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Das Vettel-Mysterium: Wie der Dominator das Siegen verlernte

Warum Sebastian Vettel dieses Jahr gegen einen Piloten verliert, der davor Platz sieben als Karriere-Highlight vorzuweisen hatte, und wann Besserung in Sicht ist

(Motorsport-Total.com) - Es ist das große Mysterium der Saison: Was läuft bei Sebastian Vettel schief? Warum kann der vierfache Weltmeister, der die Formel 1 in den vergangenen Jahren in Grund und Boden siegte, nicht mehr auftrumpfen und muss sich sogar seinem Teamkollegen Daniel Ricciardo, der vor der Saison Platz sieben als Highlight vorzuweisen hatte, geschlagen geben?

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel kommt mit der Charakteristik seines RB10 nicht zurecht Zoom

Pech alleine reicht nicht als Erklärung aus. Auch wenn sein Red Bull nicht streikte, sah Vettel neben seinem australischen Teamkollegen meist alt aus. Während Ricciardo bereits drei Siege vorzuweisen hat, sammelte Vettel erst am vergangenen Wochenende in Singapur seine ersten Führungskilometer 2014. Im WM-Klassement fehlen dem Heppenheimer 57 WM-Punkte auf Ricciardo - der Red-Bull-Neuling hat rund ein Drittel mehr Zähler auf dem Konto.

Kann es an der Motivation liegen? Während Vettel in den vergangenen Jahren einen Sieg nach dem anderen einfuhr und nun mit einem selten siegfähigen Boliden Vorlieb nehmen muss, wurde bei Ricciardo, der sich von HRT über Toro Rosso zu Red Bull arbeitete, der Erfolgshunger immer größer. Doch wer den Willen und den Ehrgeiz des 27-jährigen Deutschen kennt, weiß, dass das nicht alles erklären kann.

Auto macht nicht, was Vettel will

Fakt ist: Vettels Abstieg passierte im Jahr der größten Formel-1-Reglementänderungen der Geschichte. Die betraf zwar auch seinen Teamkollegen, doch dieser war daran gewöhnt, im Toro Rosso weniger Abtrieb zur Verfügung zu haben - für ihn war der Verlust an Bodenhaftung im Verhältnis zu Vettels Umstellung kleiner, da er gleichzeitig zu einem besseren Team aufgestiegen ist.

Zudem scheint der RB10 nicht zu Vettels Fahrstil zu passen. "Jedes Mal, wenn ich pushen will oder etwas versuche, dann passiert es einfach nicht", klagt der 39-fache Grand-Prix-Sieger gegenüber 'Autosport'. Daher kann er nicht so ans Limit gehen, wie er es aus den vergangenen Jahren gewohnt ist, und sein Potenzial ausloten.

"Jedes Mal, wenn ich pushen will oder etwas versuche, dann passiert es einfach nicht." Sebastian Vettel

"Das stimmt", bestätigt Vettel. "Klarerweise fährt man so, wie man glaubt, dass es am schnellsten ist. Ob das bedeutet, dass man sich etwas zurückhalten muss oder pushen sollte, hängt aber von der Situation ab. Dieses Jahr ist das nicht so einfach und nicht immer gleich - das ist das Knifflige daran."

Vettels Stärke durch Reglement neutralisiert

Das führt dazu, dass ausgerechnet Vettel, der in den vergangenen Jahren meisterhaft mit den Reifen umging, einen höheren Verschleiß hat als Ricciardo. Zunächst glaubte er daran, dass ein krummes Chassis der Grund sei - das wurde inzwischen zum dritten Mal in dieser Saison getauscht, was in dieser Frequenz äußerst unüblich ist.

Interessant ist, dass Vettel mit dem Auto zunehmend schlechter zurechtkommt, je weniger Sprit im Tank ist, was untypisch ist, da ein schweres Auto eher rutscht als ein leichtes. Zudem gilt Vettel als Pilot, der seine Zeit am Kurveneingang holt. Da scheint ihm aber das Verbot des angeblasenen Diffusors einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Sebastian Vettel

Schon 2012 warfen die Einschränkungen beim Auspuff Vettel aus der Bahn Zoom

Ex-Stallrivale Mark Webber, der im Gegensatz zu Vettel mit dem angeblasenen Diffusor nie klarkam, erklärte schon vor Jahren gegenüber 'Autosport', dass sich diese Autos "am Kurveneingang völlig anders verhalten" hätten. "Sie reagierten sehr sensibel auf die Motordrehzahl, dadurch konnte sich die Balance schlagartig verändern."

Vettel fehlt Grip an der Hinterachse

In Zeiten, als die Aerodynamik klassischen Stils dominierte, sei er hingegen "bei der Musik" gewesen. "Vermutlich wäre das auch in diesem Jahr der Fall gewesen", prophezeite Webber dieses Jahr gegenüber 'auto motor und sport'.

Beim Kurveneingang spielt auch das Bremsen eine entscheidende Rolle: Vettel gelang es, das Auto so einzustellen, dass er es über die Hinterachse an der Rutschgrenze kontrollierte. Durch das Brake-by-wire-System sind dem Piloten aber seit diesem Jahr beim Tüfteln an der Bremsbalance enge Grenzen gesteckt. Vettel kann also seine Werkzeuge nicht wie in der Vergangenheit einsetzen. Zudem hat er an der Hinterachse durch den kleineren Heckflügel und das Verschwinden des unteren Elements weniger Grip zur Verfügung - das kommt seinem Fahrstil nicht entgegen.

Außerdem sind die neuen Pirelli-Pneus nicht nach Vettels Geschmack: Schon in der Vergangenheit kam Vettel mit den weicheren Mischungen besser zurecht als sein Teamkollege - dieses Jahr ist das komplette Pirelli-Sortiment eine Stufe härter. Wenn dann auch noch die konservativsten Mischungen nominiert werden, tut sich Vettel besonders schwer.

Kehrt 2015 der alte Vettel zurück?

"Ich denke, dass es an der Charakteristik des diesjährigen Autos in Verbindung mit dem uns zur Verfügung stehenden Abtrieb und an den Reifen liegt", analysiert der ehemalige Seriensieger selbst seine Problemzonen. "Dieses Paket gibt mir noch nicht das, was ich mir in einem gewissen Bereich der Kurve wünsche."

Ihm ist bewusst, dass es nun auch an ihm liegt, sich umzustellen: "Das soll alles keine Ausrede sein, denn am Ende muss ich das Maximum aus dem Auto herausholen. Wir haben schon viele Fortschritte gemacht, aber es gibt immer noch vieles, das wir besser machen können."

"Kurzfristig geht das sicher nicht, weil dann hätten wir die Sache schon gelöst." Sebastian Vettel

Alles deutet darauf hin, dass sich die Vettel-Fans noch zumindest bis 2015 werden gedulden müssen, ehe sie ihren Favoriten in alter Stärke erleben werden. "Kurzfristig geht das sicher nicht, dann hätten wir die Sache schon gelöst", bittet er um Geduld. "Als Fahrer würde man natürlich gerne schneller fahren, aber das ist dieses Jahr nicht möglich, obwohl wir uns zuletzt deutlich verbessert haben."