powered by Motorsport.com

Lowe: "Müssen darauf achten, dass der Sport gesund bleibt"

Paddy Lowe übt im Exklusiv-Interview Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Formel 1 und verrät, wie es mit Funken, Megafon und Co. jetzt weitergehen soll

(Motorsport-Total.com) - Paddy Lowe ist ein echtes Formel-1-Urgestein. Seit 1987 arbeitet der Brite in der Formel 1 und ist seit etwas mehr als einem Jahr Technischer Direktor bei Mercedes. In dieser Funktion erlebte er den Aufstieg der Silberpfeile in dieser Saison hautnah mit. Im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht der langjährige McLaren-Mitarbeiter über die Unterschiede zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg, die großen Stärken von Mercedes und darüber, warum die Formel 1 seiner Meinung nach in der Öffentlichkeit viel zu schlecht dasteht.

Titel-Bild zur News: Paddy Lowe

Paddy Lowe ist besorgt, da die Formel 1 momentan für Negativschlagzeilen sorgt Zoom

Frage: "Paddy, am Freitag in Österreich wurden erstmals die Titanstreifen am Unterboden getestet, durch die in der Formel 1 wieder Funken sprühen sollen."
Paddy Lowe: "Es werden derzeit verschiedene Dinge in der Formel 1 getestet. Das Ziel ist, die visuelle Erscheinung zu verbessern. Da geht es auch darum, ob wir den Funkenschlag konstant aufrechterhalten können, und nicht nur in den ersten paar Runden. Wir müssen Fragen beantworten wie: Wie schnell verschleißen die Streifen eigentlich im Vergleich zu dem, was wir sonst verwenden?"

Frage: "Und das alles nur wegen der Show?"
Lowe: "Wir hatten einen Auftrag von der Strategiegruppe, das zu untersuchen. Was dann letztendlich mit der Idee passiert, ist deren Entscheidung."

Mehr als ein Aprilscherz...

Frage: "Wo kommt die Idee denn eigentlich her? Das möchte ich wissen, denn wir hatten genau das dieses Jahr als Aprilscherz - und drei Wochen später tauchte die Idee erstmals ernsthaft auf. Das ist doch kein Zufall, oder?"
Lowe: "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, wer die Idee in der Strategiegruppe vorgeschlagen hat. Aber sehen wir es mal positiv: Wenn es hilft, um mehr Interesse zu generieren, und wenn es für die Teams leicht umzusetzen ist, warum nicht? Wir geben viel mehr Geld für Dinge aus, die weniger Sinn ergeben."

Frage: "Noch so eine künstliche Sache ist der Megafon-Auspuff, der die Geräuschkulisse verbessern soll. Was können Sie uns dazu erzählen?"
Lowe: "Wir hatten die besten Absichten dabei, aber ich fand interessant, dass die Reaktionen sofort sehr negativ waren. Dabei haben wir eine Prototyplösung im Auftrag der FIA und der FOM ausprobiert. Es war nie geplant, mit diesem Prototypen gleich zu den Rennen zu gehen, aber in der heutigen Welt bildet sich halt jeder sofort ein Urteil."

Alain Prost, Funken

Erlebt der Funkenschlag ein Comeback? Eigentlich war es nur ein Aprilscherz... Zoom

Frage: "Der Megafon-Auspuff ist noch nicht tot, oder? Was wird gerade unternommen, um den Sound zu verbessern?"
Lowe: "Ich würde das als Forschung und Entwicklung einstufen. Ob es den Bedarf überhaupt noch gibt, ist eine andere Frage. Dafür verfolge ich das Thema zu wenig, aber mein Eindruck ist, dass der Sound kein großes Thema mehr ist."

"Wir haben jedenfalls einen Lösungsversuch für alle entwickelt, zuerst im Labor, dann auf der Rennstrecke. Die FIA und die FOM haben bei diesem Experiment Messungen durchgeführt. Meines Wissens betreibt auch Ferrari ein Programm in diesem Bereich. In Silverstone werden wir die nächsten Tests erleben."

"Es war nie geplant, mit diesem Prototypen gleich zu den Rennen zu gehen." Lowe über den Megafon-Auspuff

Frage: "Und, gab es da einen Unterschied?"
Lowe: "Ich kann nur über subjektive Eindrücke sprechen, und der Unterschied an der Rennstrecke war offensichtlich nicht enorm. Den formellen Bericht, der eine genaue Studie des Experiments sein wird, haben wir aber noch nicht gesehen."

Auch besseres Chassis als Red Bull?

Frage: "Gut, kommen wir zu Mercedes. Viele sagen, dass Sie enorm von der Antriebseinheit profitieren, Red Bull aber nach wie vor das beste Chassis hat. Das ist jetzt Ihre Möglichkeit, das richtigzustellen."
Lowe: "Ich bin ehrlich gesagt überrascht über diese Frage. Die zwei Teams, die am nächsten an uns dran sind, Red Bull und Ferrari, haben keinen Mercedes-Antrieb. Also steht schon mal fest, dass wir im Vergleich zu den anderen Mercedes-Teams ein sehr gutes Chassis haben."

"Gefestigt wird dieser Eindruck, weil wir Red Bull schon im vergangenen Jahr, als wir WM-Zweiter wurden, mehrmals geschlagen haben, und zwar in einer Formel, in der der Motor nur eine kleinere Rolle gespielt hat. Wir hatten also bereits im Vorjahr eine gesunde Basis - und es ist keine Überraschung, dass wir diese in diesem Jahr mindestens egalisieren, wenn nicht sogar verbessern konnten. Das Momentum in unserem Team ist ja sehr positiv."

"Wenn man sich die Daten anschaut und die Runden übereinander legt, dann gibt es einige Kurven, in denen ein Auto schneller ist als unseres, aber normalerweise sind wir nicht nur auf den Geraden, sondern auch in kurvenreichen Abschnitten am schnellsten."


Präsentation des Mercedes F1 W05

Frage: "Welcher Kurventyp ist das, in dem ein anderes Team manchmal schneller ist?"
Lowe: "Kein spezifischer, aber es ist ja bekannt, dass man mit der Balance zwischen Anpressdruck, Leistung und Luftwiderstand spielen kann. Es wäre also zu einfach, zu sagen: Dieses Auto ist schneller in den Kurven, also muss es effizienter sein."

"Das liegt schließlich auch an der Aerodynamik, und das war schon immer so. Und wer mehr Leistung hat, muss vor den Kurven auch stärker abbremsen, wodurch die Reifen heißer werden. Das wiederum bedeutet, dass man für den Scheitelpunkt und den Kurvenausgang weniger Reifenkapazität hat. Man kann also die Motorleistung nicht von der Chassisleistung entkoppeln."

"Generell muss man sagen, dass unser Auto bisher auf jeder Strecke das beste Gesamtpaket war. Und das nächstbeste Auto hatte öfters keinen Mercedes-Antrieb. Insofern werden die meisten Leute zustimmen, dass wir ein Auto mit einer sehr guten Performance haben."

Entwicklung für 2015 läuft bereits

Frage: "Wir haben bald Halbzeit in der Saison, Ihr Vorsprung in der Weltmeisterschaft ist schon beträchtlich und die anderen Teams werden die Entwicklung wohl bald einstellen, um sich auf 2015 zu konzentrieren. Wann erreicht Mercedes den Punkt, an dem die Weiterentwicklung zurückgefahren wird?"
Lowe: "Den haben wir schon erreicht, das ist aber ganz normal. Ein Team darf nicht erst im November mit dem neuen Auto beginnen."

Frage: "Das ist mir völlig klar, aber in einem hart umkämpften WM-Kampf wären Sie gezwungen, mehr in die Weiterentwicklung zu investieren als jetzt."
Lowe: "Ich will damit nur sagen: Es ist keine digitale Entscheidung, sondern eine analoge. Wir verfolgen eine phasenweise Umstellung, die während des Jahres voranschreitet. Da befinden wir uns im Moment auf einer ganz normalen Kurve."

Nico Rosberg, Toto Wolff, Paddy Lowe, Andy Cowell

2014 läuft es rund für Mercedes: Lowe mit Nico Rosberg, Toto Wolff und Andy Cowell Zoom

"Kann sein, dass wir diese Kurve irgendwann verlassen, aber darüber würden wir nicht öffentlich sprechen. Die Rate der Abweichung bleibt teamintern. Die Saison ist noch recht jung. Wir müssen sicherstellen, dass wir unseren Vorsprung verteidigen und sogar ausbauen."

Nico vs. Lewis

Frage: "Sprechen wir über Ihre beiden Fahrer. Zwei Fahrer sind immer unterschiedlich, wenn es um den Fahrstil geht, um das Setup, um die Arbeit mit den Ingenieuren. Wie ist das bei Nico Rosberg und Lewis Hamilton?"
Lowe: "Ihre Fahrstile sind ziemlich ähnlich, und damit auch die Anforderungen, die sie in Sachen Setup haben. Es kommt nicht allzu oft vor, dass ihre Setups sehr unterschiedlich sind."

"Sie unterscheiden sich aber als Menschen sehr stark voneinander, gehen unterschiedlich an das Leben und an die Arbeit heran. Aber trotz dieser Unterschiedlichkeit erreichen sie letztendlich ein sehr ähnliches Ergebnis, was die Rundenzeit angeht."

Frage: "Nico hat kürzlich gesagt, dass es ärgerlich ist, wenn ihm Lewis manchmal die Ideen klaut."
Lowe: "Die Fahrer ticken aber auch so, dass sie sich nur daran erinnern und ganz verdrängen, wenn es andersrum ist und sie selbst profitieren. Ich kann versichern, dass das in beide Richtungen vorkommt und sich halbwegs die Waage hält. Diese Saison waren aber ohnehin beide meist so zufrieden mit dem Auto, dass es da keine Vorkommnisse gab."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Großbritannien


"So etwas passiert in der Regel ja nur, wenn ein Fahrer auf einem Irrweg ist. Das kann an einem Freitag passieren, und dann schaut man auf das andere Auto, um wieder auf den rechten Weg zu kommen. Aber das hatten wir diese Saison bisher nicht wirklich. "

Frage: "Worin unterscheiden sich die beiden, wenn sie in technischen Briefings sitzen und mit den Ingenieuren sprechen?"
Lowe: "Nico denkt sehr strukturiert. Er möchte alles hundertprozentig verstehen, denkt sehr geradlinig, sehr schwarz-weiß. Das kommt auch rüber, wenn er Fragen stellt. Angenommen, es ist irgendein klitzekleines Detail während einer Session oder während eines Rennens aufgetreten, dann stellt Nico sicher, dass der richtige Mann darüber Bescheid weiß und sich darum kümmert. Lewis ist im Vergleich dazu ein entspannterer Charakter."

"Diese Unterschiede werden oft übertrieben dargestellt, wir sprechen hier über Feinheiten." Lowe über Hamilton und Rosberg

Frage: "Ist es eine faire Einschätzung, zu sagen, dass Lewis eher ein instinktiver Fahrer ist und Nico eher ein methodischer, beide Ansätze aber zu ähnlichen Ergebnissen führen?"
Lowe: " Lewis verlässt sich vielleicht mehr darauf, das Limit des Autos beim Fahren herauszufinden, indem er auf das Auto reagiert. Nico konzentriert sich mehr darauf, das Auto genau so zu haben, wie er es möchte. Es ist aber kein Stillstand: beide entwickeln sich permanent und versuchen immer, die eigenen Schwäche zu kompensieren. Aber diese Unterschiede werden oft übertrieben dargestellt, wir sprechen hier über Feinheiten."

Kein Personalabbau

Frage: "2014 ist aufgrund des neuen Reglements fast alles neu. Jede Menge Ressourcen und Geld wurden in die Entwicklung dieser Autos gesteckt. Wenn es jetzt um die Entwicklung des Autos für 2015 geht, also schon das zweite Jahr, dann ist die technische Struktur des Teams dafür möglicherweise eine andere als heute vor einem Jahr, nicht wahr?"
Lowe: "Es ist in der Tat viel einfacher, weil man eine Basis hat und viel mehr Sicherheit, in welche Richtung man gehen muss."

Frage: "Aber haben zum Beispiel Forschungsingenieure jetzt keine Arbeit mehr? Sind Aufgaben weggefallen, weil man das Reglement schon kennt?"
Lowe: "Nein. Man hat eine gewisse Tiefe im Team und setzt die Leute auf die Aufgaben an, die gerade notwendig sind. Da müssen wir flexibel sein. Ich kann mich in meiner ganzen Karriere nur an eine Situation erinnern, in der das nicht der Fall war, nämlich als wir die Testfahrten während der Saison verboten haben. Damals wurden die Testteams komplett aufgelöst. Aber sonst war es noch nie der Fall, dass wir etwas nicht mehr gebraucht haben."

Frage: "Der technische Personalstamm ist also genauso groß wie heute vor einem Jahr?"
Lowe: "Ja."


Rosberg/Hamilton im Mercedes-Werk

Frage: "Dann kommen wir zum Hybridsystem. Die ERS-Zusatzleistung wird jetzt ja nicht mehr vom Fahrer mittels Knopfdruck gesteuert, sondern durch eine vorherige Software-Programmierung. Wie schwierig ist es, diese Programmierung ideal für jede Rennstrecke hinzubekommen?"
Lowe: "Größtenteils arbeiten wir daran schon im Vorhinein, durch Simulationen. Wir haben Mitarbeiter, die sich vor jedem Event genau damit beschäftigen."

Frage: "Wie viele?"
Lowe: "Das ist eines der Aufgabengebiete von zwei oder drei Leuten. Es ist also kein riesiger Bereich. Und sobald es am Freitag an die Strecke geht, wird diese Basis feingetunt. Es ist eine neue Aufgabe, eine neue Komplikation, die es davor nicht gab. Aber mit dem richtigen Werkzeug ist es keine unlösbare Aufgabe."

Frage: "Würden Sie sagen, dass Sie die Einstellung des ERS in den bisherigen Saisonrennen sehr gut gelöst haben, nahe am hundertprozentigen Maximum?"
Lowe: "Ja."

Hat die Formel 1 ein PR-Problem?

Frage: "Gibt es abschließend noch etwas, was Sie loswerden möchten?"
Lowe: "Ich möchte nur ergänzen, dass die Formel 1 öfters sehr schlecht darin ist, positive Publicity zu generieren. Nehmen wir die Fußball-WM, die wir zwar alle leidenschaftlich verfolgen, die aber in Wahrheit unser Gegner auf dem Markt ist, denn die nehmen uns das Publikum weg. Also müssen wir darauf achten, dass unser Sport gesund bleibt, und uns genau so viel auf die Einnahmen statt auf Kosteneinsparungen konzentrieren."

"Was der Sport dieses Jahr auf technologischer Ebene geschafft hat, ist für mich enorm. Wir haben Autos gebaut, die um mehr als 30 Prozent effizienter sind. Das setzt eine neue Messlatte für die gesamte Automobilbranche und für die Erwartungshaltung der Konsumenten an Straßenautos. Das ist ein Punkt, den wir feiern sollten."

"Was der Sport dieses Jahr auf technologischer Ebene geschafft hat, ist für mich enorm." Paddy Lowe

"Die Formel 1 hat enorme Maschinenbau-Kapazitäten mit sensationellen Thinktanks. Wir geben eine positive Richtung vor, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. In der Formel 1 arbeiten einige erstaunliche Ingenieure. Ich arbeite seit 25 Jahren in diesem Sport - und der Standard im Ingenieurswesen ist in dieser Zeit dramatisch gestiegen. Jetzt nutzen wir das für einen positiven Zweck, und das sollten wir auch entsprechend darstellen."