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  • 24.06.2014 17:28

  • von Dieter Rencken (Haymarket)

Horner: Wieso 100 Millionen Euro weniger nicht helfen würden

Christian Horners Red-Bull-Team hat den Ruf, einer Kostensenkung im Weg zu stehen - Hier verrät er seine Ideen und erklärt, wieso Teams keinen Einfluss haben sollten

(Motorsport-Total.com) - Jeder, der die traditionell am Freitag stattfindende Teamchef-Pressekonferenz kennt, weiß, dass Red-Bull-Teamchef Christian Horner gegen jegliche Art von Kostenkontrolle ist, ob über eine Budgetobergrenze oder
Ressourcenrestriktionen. Zyniker meinen, dass man sich über diese Haltung nicht wundern darf, da sein Chef Dietrich Mateschitz heißt - ein ehemaliger Zahnpasta-Marketingmanager, der es geschafft hat, aus einem simplen thailändischen Energy-Drink ein Vermögen von fünf Milliarden Pfund zu machen. Dennoch hat Horner, ein einstiger Rennfahrer, der als Formel-1-Teamchef zum Serien-Weltmeister wurde, stets betont, dass er die Kosten senken will.

Titel-Bild zur News: Christian Horner

Christian Horners Red-Bull-Team musste in Hinblick auf die Kosten viel Kritik einstecken. Zoom

Allerdings nicht über Kostenverordnungen, sondern über kluge, nachhaltige Änderungen, die sich vor allem auf das Sportliche Reglement konzentrieren. "Ich war immer gegen eine Kostendeckelung. Das ist nicht der richtige Weg, um die Kosten in den Griff zu kriegen", sagt er bei einem Exklusivinterview, das er selbst im Fahrerlager von Montreal vorgeschlagen hat.

"Was die Kosten am meisten nach oben treibt, ist das Sportliche Reglement", so Horner. "Wenn man sich anschaut, in welchem Bereich wir in den vergangenen Jahren die meisten Kosten gespart haben, dann war das das Sportliche Reglement, ob durch die Anzahl der Motoren, die erlaubt sind, die Testtage, die Zeit im Windkanal, die wir nutzen dürfen - das sind die Schlüsselbereiche."

Reglementänderungen an Kostenexplosion schuld

Zudem glaubt Horner, dass ein stabiles Technisches Reglement eine Grundlage für eine wirtschaftlich gesunde Formel 1 ist: "Alles, was wir verändern, wirkt sich auf die Kosten aus. Die Änderungen beim Motorenreglement in dieser Saison waren der Faktor, der sich in den vergangenen 15 Jahren am stärksten auf die Kosten ausgewirkt hat. Nicht nur wegen der Kosten des Motors, sondern wegen des Umfelds, des Gewichts, des Designs, das von der Umgebung dieser Motoren verlangt wird. Dieses Jahr ist nichts günstig."

Er räumt ein, dass sich der Sport, der bis zum Vorjahr auf einer Motorentechnologie basierte, die ihre Wurzeln im vergangenen Jahrhundert hatte, verändern musste, glaubt aber gleichzeitig, "dass das Timing wegen der Umstände und des wirtschaftlichen Klimas wahrscheinlich nicht optimal war, zumal es am anderen Ende der Startaufstellung Teams gibt, die Schwierigkeiten haben, alles unter einen Hut zu bringen, denen dann auch noch die sehr teuren Antriebseinheiten aufgebürdet werden. Das Timing war nicht großartig."

Renault-Turbomotor

Das neue Turboreglement hat die Kosten in die Höhe getrieben Zoom

Horners Aussagen sind nachvollziehbar. Dem sei aber hinzugefügt, dass die globale Wirtschaftskrise noch nicht einmal auf dem Radargerät des Weißen Hauses auftauchte, als das Reglement 2007 von der FIA kreiert wurde, auch wenn Verzögerungen und kurzfristige Änderungen von Vier- auf Sechs-Zylinder-Motoren die Entwicklungskosten entscheidend in die Höhe getrieben haben. Trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Teams "am anderen Ende" in Hinblick auf die Einnahmenstruktur der Formel 1 im Nachteil sind.

Horner will Kosten im Forschungs- und Entwicklungsbereich senken

"Ich denke, das Problem ist, dass sie alle glauben, sie würden gewinnen, wenn sie 100 Millionen Euro mehr hätten", erklärt Horner seine Sicht der Dinge. "Die Schattenseite ist aber: Wenn man ihnen zusätzliche 100 Millionen Euro geben würde, dann wären sie erst wieder alle in der gleichen Situation, denn ein Team wird immer mehr ausgeben, als ihm zur Verfügung steht. Das liegt in der Natur des Wettbewerbs, der Natur des Sports. Und wenn wir den kleinen Teams helfen wollen, dann sollten wir uns die Kosten im Bereich Forschung und Entwicklung, beim Design und bei den Entwicklungskosten ansehen."

Er nennt ein Beispiel: "Schauen wir uns doch mal die Crashtests an - zum Beispiel das Ausmaß an Arbeit und Design, das in die Konstruktion dieser Teile einfließen. Wenn wir diesbezüglich das Reglement öffnen würden - nicht, indem wir Kundenautos erlauben, aber indem wir den Teams erlauben würden, mehr Teile voneinander zu kaufen -, dann würde es sie bewahren, in große Forschung- und Entwicklungs-Abteilungen zu investieren. Ich denke, das würde sich für sie auszahlen. Wenn man die Sache objektiv betrachtet, dann könnten sie sich auf jeden Fall mehr auf das Rennteam konzentrieren und die Kosten senken."

"Ein Team wird immer mehr ausgeben, als ihm zur Verfügung steht." Christian Horner

Horner: Warum Force India die Großen ärgert

Ist das nicht bereits bei einigen Teams der Fall? Red Bull und Toro Rosso - im Grunde das Entwicklungsteam des Lifestyle-Getränkeherstellers - teilen Elektronik- und Hydrauliksysteme sowie andere Teile, die nicht das geistige Eigentum der Teams darstellen müssen, während Force India im Grunde die Heckpartie des Mercedes-Boliden an das eigene Chassis schraubt und mit dieser Herangehensweise sogar McLaren die Stirn bietet.

Es ist kein Geheimnis, dass Red Bull und McLaren nicht gerade befreundet sind: Zuletzt tauschte man juristische Unannehmlichkeiten über die Personalbeschaffung aus. Und auch Force India ist seit langem ein Kritiker von Red Bulls Haltung gegen eine Kostendeckelung, also darf man gespannt sein, wie Horner den aktuellen Force-India-Aufwärtstrend kommentiert: "Stabilität ist ebenfalls wichtig, damit das Feld näher zusammenrückt. Force India leistet in Anbetracht der Mittel großartige Arbeit, aber ihre aktuelle Performance ist eher darauf zurückzuführen, dass sich McLaren unter Wert verkauft als dass sich Force India über seinem Wert verkauft."

Sergio Perez, Nico Hülkenberg, Kevin Magnussen

Force India vor McLaren: Ein Bild, an das man sich gewöhnt hat Zoom

Und wie sieht es bei Williams aus? Obwohl sich das Team von Sir Frank Williams wegen seiner Geschichte in einer privilegierten Position befindet, ist das Budget nicht im Ansatz mit Red Bull oder Ferrari vergleichbar. Dennoch gelingt es der Truppe aus Grove, die Scuderia dieses Jahr regelmäßig zu überstrahlen. Außerdem sah es in Kanada lange so aus, als würde man den Sieg einfahren, den später Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo abstaubte.

Horner fühlt sich für Wohl der anderen nicht verantwortlich

"Alles hängt von den Einzelverträgen hab, die jedes Team mit dem Inhaber der kommerziellen Rechte abgeschlossen hat", sagt Horner. "Ich bin nicht in der Position, die Verträge der anderen zu beurteilen. Meine Aufgabe ist es, das Beste für meinen Eigentümer und für das Team herauszuholen. Ich bin sicher, dass Frank und Claire das Beste für ihr Team getan haben, aber es liegt nicht an mir, die finanzielle Situation anderer zu bewerten." Eine nachvollziehbare Haltung, auch wenn die Einnahmenstruktur der Formel 1 ganz klar ungesund ist.

"Es gab schon immer Diskrepanzen zwischen der Spitze und dem Ende des Feldes. Das ist Teil der Herausforderung", fährt Horner fort. "Als wir in die Formel 1 kamen, da haben wir aus dem schwächelnden Jaguar-Team innerhalb von fünf Jahren ein Weltmeister-Team gemacht. Mit dem, was Red Bull zur Formel 1 beigetragen hat, haben wir demonstriert, dass wir ein ernsthafter Player sind, der sich auch in Zukunft der Formel 1 verschreibt."

Der Sonderfall Red Bull

Er schließt nicht aus, dass dies auch anderen Teams gelingt: "Auch sie haben dazu die Gelegenheit, und Williams ist ein gutes Beispiel. Nach einigen mageren und schwierigen Jahren haben sie gezeigt, dass sie wieder zurückkommen." Horner hat nicht unrecht, aber Red Bull kam in den Genuss ordentlicher Finanzspritzen, auf die ausgiebigen Personal-Einkaufstouren folgten, bei denen auch Adrian Newey engagiert wurde.

"Dietrich hatte die Vision und den Glauben", sagt der Red-Bull-Teamchef. "Ja, er hat sich der Sache verschrieben - nicht verantwortungslos, denn wir haben Rennen gegen Toyota und BMW gewonnen, die deutlich mehr ausgegeben haben als es unsere Budgets ermöglicht haben. Wir haben das Geld besonnen und effektiv ausgegeben, in Leute investiert, und jetzt bekommen wir von der Formel 1 viel zurück. Durch den Vorteil, dass wir nun kommerzielle Sponsoren und einen Titelsponsor haben, sind die Kosten für die Gruppe niedriger als je zuvor."

"Die Formel-1-Kosten für die Red-Bull-Gruppe sind niedriger als je zuvor." Christian Horner

Horner: Wie hoch Teambudgets sein sollten

Niedrig genug, um die Kosten zu decken? "Wenn die Gagen für das Personal unter Kontrolle sind...", lacht Horner - vielleicht nur halb im Scherz, denn am Tag nach dem Interview erhielten die Gerüchte, dass Newey von Ferrari ein achtstellig dotierter Fünfjahresvertrag angeboten wurde, den er ablehnte, neue Nahrung. Wenn Horner auf eine Kostenreduktion hofft, während er gegen eine Kostenkontrolle eintritt, was wäre dann seiner Meinung nach ein realistischer Betrag, zumal sein Team laut gut informierten Branchenkennern 300 Millionen US-Dollar pro Jahr ausgibt?

"Ich schätze, dass alle großen Teams mehr oder weniger dort liegen, ja...", reagiert er, nachdem klar ist, um welche Währung es sich handelt. Da mag er recht haben, aber in diesem Fall geht es um Red Bull, nicht um andere. Ob er zustimmt, dass 300 Millionen US-Dollar etwas überzogen sind, wenn es darum geht, zwei Autos bei 19 Rennen im Jahr einzusetzen?

"Das Problem sind die ständigen Regeländerungen. Das bürdet den Teams hohe Kosten auf." Christian Horner

"Das ist zu viel", nickt er. "Ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass das zu viel ist. Im Idealfall wären es eher 200. Das wäre eine gute Zahl - und warum nicht? Wir sollten keine Angst davor haben, Profit zu machen. Grand-Prix-Teams - sogar Eddie Jordan - haben vor nicht allzu langer Zeit Gewinne gemacht. Davor sollten wir uns nicht fürchten. Ich denke, das Problem sind die ständigen Regeländerungen. Das bürdet den Teams hohe Kosten auf."

Horner gegen Entwicklungsverbot

Wie auf 'Motorsport-Total.com' enthüllt wurde, kostet es ein durchschnittliches Formel-1-Team ungefähr 100 Millionen US-Dollar, um an Rennen teilnehmen zu können, während die Großen pro Jahr bis zu 200 Millionen US-Dollar in die Entwicklung stecken, wovon der Großteil durch Reglementänderungen verursacht wird. Wie rechtfertigt es Horner, bis zu einem Drittel des eigentlichen Rennbudgets in die Forschung von Hinterzimmer-Tüftlern zu stecken, deren Ideen oft nie das Tageslicht sehen?

"Wenn man darauf verzichtet, dann verzichtet man auf die Möglichkeit des Wettbewerbs, denn die Situation, die wir dieses Jahr haben, wo Mercedes mit einem sehr dominanten Auto gekommen ist... Wenn das dann so bleibt, wie spannend ist das für die Fans? Sie würden kein Auto sehen, dass das Potenzial hat aufzuholen und während des Jahres zu entwickeln, um die Leader zu jagen. Darum geht es doch in der Formel 1: Prototypen, die vom Anfang bis zum Ende des Jahres weiterentwickelt werden. Und ein Teil der Spannung kommt doch daher: Kann Red Bull dieses Jahr Mercedes einholen? Kann irgendjemand dieses Jahr Mercedes einholen? Wenn wir nicht die Möglichkeit haben zu entwickeln, dann kann man gleich in einer Einheitsformel antreten."

"Ein Teil der Spannung entsteht doch durch die Weiterentwicklung der Autos." Christian Horner

Wer sollte die Regeln machen?

Zurück zu Horners Steckenpferd, dem Senken der Kosten mit Hilfe des Reglements: Wer soll diese - zumindest im Anfangsstadium - extrem komplexen Regeln aufstellen? "Die FIA sollte sie schreiben, gemeinsam mit dem Inhaber der kommerziellen Rechte. Und dann haben die Teams die Wahl, ob sie an der WM teilnehmen oder nicht", sagt der Mann, der von vielen als Nachfolger von Bernie Ecclestone als Formel-1-Boss gesehen wird, sollte der 83-Jährige aus irgendwelchen Gründen die Formel-1-Bühne verlassen. "Sie unterwerfen sich den Regeln."

Demnach sollten die Regeln also ohne Einfluss der umstrittenen Strategiegruppe geschrieben werden, die aus den großen Vier (Red Bull, Mercedes, Ferrari und McLaren) plus Williams (Erbe) und Lotus (vergangene Leistungen) mit je einer Stimme sowie FIA und FOM mit je sechs Stimmen besteht?

"In Wahrheit..." Die Worte stocken. Könnte das wirklich funktionieren? "Wahrscheinlich nicht. Aber in Wahrheit sollte es wahrscheinlich so passieren", sagt er nach kurzer Überlegung. Zur Klarstellung: FOM und FIA machen sich das Reglement untereinander aus und stellen die Teams dann vor vollendete Tatsachen?

Zu viele Köche verderben den Brei

"Es sind einfach zu viele Parteien beteiligt. Da hätten wir Ferrari mit seiner historischen Stellung (eine Andeutung auf das Vetorecht aus Maranello bei Regeländerungen, Anm.), dann McLaren und Red Bull und Mercedes haben auch wieder unterschiedliche Stellungen. Da wird es nie gelingen, dass alle einer Ansicht sind..."

Unterschiedliche Stellungen hat es im Feld allerdings immer gegeben, wie Horners Beispiel mit Jordan und Toyota beweist. "Als ich in die Formel 1 kam, da gab es viele kommerzielle Sponsoren. Wenn ich jetzt die Boxengasse hinunterblicke, dann sehe ich viele Autos mit leeren Flächen. Eddie hatte Benson & Hedges und Mastercard. Seine Autos sahen aus wie ein Flickenteppich, weil sie so voll mit Sponsorenlogos waren."

"Es wird nie gelingen, dass alle Teams einer Ansicht sind." Christian Horner

"Bei der Formel 1 handelt es sich nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen um den Sport mit der meisten Berichterstattung. Dennoch leisten manche Teams schlechte Arbeit, wenn es darum geht, Einnahmen zu lukrieren. Ja, es wird härter, und es handelt sich da draußen um ein schwieriges Klima, aber wir müssen uns auch darauf konzentrieren, andere Einnahmequellen anzuzapfen (nicht nur das sogenannte FOM-Geld, Anm.)."

Formel-1-Krise laut Horner übertrieben

Obwohl die TV-Zuseherzahlen in einigen Schlüsselmärkten sinken, bleibt Horner kämpferisch: "Was diese Zahlen angeht, gibt es verdammt viel Konkurrenz. Wenn man die Formel 1 mit anderen Sportarten vergleicht, dann schlägt sie sich unglaublich gut. Das Ausmaß an globaler Berichterstattung, die Infiniti (Titelsponsor von Red Bull, Anm.) erreicht, ist unglaublich. Der Return on Investment, auf den alle schauen - man hört ja ständig ROI - ist phänomenal."

"Am Ende erkennt Infiniti, dass die Formel 1 eine fantastische Plattform ist, um sein Produkt zu bewerben. Das ist der Grund, warum sie sich mit langfristigen Verträgen binden, deren Laufzeit Jahr für Jahr größer wird. Wir haben mit all unseren Partnern langfristige Beziehungen. Wir hatten weniger Veränderungen bei unseren Partnern in den vergangenen drei, vier Jahren, und wir ziehen neue Partner an."

"Wenn man die Formel 1 mit anderen Sportarten vergleicht, dann schlägt sie sich unglaublich gut." Christian Horner

Verantwortung gegenüber den Teammitgliedern

Wie fasst Horner dann die aktuelle Situation zusammen? "Ich denke, dass der Formel 1 interessante Zeiten bevorstehen. Natürlich gibt es Herausforderungen, und natürlich sympathisieren wir mit den Herausforderungen für die kleinen Teams, aber die sind genauso groß wie für die großen Teams. Wir stehen bei zwei Interessensgruppen in der Verantwortung - in erster Linie bei den Fans, aber zweitens auch bei den Arbeitnehmern."

"Es ist wichtig, dass wir sie schützen und uns um sie kümmern, denn sie sind die Leute, die Hypotheken abzahlen müssen und ihren Familien gegenüber eine Verantwortung haben. Am schlimmsten ist es, wenn diese Leute nicht bezahlt werden. Und dagegen müssen wir uns absolut schützen."