB und mein Vater sagte: 'Wenn ihr nicht zustimmt, dann werde ich nicht bezahlen.' Er hätte das Treffen beinahe verlassen, aber Bernie sagte: 'Setz dich, Freddy.' Also nahmen sie sein Angebot an und der Grand Prix konnte stattfinden."

Teams wollen keine zusätzliche Arbeit

Durch das kombinierte Budget der drei Sponsoren konnte man nun die Miete für den Kurs und das Gehalt für das benötigte Personal aufbringen. 'Autosport'-Kolumnist Paddy McNally erklärte später, dass Bernie "noch immer die Teams bezahlen musste, aber er hatte das Eintrittsgeld und die Einnahmen aus Werbung und Programmverkäufen. Es sieht so aus, dass Bernie seinen Kollegen einen ziemlich akzeptablen Deal angeboten hat. Sie teilten den Profit und das Risiko."

Leute wie Colin Chapman, Ken Tyrrell und Teddy Mayer waren damit beschäftigt, ihre Teams zu managen, und hatten kein Interesse daran, Rennen zu veranstalten, wie McNally berichtete: "Es hat den Anschein, dass einige Teilnehmer, im Gegensatz zu ihren Fahrern, nicht dazu bereit sind, ein Risiko einzugehen. Also garantierte Bernie ihnen persönlich ihr Antritts- und Preisgeld." Dadurch wurde Ecclestone, mehr oder weniger automatisch, Promoter des Belgien-Grand-Prix 1974. "Es war war das Letzte, was sie wollten, also musste ich es persönlich machen", erinnert er sich.

"Colin und die meisten anderen hatten diese Einstellung: 'Wir wollen Rennen fahren, wir wollen nichts mit Ticketverkäufen oder so etwas zu tun haben.' Als ich die Dinge übernommen habe, bot ich den Teams an, alles für sie zu übernehmen, und sie mehr oder weniger zu unterstützen und sicherzustellen, dass sie anständig bezahlt werden. Ich wollte 30 Prozent des Risikos übernehmen, aber sie wollten es nicht machen."


Fotostrecke: "Wir sind die Mafia"

Ecclestone setzt sich durch

"Wir waren damit beschäftigt, die Aufgabe des Promoters zu übernehmen, so viel Geld wie möglich zu sammeln und die Teams auszubezahlen. Wir mussten Geld finden, wo immer es welches zu finden gab, um die Strecke und alles andere zu bezahlen. Zu dieser Zeit hatte man keine große Wahl. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Wenn ich nachgedacht hätte, dann hätte ich es nicht gemacht." Um das öffentliche Interesse zu verstärken, ging Bernie mit einem dritten Brabham an den Start, den der Lokalmatador Teddy Pilette fahren durfte, der dafür zusätzliche Gelder von Hitachi mitbrachte.

Das Wochenende verlief nicht problemlos. Die Zeitmesser verloren im Qualifying ihre Aufzeichnungen und bastelten eine Startaufstellung, in der Clay Regazzonis Ferrari auf Pole stand, obwohl selbst sein Team zugab, dass seine angebliche Rundenzeit sehr optimistisch war. Gleichzeitig gab es erneut Schwierigkeiten bei der Akkreditierung und dem Zugang zum Fahrerlager und zur Boxenstraße, obwohl die F1CA versucht hatte, die Probleme durch die Einführung eines eigenen Ausweissystems in den Griff zu bekommen.

"Wenn ich nachgedacht hätte, dann hätte ich es nicht gemacht." Bernie Ecclestone

Unfassbare 31 Autos - bis heute ein Rekord in der Formel 1 - starteten in das Rennen, während die umfangreiche Werbung für Texaco, Marlboro und Bang & Olufsen rund um die Strecke ihre eigene Geschichte erzählte. Für Ecclestone war das Wichtigste, dass 70.000 Zuschauer Tickets und Programmhefte kauften: "Die Teams bekamen das Geld, was sie auch bekommen sollten. Das wollte ich unbedingt schaffen, ganz egal, was passierte. Wenn wir kein Geld eingenommen hätten, dann hätte ich sie selbst bezahlt."

Nur der Anfang für "Mister E."

Gleichzeitig machte er einen ordentlichen Profit. In McNallys Worten hatte Bernie "den Jackpot geknackt." McNally wunderte sich außerdem darüber, warum der RACB das Rennen nicht selber promotete, und merkte an, dass "einige Leute sagen würden, dass mutlose Organisatoren den Formel-1-Teams genau in die Karten spielen. Die Teams haben bereits einige Bereiche der Grand-Prix-Organisation übernommen und es gibt (natürlich absolut unbegründete) skandalöse Behauptungen, dass sie jetzt alles übernehmen wollen."

Es war eine präzise Vorhersage von McNally, der sich später mit Ecclestone zusammentun würde, um sich über den Allsport-Konzern um die Beschilderung der Strecken, Programmhefte und die Bewirtung zu kümmern. Ein Mann, der dieses Angebot ablehnte, war Freddy de Dryver, wie sich sein Sohn erinnert: "Nach dem Rennen kam Bernie zu meinem Vater und sagte: 'Freddy, ich zeige dir, was ich mit der F1CA vorhabe. Ich brauche einen Kerl wie dich.'"

Bernie Ecclestone

Belgien 2014: Auch 40 Jahre später ist Bernie Ecclestone noch immer dabei Zoom

"Mein Vater sagte: 'Tut mir leid, Bernie, aber ich habe eine Menge Arbeit. Ich kann das nicht machen.' Ein paar Jahre später dachte er sich: 'Vielleicht hätte ich das Angebot annehmen sollen!'" Die Reise sollte noch einige Jahre dauern, aber die Rolle des Promoters 1974 in Nivelles zu übernehmen, war für Ecclestone eine wertvolle Lektion. "Wir hatten keine Ahnung, wie das funktioniert", sagt er mit einem Lächeln: "Wir mussten es lernen."