1978: Ein Kanada-Grand-Prix für die Ewigkeit

Beim Saisonfinale 1978 gelang Gilles Villeneuve bei der Premiere der Formel 1 auf der Rennstrecke, die später einmal seinen Namen tragen wird, sein erster Sieg

(Motorsport-Total.com) - Anfang Oktober 1978 ist in der Formel 1 alles entschieden. Nach dem tragischen Tod von Ronnie Peterson in Folge seines Unfalls in Monza steht Mario Andretti als Weltmeister fest. Auch Lotus ist der Titel in der Konstrukteurswertung nicht mehr zu nehmen, sodass es beim Saisonabschluss in Nordamerika nur noch um die "goldene" Ananas geht. Nachdem Carlos Reutemann am 1. Oktober 1978 in Watkins Glen einen umjubelten Sieg gefeiert hat, reisen die Teams schon eine Woche später zum Saisonfinale nach Kanada.

Titel-Bild zur News: Gilles Villeneuve

Erster Sieg: Der Stern von Gilles Villeneuve ging 1978 in Kanada so richtig auf Zoom

Dort findet der Grand Prix erstmals auf einer neuen Rennstrecke statt. Nachdem in den Vorjahren immer größere Sicherheitsbedenken gegen den High-Speed-Kurs von Mosport laut wurden - die sich einige Jahre später beim tödlichen Sportwagen-Unfall von Manfred Winkelhock bewahrheiten sollten - zog die Formel 1 in die frankokanadische Metropole Montreal um, wo auf der künstlich angelegten Ile de Notre-Dame im St.Lorenz-Strom gerade eine neue Rennstrecke eröffnet worden war.

Der Kurs, der zwar zentral im Herzen der Stadt, durch die Lage mitten im Fluss aber gleichzeitig auch sehr ruhig gelegen ist, kommt bei den Fahrern auf Anhieb gut an. Jackie Stewart beschrieb die Ile de Notre-Dame einmal als "kleines Paradies in Mitten eines großen Flusses." Und noch ein Vorteil der Insellage zeigt sich gleich im ersten Jahr. Da alle Zuschauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen müssen, bleibt das sonst bei vielen Rennen übliche Verkehrschaos aus.

Montreals frostiger Empfang

Statt mit "Indian Summer" empfing Montreal die Formel 1 aber mit ungemütlichem Wetter. Das erste Training am Freitag beginnt wegen starker Regenfälle mit 20 Minuten Verspätung, und Samstag sorgen Regen und Temperaturen von weniger als 10 Grad Celsius für alles andere als Wohlfühlatmosphäre. Das Qualifying entwickelte sich auf abtrocknender Strecke zu einem Shootout in den letzten Sekunden. Die Pole-Position sichert sich Lotus-Pilot Jean-Pierre Jarier - der Ersatzmann des verstorbenen Peterson. Der Franzose ist 0,011 Sekunden schneller als Jody Scheckter (Wolf).

Am letzten Renntag der Saison 1978 ist es in Montreal zwar trocken, mit einer Lufttemperatur von 5 Grad Celsius sollte der Kanada-Grand-Prix 1978 aber als eines der kältesten Rennen in die Geschichte der Formel 1 eingehen. Eiskalt zeigt sich am Start auch Jarier. Der Franzose münzt seine Pole-Position in eine Führung um und fliegt den Verfolgern regelrecht davon. Nach zwei Runden fährt er schon mit sieben Sekunden Vorsprung über die Start- und Ziellinie, die sich seinerzeit samt Boxengasse noch direkt im Anschluss an die Haarnadelkurve befand.

Auch in den nächsten Runden baut Jarier im Lotus, der laut Williams-Pilot Alan Jones in langsamen Kurven und bei der Traktion "eine Klasse für sich" war, die Führung aus. Andere kommen auf dem kalten Asphalt allerdings gehörig ins Schlingern. Emerson Fittipaldi und Hans-Joachim Stuck werden sich über die Vorfahrt nicht einig und fallen nach einer Kollision aus. Auch für Niki Lauda (Brabham) ist das Rennen schon nach fünf Runden beendet - und das auf spektakuläre Weise. Nachdem das Bremspedal an seinem Auto durchfällt, muss der Weltmeister des Vorjahres über einen Randstein fahren, wobei das Auto "wie ein Learjet" abhebt.


Höhepunkte vom Kanada-Grand-Prix 1978

Nur zwei Runden später ist auch für seinen Teamkollegen John Watson das Rennen zu Ende, der (seiner Ansicht nach) bei einem Überholvorgang von Mario Andretti über den Haufen gefahren wird. Der US-Amerikaner erinnert sich freilich ganz anders an den Vorfall, "Ich habe viel später als John gebremst, und als ich neben ihm war, habe ich die Gänge heruntergeschaltet, damit er hörte, wo ich war", berichtet Andretti. "Dann ist er plötzlich auf mich zugefahren..."

Duell um die Ferrari-Vorherrschaft

Von diesen Dramen bleibt Jarier an der Spitze verschont. Einsam zieht der schwarze Lotus mit der Startnummer 55 seine Kreise, die Verfolger Jones, Scheckter und Lokalmatador Gilles Villeneuve im Ferrari können dem Franzosen nicht folgen. Nach 19 Runden ist dann Jones' Traum vom Podium ausgeträumt, mit plattem Reifen muss der knorrige Australier seinen Williams an die Box zurückschleppen.

Nun kämpfen Scheckter und Villeneuve um den zweiten Platz, doch in diesem Duell geht es noch um viel mehr. Denn der Südafrikaner Scheckter hat für die Saison 1979 bereits einen Vertrag bei Ferrari unterschrieben und soll damit Teamkollege des aufstrebenden Villeneuve werden, dem zu diesem Zeitpunkt noch ein Sieg fehlt, der aber in den Augen seines damaligen Teamkollegen Carlos Reutemann schon ein "zukünftiger Weltmeister" ist.

Gilles Villeneuve

Vor 100.000 jubelnden Heimfans feiert Villeneuve seinen wohl wichtigsten Sieg Zoom

Im Zweikampf von Montreal geht es daher auch schon um die Vorherrschaft bei Ferrari in der nächsten Saison. Und da setzt Villeneuve in der 25. Runde ein deutliches Zeichen. Innen geht der Ferrari-Pilot am Wolf von Scheckter vorbei und heizt damit den rund 100.000 frierenden Zuschauern ein. Schnell fährt Villeneuve, dessen Michelin-Reifen zu diesem Zeitpunkt besser sind als die Goodyear-Pneus von Scheckter, dem Südafrikaner davon.

Drama um Jarier...

An der Spitze fährt Jarier mit einem Vorsprung von über einer halben Minute scheinbar unaufhaltsam seinem ersten Grand-Prix-Sieg entgegen. Doch dann verliert er in Runde 46 plötzlich zwei Sekunden, der Lotus beginnt zu übersteuern. Sind seine Hinterreifen hinüber? Nein, es ist - aus seiner Sicht - viel schlimmer. Ein aufgewirbelter Fremdkörper hat ein Loch in den Öhlkühler seines Autos geschlagen, der sich daraufhin auf die Hinterreifen entleert.

Mit dem darauf folgenden starken Übersteuern kommt Jarier zwar noch zurecht, gegen den immer weiter sinkenden Öldruck ist er allerdings machtlos. In Runde 49 muss der Franzose seinen Lotus an der Box abstellen. Während Jarier untröstlich ist, rastet das Publikum vor Freude schier aus. Denn damit erbt Lokalmatador Villeneuve die Führung - und gibt sie bis zum Fallen der Zielflagge nach 70 Runden nicht mehr ab.

Ausgerechnet bei seinem Heim-Grand-Prix feiert er seinen ersten Sieg in der Formel 1 - es sollen noch fünf weitere folgen. Hinter ihm überqueren Scheckter und Reutemann als Zweiter beziehungsweise Dritter die Ziellinie, doch sein Prestigeerfolg über den Südafrikaner sollte kein Vorzeichen für die Saison 1979 werden. In dieser sicherte sich Scheckter auf Ferrari den Titel, Villeneuve musste sich mit Rang zwei zufrieden geben.

Carlos Reutemann, Gilles Villeneuve, Jody Scheckter

Da muss selbst Bald-Teamkollege Jody Scheckter (rechts) staunen Zoom

Es sollte das beste Jahr des Kanadiers bleiben, denn Weltmeister wurde er nie. Am 8. Mai 1982 nahm sein Leben nach einem Trainingsunfall in Zolder im Alter von nur 32 Jahren ein viel zu frühes Ende. Doch der Name Villeneuve lebte in der Formel 1 weiter, denn seit 1982 trägt die Strecke, auf der er seinen ersten Grand-Prix-Sieg landete, und auf der die Formel 1 bis heute fährt, seinen Namen: Circuit Gilles Villeneuve.