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  • 03.06.2014 20:06

  • von Craig Scarborough (Haymarket)

Die Elektronikrevolution der Formel 1 unter der Lupe

Welch gewichtige Rolle Batterie und Steuerungselektronik in der Formel 1 anno 2014 spielen und warum die aktuellen Boliden ohne Lichtmaschine auskommen

(Motorsport-Total.com) - Mit bloßem Auge ist sie von außen nicht zu erkennen, aber die Elektronik der komplexen Energierückgewinnungs-Systeme der diesjährigen Formel-1-Boliden wird schon bald für Schlagzeilen sorgen. Nämlich dann, wenn sich ihr Versagen in Form von Strafen bemerkbar macht. Nachfolgend eine Erklärung, wie die Elektronik im Detail funktioniert.

Titel-Bild zur News: Renault-V6-Antriebsstrang im Detail

Die V6-Antriebsstränge (hier: Renault) beherbergen ausgeklügelte Elektronik Zoom

Seit der Einführung von KERS in der Saison 2009 sind zum einen die Batterie, zum anderen die für ein Übertragen der elektrischen Energie von den Motorgeneratoren (Motor Generator Units oder kurz: MGUs) verantwortliche Elektronik, diejenigen Bereiche, über die mit am wenigsten gesprochen und geschrieben wird.

Doch seitdem das zur Saison 2014 eingeführte ERS deutlich mehr Leistung entwickelt, sind auch diese Systeme inzwischen deutlich wichtiger geworden. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, weil ab sofort pro Fahrer und Saison ein Limit von jeweils fünf Exemplaren des Energiespeichers und der Steuerelektronik greift. Das bedeutet, dass der Zuverlässigkeit höchste Bedeutung zukommt, wollen Teams Rückversetzungen in der Startaufstellung für ein Überschreiten des Limits vermeiden.

Energiespeicher als Kernelement

Der Energiespeicher (kurz: ES) ist - ganz einfach erklärt - die Batterie. Dieses Bauteil spielt die Schlüsselrolle, wenn es darum geht, sowohl die vom kinetischen Energierückgewinnungs-System (ERS-K) als auch die vom Energierückgewinnungs-System der Motorwärme (ERS-H) bereitgestellte Energie zu speichern. Beim ERS-K ist die vom Reglement festgesetzte Speicherkapazität von 0,5 Megajoule im Vorjahr auf nun 4 Megajoule angehoben worden. Was das ERS-H betrifft, gibt es kein Limit.

Warnung vor KERS

Im Vergleich zum KERS aus der Saison 2009 ist das heutige ERS deutlich potenter Zoom

Um in der Batteriesprache zu bleiben, bedeutet das: Die Spannung bewegt sich im dreistelligen Volt-Bereich und ist auf 1.000 Volt limitiert. Elektrischer Strom liegt im zweistelligen Ampere-Bereich an. Wir sprechen hier also von einem Hochleistungssystem. Folglich muss die Batterie entsprechend groß konzipiert sein, um beide Energierückgewinnungs-Systeme gleichzeitig abdecken zu können.

Innerhalb des Energiespeichers findet sich eine Vielzahl von Lithiumion-Zellen. Diese sollen den Batterien in Mobiltelefonen sehr ähnlich sein, sind aber deutlich ausgeklügelter aufgebaut. Um die dutzenden Zellen innerhalb des ES unterbringen zu können, kann man sich sowohl einer zylindrischen Anordnung als auch einer beutelförmigen Anordnung bedienen.

AC/DC in der Formel 1

Die große Herausforderung für die Konstrukteure besteht darin, die Batterie einerseits groß genug zu gestalten, um die Ziele bezüglich Leistung und Energie zu erreichen, anderseits aber klein genug zu gestalten, um sie unterhalb des Benzintanks unterbringen zu können und sie dem Reglement entsprechend nicht weniger als 20 und nicht mehr als 25 Kilogramm wiegen zu lassen.

Mercedes MGU-K 2014

Die MGU-K eines aktuellen V6-Antriebsstrangs (hier: Mercedes) Zoom

Neben der Tatsache, dass der Energiespeicher die Batteriezellen beherbergen muss, findet sich in seinem Inneren auch die Elektronik, die die Steuerung der einzelnen Zellen übernimmt. So werden hunderte von Zellparametern - darunter Temperatur, Spannung und Strom - ständig überwacht. Einige der Hersteller von Antriebssträngen haben die Möglichkeit, einzelne Zellen im Falle eines Defekts abzuschalten. Diese Möglichkeit besitzen aber nicht alle Hersteller.

Aufgrund der Tatsache, dass der Energiespeicher seine Energie im Gleichstromformat (DC) speichert, die MGUs aber mit Wechselstrom (AC) laufen, bedarf es zwischen den beiden Systemen einer elektrischen Umwandlung. Diese wird von der Steuerungselektronik (Control Electronics oder kurz: CE) übernommen. Üblicherweise gibt es nur eine Kontrolleinheit, die sowohl ERS-K als auch ERS-H abdeckt. Der Wechselstrom wird dabei über drei Hochstromkabel von der jeweiligen MGU an die Kontrolleinheit geschickt.

Lichtmaschine wird nicht mehr gebraucht

Im Inneren nimmt eine Vielzahl von Hochstromschaltern - sogenannte IGBTs (Insulated Gate Bipolar Transistors) - den Strom auf und wandelt ihn mittels Kondensatoren ins Gleichstromformat um. Von dort aus wird der Gleichstrom über zwei Kabel zum Energiespeicher geschickt. Die Übertragung von Strom aus Richtung Energiespeicher zu einem der beiden Motorgeneratoren ist die exakte Umkehrung davon.

Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Sebastian Vettel, Daniel Ricciardo, Fernando Alonso, Start, Malaysia, 2014

Die 2014er-Boliden unterscheiden sich grundlegend von ihren Vorgängern Zoom

Genau diese Elektronikbauteile sind es auch, die das Auto für Zündung, Benzineinspritzung und sonstige Elektronik mit einer Spannung im Bereich von zwölf bis 24 Volt versorgen. Dies bedeutet, dass in den aktuellen Autos weder eine Lichtmaschine noch eine separate Batterie notwendig ist.

Wie und wo diese beiden Kontrolleinheiten im Auto platziert werden, ist von Antriebshersteller zu Antriebshersteller und von Team zu Team unterschiedlich. Sie können entweder innerhalb des Energiespeichers liegen oder aber in die Seitenkästen ausgelagert werden. Im letztgenannten Fall stehen den Konstrukteuren mehr Freiheiten zur Verfügung. Allerdings wirkt sich eine solche Lösung aufgrund der zusätzlichen Kabel und Kühlelemente nachteilig auf das Gewicht aus.

Kühlung und Ladezustand als Knackpunkte

Sowohl der Umwandlungsprozess von Wechselstrom in Gleichstrom beziehungsweise umgekehrt als auch das Laden und Entladen der Batteriezellen im Energiespeicher setzt Wärme frei. Somit müssen beide Systeme gekühlt werden. Dies geschieht üblicherweise über einen eigenen Wasserkreislauf. Für diesen wiederum braucht es einen im Seitenkasten platzierten Kühler von angemessener Größe.

Red Bull, RB10, Kühlung

Thema Kühlung: Inzwischen ist viel mehr als nur der Motor betroffen Zoom

Wenngleich das Thema Kühlung wichtig ist, so müssen die Batterien ihrerseits in einem engen Temperaturfenster betrieben werden. Diese Temperatur ist höher als die Lufttemperatur. Das durch die Kühlkreisläufe laufende Wasser muss somit vor jeder Session vorgewärmt werden. Gleichzeitig muss der Motor selbst vorgewärmt werden, bevor er angelassen wird.

Neben dem richtigen Temperaturfenster muss bei den Batterien auf den korrekten Ladezustand (State of Charge oder kurz: SOC) geachtet werden. Dieser beschreibt die Menge an Energie, die zu einem bestimmten Zeitpunkt von den Batterien gespeichert wird. Der Ladezustand steht im besonderen Fokus der Teams, wobei auch hier ein enges Betriebsfenster eingehalten werden muss. So dürfen die Batterien laut Reglement zwar vor einer Session vorgeladen werden, nicht aber während einer Session.

Wen erwischt es zuerst?

Neben dem Vorladen vor einer Session kann der Energiespeicher aber auch während der Out-Lap aus der Box oder im Verlauf der ersten Runden einer Session ins richtige Fenster bezüglich des Ladezustands gebracht werden. Weil es nicht im Interesse der FIA liegt, diesen Prozess im Sinne eines Performance-Vorteils ausarten zu lassen, haben die Teams keine speziellen Vorladegeräte in der Box.

Aus dem aktuellen Formel-1-Regelwerk geht hervor, dass es bezüglich der neuen Antriebseinheiten sechs Module gibt, von denen im Verlauf einer Saison jeweils fünf Exemplare verwendet werden dürfen. Der Energiespeicher und die Steuerungselektronik sind zwei dieser Module. Renault-Technikchef Rob White hat schon jetzt ein mulmiges Gefühl: "Wenn in diesem Gesamtgefüge etwas schiefgeht, dann hat das einen sofortigen Ausfall der Elektronik zur Folge - und dann gibt es kein Zurück."

"Wenn in diesem Gesamtgefüge etwas schiefgeht, dann hat das einen sofortigen Ausfall der Elektronik zur Folge - und dann gibt es kein Zurück." Renault-Technikchef Rob White

Aus diesem Grund werden die von außen nicht sichtbaren Bauteile schon bald in die Schlagzeilen geraten. Nämlich dann, wenn sie für Rückversetzungen in der Startaufstellung verantwortlich sind.