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  • 13.05.2014 15:35

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Die große Anderson-Analyse: Wie weit liegt Mercedes vorne?

Technik-Experte Gary Anderson analysiert die Performance der Mercedes und ihrer Verfolger und erklärt, in welchem Bereich Hamilton besser als Rosberg ist

(Motorsport-Total.com) - Vor dem Großen Preis von Spanien wurde vor allem darüber gesprochen, dass Mercedes vom Rest des Feldes eingeholt werden könnte. Stattdessen gelang ihnen mühelos der vierte Doppelerfolg im fünften Rennen. Und ohne einen Riss in einer kleinen Gummiabdeckung einer Zündkerze in Australien wäre es der fünfte gewesen. Wenn man sich diese Doppelerfolge genauer ansieht, erkennt man anhand der Einblendungen des Benzinverbrauchs während der Rennen, warum Lewis Hamilton Nico Rosberg in allen vier Fällen geschlagen hat.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Nico Rosberg

Mercedes und dann lange nichts: Die Silberpfeile dominieren die Formel 1 Zoom

Hamilton verbraucht offensichtlich weniger Benzin als sein Teamkollege. Warum er ihn dennoch schlagen kann, scheint auf den ersten Blick rätselhaft zu sein. Zu sagen, er sei einfach schneller, wäre zu kurz gegriffen. Hamilton hat sich scheinbar einen konstanten Fahrstil angeeignet, durch den er weniger Benzin verbraucht, während er die geforderte Rundenzeit fährt. Dadurch kann er mit weniger Benzin ins Rennen gehen.

Der Blick auf die Grafik enthüllt, dass er über die Renndistanz durchschnittlich 3,5 Kilogramm weniger Benzin zu verbrauchen scheint. Rechnet man das in die Rundenzeit ein, ergibt sich ein Vorteil von 0,1 Sekunden pro Runde. Über die gesamte Renndistanz des Grand Prix von Spanien sind das 6,6 Sekunden. Sollte die Performance beider Fahrer und ihrer Autos identisch sein, hat Hamilton über die Renndistanz somit einem Vorteil von fast sieben Sekunden.

Kein klarer Mercedes-Verfolger

Mercedes baut sein Punktepolster also aus. Verstärkt wird ihr Vorteil durch die Tatsache, dass die Verfolger ständig wechseln. In Australien waren es die McLaren von Kevin Magnussen und Jenson Button, in Malaysia Sebastian Vettel, in Bahrain Sergio Perez und schließlich Fernando Alonso in China. In Spanien wurde dann Daniel Ricciardo Dritter. Es gibt also keinen klaren Rivalen, der die Mercedes verfolgt. In Brackley, Brixworth und Stuttgart müssten sich aufgrund dessen alle die Hände reiben.

Die Gesamt-Performance der Mercedes war sehr beeindruckend. Zur Bewertung der Performance verwende ich eine Statistik, welche die schnellste Rundenzeit eines jeden Teams an einem Grand-Prix-Wochenende in einen Prozentwert im Verhältnis zur absolut schnellsten Rundenzeit umwandelt. Nach den ersten fünf Rennen der Saison 2014 ergibt sich folgendes Ergebnis:

Mercedes
Red Bull +0,948%
Ferrari +1,197%
Williams +1,289%
McLaren +1,623%
Force India +1,779%
Toro Rosso +2,085%
Sauber +2,833%
Lotus +2,906%
Marussia +4,578%
Caterham +5,287%

Zum Vergleich hier die Rangordnung der Saison 2013:

Red Bull
Mercedes +0,070%
Lotus +0,472%
Ferrari +0,552%
McLaren +1,102%
Force India +1,190%
Sauber +1,291%
Toro Rosso +1,294%
Williams +1,911%
Caterham +3,762%
Marussia +3,987%

Wenn man sich diese beiden Statistiken ansieht und die relative Performance vergleich, könnte man sagen, dass Mercedes etwa auf dem gleichen Niveau geblieben ist, während die anderen zurückgefallen sind. Einige sogar dramatisch. Was mich im Fall von Mercedes in Barcelona allerdings ein wenig verwirrt hat, war die Tatsache, dass sie erstmals bei einem Grand Prix im Jahr 2014 nicht die schnellste Rennrunde gefahren sind.

Überraschung: Vettel fährt die schnellste Rennrunde

Rosberg hatte die Absicht, die Motivation und die Gelegenheit dazu. In der Schlussphase des Rennens jagte er seinen Teamkollegen. Er fuhr mit der weicheren der beiden Reifenmischungen und hatte recht wenig Benzin an Bord. Alle Zutaten schienen vorhanden zu sein. Doch es gelang ihm nicht, und so ging diese Ehre in der 55. Runde an Vettel. Seine Reifen waren zwar etwas frischer als die von Rosberg in Runde 51, als er seine persönlich schnellste Runde fuhr, doch der Leistungs-Vorsprung der Mercedes hätte für die schnellste Rennrunde ausreichen müssen.

Sebastian Vettel

Anderson meint: Vettel hat seinen Fahrstil noch nicht an den RB10 angepasst Zoom

Ricciardo im zweiten Red Bull startete als Dritter und kam als Dritter ins Ziel. Er lag etwa 49 Sekunden hinter Hamilton und Rosberg, und alle drei hatten zwei Mal gestoppt. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Vorsprung der Mercedes von 0,74 Sekunden pro Runde, was in etwa dem Wert aus dem Qualifying entspricht.

Auf der anderen Seite kam Vettel nach einem Drei-Stopp-Rennen von Startplatz 15 aus 76 Sekunden hinter den Führenden ins Ziel. Rechnet man die 22 Sekunden für den zusätzlichen Boxenstopp heraus, ergibt sich ein Rückstand von 54 Sekunden oder durchschnittlich 0,82 Sekunden pro Runde auf den Sieger. Der Vorteil durch den zusätzlichen Reifensatz wurde durch den Verkehr ausgeglichen. Wie konnte er also mit einem Auto, dass im Schnitt fast eine Sekunde langsamer als das Siegerauto war, die schnellste Rennrunde fahren?

Red Bull macht auf der Strecke den besten Eindruck

Bedeutet dies, dass Vettel endlich den Dreh heraus hat und weiß, wie er sein aktuelles Auto fahren muss? Er ist ein Fahrer, der sämtliches Potenzial aus seinem Auto herausholen will. Im vergangenen Jahr ist ihm diese mit dem angeströmten Diffusor zweifelsohne am besten von allen gelungen. Als ich während der Trainingssitzungen an der Strecke war, sah ich ein Auto, dass immer noch so gefahren wird, als verfüge es über diesen zusätzlichen Grip an der Hinterachse, wenn man aufs Gas tritt. Vettel hatte einen problematische Saisonauftakt und kam nicht so viel zum Fahren, wie es zur Anpassung des Fahrstils notwendig gewesen wäre.

Ricciardo hingegen war nie ein Auto mit einem guten angeströmten Diffusor gefahren. Bei meinen Beobachtungen an der Strecke fuhr er sehr präzise und konstant. Sein Red Bull machte von allen Autos im Feld den besten Eindruck und sah sehr stabil aus. Beim Einlenken in die Kurve begann das Auto zwar zu rollen, brach aber nicht aus. Alle anderen, einschließlich der Mercedes, sahen unruhiger aus. Red Bull profitierte von einer Leistungssteigerung von Renault. Da die Motoren in Monaco weniger wichtig sind, werden wir vielleicht erst dort das wahre Potenzial des Autos sehen.


Fotos: Großer Preis von Spanien, Sonntag


Bei den anderen Teams erzählt die Statistik die ganze Gesichte. Williams ist das einzige Team, welches wirklich Fortschritte gemacht hat. Alle anderen sind im Vergleich zu Mercedes zurückgefallen. Lotus war zu Beginn der Saison völlig neben der Rolle, was sich negativ auf den Durchschnittswert auswirkt, aber selbst in China betrug ihr Rückstand auf die Mercedes durchschnittlich 1,243%. In Spanien wuchs dieser auf 2,027% an. Das zeigt meiner Meinung nach, dass die Startposition ein falsches Bild wiedergeben kann und letztendlich des Renntempo entscheidend ist.

Ernüchterung bei Ferrari

Fürher ging ich pro Startposition von einem Unterschied von 0,1 Sekunden aus. In Barcelona hätte Button als Achter des Qualifyings also etwa 0,8 Sekunden hinter Hamilton liegen sollen, tatsächlich waren es aber 2,1 Sekunden. Das ist in der Formel 1 eine Welt.

Das gilt auch für Ferrari, die mit den Besten um Rennsiege kämpfen sollten, und für die Barcelona ein Prüfstein war. Deren neuer Teamchef Marco Mattiacci hatte nach Alonsos drittem Platz in China vielleicht noch gedacht, die Formel 1 sei ein Kinderspiel. Welche einen Unterschied doch ein paar Wochen machen können. Nach China sagte das Team, das Ergebnis sei eine Überraschung gewesen. Das Gleiche gilt wohl auch für den sechsten Platz am vergangenen Wochenende.

Wenn man das Auto auf der Rennstrecke beobachtete, sah es so aus, als sei jede Kurve in jeder Runde eine neue Erfahrung. Es sah in keiner Weise konstant aus und das Heck war sehr kritisch. Diese Problem muss behoben werden, damit die Fahrer genügend Vertrauen zum Auto bekommen, um mit ihm weiter ans Limit zu gehen.


Fotostrecke: GP Spanien, Highlights 2014

In Monaco wartet in zwei Wochen eine völlig andere Rennstrecke. Rosberg hat dort im Vorjahr gewonnen, wird Mercedes also wieder dominieren? Durch das zusätzliche Drehmoment der neuen Antriebseinheiten werden die Autos dort schwierig zu fahren sein, aber dafür werden diese Jungs ja schließlich bezahlt.

Während der ersten Turbo-Ära hatten die Brabham-BMW angeblich 1.400 PS. Genau messen konnten sie die Leistung nicht, da der Prüfstand nur bis 1.000 PS ging. Aber wie hoch die Leistung auch immer gewesen sein mag, Piquet hinterließ vom Ausgang der Schikane bis zur Tabac-Kurve schwarze Streifen auf dem Asphalt. Es wird Spaß machen, sich das an der Strecke anzusehen. Ich frage mich, wer dieses Mal die längste Gummispur legt?