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  • 17.04.2014 11:34

  • von Maurice Hamilton (Haymarket)

Gary Hartstein: Jetzt spricht der Doktor!

Gary Hartstein erzählt aus seiner Welt: Wie er einen Crash in der Formel 1 miterlebt, und warum er Michael Schumachers Unfall mit einem Cola-Automaten vergleicht

(Motorsport-Total.com) - Obwohl er seinen Job als Medizinischer Delegierter der Formel 1 2012 verloren hat, setzt sich Gary Hartstein immer noch für Sicherheitsreformen im Sport ein, wie er 'F1 Racing' erzählt. "Ich bin nun viel offener, weil ich nichts mehr zu verlieren habe. Ich kann damit gut leben, weil ich einen ordentlichen Job geleistet habe. Die Leute, deren Respekt mir etwas bedeutet, die respektieren mich auch."

Titel-Bild zur News: Gary Hartstein

Gary Hartstein war bis 2012 als Arzt an der Rennstrecke verantwortlich Zoom

Gary Hartstein und ich haben vereinbart, dass wir uns in Murray's, in der Whittlebury Hall von Northamptonshire, treffen - in einem Restaurant, das Kommentator Murray Walker Tribut zollt. Gary mag vielleicht der Klinikprofessor für Anästhesie und Notfallmedizin im Hochschulkrankenhaus von Lüttich sein, aber er kann ebenfalls mit viel Enthusiasmus über Motorsport sprechen.

Da er an der Seite von Sid Watkins gearbeitet hat, wurde Hartstein der Medizinische Delegierte der Formel 1, als der legendäre "Prof" 2005 aufgehört hat. Hartstein, ein New Yorker, der vor Energie sprudelt, spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung vieler medizinischer und sicherheitsrelevanter Methoden der FIA, bevor sein Vertrag Ende 2012 unerwartet beendet wurde.

Frage: "Seit Michael Schumachers Unfall ist deine Medienpräsenz ziemlich hoch. Die Leute verstehen nicht viel über Kopfverletzungen, in deiner Welt kommt das hingegen ziemlich häufig vor."
Gary Hartstein: "Das stimmt. Ich möchte, dass die Leute verstehen, was vor sich geht, weil es für alle eine echte Achterbahnfahrt ist. Je mehr man es versteht, desto mehr nimmt man wahr."

Frage: "Kann man bei Kopfverletzungen sagen, dass keine zwei Verletzungen gleich sind: Sie können extrem unterschiedlich sein, auch wenn man das vorher nicht sagen kann?"
Hartstein: "Man kann das Gedankenexperiment '100 Michaels' machen: selbe Geschwindigkeit, selber Winkel, selber Unfall - und man hätte nicht 100 reproduzierbare Ausgänge. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto klarer wird die Zukunft."

Frage: "Sind Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen etwas, an das der Motorsport mehr denn je denken sollte?"
Hartstein: "Sid Watkins war Neurochirurg, und als ich an Bord kam, haben wir früh angefangen, über Gehirnerschütterungen zu sprechen. Sid hat dann Kontakt mit den Jungs in Amerika hergestellt: Terry Trammell, Steve Olvey und Hank Bock. Steve als Neurointensivist war bereits dabei und hat uns die Augen geöffnet. Wir haben Vorsaisontests der neuro-kognitiven Funktionen der Fahrer auf computerisierter Basis durchgeführt."

Sid Watkins

Hartstein begleitete Urgestein Sid Watkins jahrelang als Assistent Zoom

Frage: "Das heißt...?
Hartstein: "Man testet Reaktionszeit, Ausdauer, Sprachgedächtnis und räumliches Gedächtnis - alles Parameter, von denen man weiß, dass sie bei einem Patienten mit Gehirnerschütterung leiden. Man kreiert eine Basis. Es steht in den Regeln, dass jeder dieser Jungs bei einem Schlag auf den Kopf, oder immer wenn es das medizinische Personal für notwendig hält, einen weiteren Test machen muss. Robert Kubica ist eine Woche nach seinem Unfall in Montreal 2007 nicht gefahren, weil einer der Parameter nicht gestimmt hat. Ansonsten war er klinisch bemerkenswert gut - und er wollte fahren."

Formel-1-Piloten: Intelligent und sportlich

Frage: "Ich bin schon immer fasziniert von den Fähigkeiten der Fahrer, bei 300 km/h Multitasking zu betreiben."
Hartstein: "Es ist erstaunlich. Wenn man Leute fragt, was einen großartigen Rennfahrer ausmacht, dann reden sie über Reaktionszeit. Ich denke nicht, dass ihre Reaktionszeiten - auch wenn sie exzellent sein mögen - besser als bei anderen Athleten sind. Aber auf einem physischen Level haben sie die unglaubliche Fähigkeit, den Fokus mit ihren Augen blitzschnell zu ändern. Ich denke, ihre Augenmuskeln sind unheimlich stark. Und es ist auch Konzentration. Bist du jemals im Doppelsitzer gefahren?"

Frage: "Ja, mit Martin Brundle - und ein anderes Mal mit Jean Alesi. Beide Male um Yas Marina in Abu Dhabi."
Hartstein: "Konntest du es für eine Stunde und 45 Minuten tun?"

Frage: "Keine Chance. Ich habe jedes Mal um die sechs Runden gedreht, und mich hat echt erstaunt, wie ausgepumpt ich war, obwohl ich einfach nur dagesessen und mich zusammengerissen hatte. Ich bin total kaputt aus dem Auto gestiegen. Okay, sie sind fit und ich war es nicht, aber..."
Hartstein: "Das ist ein großer Faktor. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, aber dafür habe ich keine Parameter. Ihre Informationsverarbeitung ist phänomenal, aber ich denke bei einem Eurofighter-Piloten ist es das Gleiche. Er verfolgt dreidimensionale Ziele, steuert das Flugzeug, wählt Waffen aus und fliegt 6G. Ich denke also nicht, dass Fahrer Halbgötter sind, aber ihre Informationsverarbeitung hebt sie ab. Und dann kommt man zu den eher menschlichen Faktoren. Die großartigen Weltmeister waren extrem intelligente Männer; sie waren nicht nur Rennfahrer."

Frage: "Jeder Weltmeister? Würdest du auch Michael Schumacher da reinnehmen?"
Hartstein: "Ja, würde ich. Er ist kein Typ mit Bücherwissen, aber er versteht das Wesen eines Arguments und stellt die richtige Frage. Phänomenal intelligent. Er ist ein außergewöhnlicher Führer, was nichts mit seinem Fahren zu tun hat. Ich habe Vorfälle gesehen, bei denen die Leute bei Ferrari für den Kerl durchs Feuer gegangen wären. Sie waren wie Soldaten; es war außergewöhnlich."

"Die großartigen Weltmeister waren extrem intelligente Männer; sie waren nicht nur Rennfahrer." Gary Hartstein

Schumacher und das Koma

Frage: "Lass uns zu Michaels Unfall zurückkehren. Als du die Nachricht gehört hast: Was hast du von professionellem Standpunkt aus gedacht?"
Hartstein: "Ich habe gedacht: 'Irgendetwas ganz Schlimmes passiert da, so wie die News tröpfchenweise herauskommen.' Dann habe ich gehört, dass er im Klinikum von Grenoble ist und wusste, dass es schlimm war. Er lag im Koma, aber sie haben über ein künstliches Koma gesprochen. Es ist eine Frage, die sich um Begriffe dreht, die nicht benutzt werden sollten, weil sie die Situation nicht widergeben. Darum habe ich den Begriff 'künstliches Koma' nicht verwendet. Jeder Patient mit ernsthaften Kopfverletzungen wird narkotisiert."

Frage: "Was in deinen Bereich fällt..."
Hartstein: "Richtig. Es ist nur symbolisch: Wenn du schläfst, dann kann ich dich aufwecken. Wenn du narkotisiert bist, dann kann ich dich nicht aufwecken. Es gibt große Unterschiede zwischen Schlaf und Narkose. Um mal gewöhnliche Sprache zu benutzten: Man muss ihn schlafen schicken, um die Atmung zu kontrollieren, die Atemwege zu kontrollieren, und um ihn zum Scan zu bringen, damit man sehen kann, was in seinem Kopf vorgeht."

"Was in weiteren Phasen passiert, ist, dass die Tiefe des Narkotikums wenn nötig drastisch angehoben werden kann, um den Patienten weiter ruhigzustellen, damit er so wenig Sauerstoff wie möglich konsumiert und so viel wie möglich für das Gehirn behält. Man kann das signifikant vertiefen, wenn der Druck im Kopf zum Problem wird - an einem Punkt, wo das Gehirn nicht mehr tut, als sich zu erhalten. Man lässt die Zellen gar nichts tun; sie müssen sich nicht darum kümmern, Impulse und so weiter zu senden. So kann alles für die Zellerhaltung verwendet werden, und der Druck sinkt, wenn das passiert."

Frage: "Ist das Gehirn so komplex, dass es schwierig ist vorherzusagen, was passieren wird, da so viel da oben vorgeht? Entschuldige meine laienhafte Ausdrucksweise..."
Hartstein: "Das ist okay, aber dann entschuldigst du meine Standardantwort auf die Frage. Nimm einen Cola-Automaten, und lasse ihn von einer gewissen Höhe auf einen Felsen fallen. Wenn ich meine Münze reinstecke, dann würde ich nicht darauf wetten, dass eine Cola herauskommt. Das Gehirn hat so viele Verbindungen, wie es Sterne im Universum gibt: Es sind Trillionen um Trillionen. Man möchte hoffen, dass sich das Ding selbst wieder zusammensetzt."

"Man möchte hoffen, dass sich das Ding selbst wieder zusammensetzt." Gary Hartstein über das Gehirn

Das ist wie mit dem Navi im Auto. Man macht den Motor an und sagt, wohin man möchte. Das Navi sagt dann, dass du um drei Uhr dort sein wirst. Das ist eine Schätzung, weil es einige statistische Vermutungen aufstellt: Auf dieser Straße wirst du so schnell fahren, und auf dieser Straße dann so schnell. Je näher du kommst, desto akkurater wird die Vorhersage. In diesen Zwischenstadien verdichtet sich ein Ausgang, aber dieser Ausgang wird für eine Weile nicht klar sein."

Frage: "Das ist ein sehr guter Vergleich."
Hartstein: "Daran habe ich bis jetzt noch gar nicht gedacht. Ich rede mit mir selbst - so wie einige Leute in der Dusche singen."

Im Club der Motorsport-Doktoren

Frage: "Ich erinnere mich, dass Sid mir gesagt hat, dass das Gehirn ein außerordentliches Gerät ist. War er einer der besten Gehirnchirurgen, die du je getroffen hast?"
Hartstein: "Dieser Mann hat das menschliche Gehirn wahrlich bewundert. Ich habe gehört, dass viele sehr gute Neurochirurgen eine hohe Meinung von Sids technischen Fähigkeiten gehabt haben, aber ich habe nie zusammen mit ihm operiert."

Frage: "Ich schätze, du könntest viel von den zahlreichen Unterhaltungen zwischen euch erzählen. Wenn man mit jemandem über Motorsport redet, dann kann man schnell sagen, ob es derjenige wirklich versteht und liebt. Ist es das Gleiche, wenn Medizinleute reden?"
Hartstein: "Ja, aber der Club, über den du redest, hängt davon ab, wie du das Bild betrachtest. Zum Beispiel ist mir immer aufgefallen, wie Martin Brundle mit Sebastian Vettel redet. Es gibt eine Art, wie Fahrer untereinander reden, die niemand sonst nachmachen kann, auch wenn sie nicht über das Fahren sprechen."

"Das ist mir auch bei Chirurgen aufgefallen. Selbst wenn sie nicht über Medizinisches reden, dann sind sie Mitglieder eines Clubs. Bruder Sid und ich gehörten zu einer Bruderschaft der Motorsport-Doktoren. Wir haben über Medizinisches gesprochen, und schon von Anfang an, von 1990 an, habe ich gedacht: 'Verdammt, der Kerl ist in Ordnung.' Er war einfach dabei, und er wusste auch in weiterem Sinne, was vor sich ging."

Frage: "Dein Bezug zu Martin ist interessant. Ich habe immer gedacht, dass es nicht daran liegt, dass er weiß, was er zu den Fahrern sagt. Es ist, dass sie akzeptieren, dass es kein Problem für ihn ist, mit ihnen zu reden, weil er weiß, wovon er spricht. Er ist nicht irgendein Journalist, der mit seinem Hintern nie in einem Rennauto gesessen hat."
Hartstein: "Ganz genau."

Sebastian Vettel, Gary Hartstein

Der Ex-Formel-1-Doc sprach natürlich auch häufiger mit den Fahrern Zoom

Frage: "Du bist Anästhesist. Ich habe nie bemerkt, wie schwierig es ist, an das ganze Gewerbe heranzugehen. Du hast mir mal gesagt, wie nah der Körper am Tod ist, wenn er unter Narkose steht. Ich war darüber ziemlich erschrocken.
Hartstein: "Das Ziel der meisten Anästhesisten ist es, das Gehirn davor zu bewahren, etwas Unerfreuliches mitzubekommen. Das ist normalerweise eine Operation, und ein Weg ist, das Bewusstsein bis zu einem Punkt zu unterdrücken, an dem der Patient nichts mehr mitbekommt. Das benötigt manipulierende Medikamente, die enorm kraftvoll sind."

Frage: "Das ist eine verdammt hohe Verantwortung."
Hartstein: "Ja, aber die meisten glücklichen Anästhesisten, die ich kenne, laufen nicht mit diesem Gewicht auf ihren Schultern herum. Die das machen, sind gestresst und weniger glücklich im Leben. Wir haben nun zehn Jahre lang gesehen - und das haben wir nie zuvor gesehen - dass in jedem Jahr mit neuen Auszubildenden ein oder zwei wegen Stress aufhören."

Hartstein: Von den USA nach Belgien

Frage: "Wie kam es, dass du als Auszubildender in der Medizinischen Schule in Lüttich gelandet bist?"
Hartstein: "Ich bin meinen Weg durch die Universität in den Staaten gegangen. Ich bin auf die Universität von Rochester im Hinterland New Yorks gegangen - und von da aus nach Belgien."

Frage: "Um näher an die Formel 1 zu kommen? Woher kommt die Liebe für den Motorsport?"
Hartstein: "Als ich ein Kind war, hatten wir Network-TV, und jeden Samstag kam auf ABC 'Wide World of Sports'. Ich war der unsportlichste Mensch. Ich konnte nicht einmal einen Baseballschläger schwingen. Ich konnte mit Sicherheit auch keinen Ball treffen. ABC hatte viel Motorsport. Wir reden hier über die goldenen Tage der NASCAR und Indy. Ich kann mich erinnern, auch den Monaco-Grand-Prix und Le Mans geschaut zu haben."

Frage: "Ich habe auf YouTube dein Interview mit Mario Muth gesehen, in dem du über den Aufenthalt in Lüttich gesprochen hast und bemerkt hast, dass Spa nur einen Katzensprung entfernt ist und dass dort Ärzte sein müssen. Warst du von Mix aus Doktern und dem Sport angezogen?"
Hartstein: "Ich war nicht von der Idee angezogen, großartige Hilfe an der Strecke zu leisten, weil das nämlich implizieren würde, dass Leute verletzt worden sein. Ich bin dorthin gegangen, weil sie mir die Tore der Strecke öffnen würden und mich in ein Auto setzen würden, von dem aus ich das Rennen sehen würde. Ich war bereit, mich mit allem zu befassen, aber um ehrlich zu sein war ich nicht da, um die Ärmel hochzukrempeln."

Frage: "Das hat dich wohl in die Formel 1 gebracht. Du hättest keinen besseren Lehrer als Sid bekommen können. Ich war berührt davon, dass du im Video gesagt hast, du würdest dich bei einem Rat eher an ihn wenden als an deinen Vater, was eine ziemliche Anerkennung ist."
Hartstein: "Es war ein ziemliches Privileg, so nah an Sid zu sein. Er wusste über alles Bescheid - nicht nur über Medizin, sondern auch über das Leben. Er war ein außergewöhnlicher Mensch."


Interview mit Gary Hartstein

Frage: "Du hattest das Motorsport-Praktikum bei Sid, und hast dort das Geschäft kennengelernt. Er ist zurückgetreten, und du hast seine Rolle eingenommen. Aber du wusstest, was dazugehört, weil du es gesehen und gemacht hast."
Hartstein: "Ich war nicht involviert, außer Sid wollte es. Es war schwierig, Sids Assistent zu sein, weil sein Job bei jedem begehrt war, der Arzt und Motorsportfan ist. Ich wollte nicht, dass Sid denkt, dass unsere Freundschaft mit meinem Interesse daran zu tun hat. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, aber ja, es ist ein großer Job."

Was passiert bei einem Unfall?

Frage: "Wie viel Verantwortung hattest du für die medizinischen Leute an der Strecke und ihre Kompetenz? Wessen Aufgabe war das?"
Hartstein: "In Sachen Verantwortung ist die medizinische Versorgung Aufgabe des örtlichen Teams. Problematisch ist es, wenn man an neue Strecken kommt - in Ländern ohne lange Motorsport-Historie - und sie keine Erstversorgung machen. Normalerweise fährt ein Arzt mit heraus, um Unfallopfer im Helikopter oder Rettungseinheiten zu versorgen. Im Motorsport ist es das Gleiche. Der Kurs, den ich hier in Silverstone leite, beginnt, wenn der Patient in die Notaufnahme kommt. Es gibt also eine komplette Phase zwischen dem Unfall und der Notaufnahme, die der Kurs nicht speziell behandelt."

Frage: "Du sprichst über Stabilisierung am Unfallort?"
Hartstein: "Auf der Strecke, ja. Wie viel macht man? Was macht man? Kubicas Unfall 2007 passierte auf der gegenüberliegenden Seite der Strecke, von wo das Medical-Car steht. Der Unfall passierte rund 50 Meter von einem Rettungsposten entfernt, aber in Kanada haben wir kompetente Jungs, die das geregelt haben. Als ich dort ankam, war alles was ich machen musste, die Ambulanz für Robert bereit zu machen, weil die Jungs alles nötige getan haben. Der Fahrer des Medical-Car, der ehemalige Rennfahrer Alan van der Merwe, hat das Auto an die richtige Stelle gefahren; er ist ein kluger Kerl."

Robert Kubica

Gute Arbeit: Bei Robert Kubicas Unfall war die schnelle Hilfe gewährleistet Zoom

Frage: "Was wäre in diesem Fall denn 'die richtige Stelle'?"
Hartstein: "Das hängt von der Konfiguration der Strecke ab, und wo das Safety-Car die Formel-1-Autos durch die Unfallstelle führt. Wir möchten nicht im Weg stehen und idealerweise ein Teil der Barriere von Autos sein, die den Unfallort vor allem schützen, was sich bewegt - weil die Formel-1-Autos wie wild zickzack fahren werden. Wenn einer von denen sein Auto aus der Kontrolle verliert, dann möchte man, dass er ein anderes Auto trifft - und nicht einen der Helfer."

Frage: "Du bist dem Starterfeld im Medical-Car immer hinterhergefahren. Wie schwierig war es, zu beurteilen, was bei einem Unfall in der ersten Kurve vor sich geht? Du musst doch schnell entscheiden, ob man unterbricht, denn wenn es kein Safety-Car gibt, dann sind die Führenden ganz schnell wieder bei dir."
Hartstein: "Genau. Charlie Whiting sagt den Fahrern regelmäßig: 'Wenn ihr mit eurem Team sprechen und ihnen sagen wollt 'Ich habe mich gedreht, der Bastard hat mich abgeschossen', was immer ihr auch tut, dann streckt euren Daumen für das Medical-Car nach oben.' Wenn ich gesehen habe, dass ein Daumen nach oben geht oder das Lenkrad herauskommt, dann wusste ich, dass es nichts Schlimmes ist. Der Fahrer könnte ein gebrochenes Handgelenk oder einen gebrochenen Knöchel haben. Dafür hätte ich nicht unterbrochen."

"Aber die Fahrer vergessen im Eifer des Gefechts den Daumen. Wir warten: 'Ist es okay? Ist es okay?' Wenn es keine erkennbare oder passende Aktivität gibt, dann heißt es: 'Verdammt, ich muss raus.' Ich gehe nicht gerne raus, denn je länger wir draußen sind, desto wahrscheinlicher ist, dass nur für uns ein Safety-Car kommt. Mich stört es nicht, Teil des Zirkus zu sein - aber ich möchte nicht Teil des Rennens sein."

Frage: "Als du von Sid übernommen hast, waren alle Strukturen bereits durch seine gute Arbeit geschaffen. Du wolltest alles noch verfeinern und verbessern, und hast einen unglaublich beeindruckenden Leitfaden produziert."
Hartstein: "Es ist ein gutes Buch mit vielen guten Autoren. Ich habe Max Mosley die Idee vorgelegt, und er hat gesagt: 'Mach es.'"

Frage: "Du hast die richtigen Leute dazu bekommen, daran teilzuhaben und über ihre verschiedenen Rollen zu sprechen. Aber dann kam nichts dabei heraus. Wie weit warst du gekommen?"
Hartstein: "Alle Fotos, Zahlen und Diagramme, alle Texte waren fertig - und dann ist lange Zeit nichts passiert. Ich weiß nicht, was vor sich geht. Jedes Mal, wenn ich es hervorgebracht habe, habe ich keine Antworten bekommen."

"Es sieht nicht danach aus, als würden die Dinge so vorangetrieben werden wie in der Vergangenheit." Gary Hartstein

Frage: "Ist es zu plump zu sagen, dass dein Gesicht nicht gepasst hat, als du Ende 2012 endlich verabschiedet wurdest? Du sagst alles gerade heraus, oder?"
Hartstein: "Ja, mit Sicherheit. Ich sage nun alles viel offener, weil ich nichts zu verlieren habe. Ich kann damit gut leben, weil ich einen ordentlichen Job gemacht habe. Die Leute, deren Respekt mir etwas bedeutet, die respektieren mich. Ich kann damit leben."

Sicherheit schreitet nicht voran

"Was mir mehr Sorge bereitet: Es sieht nicht danach aus, als würden die Dinge so vorangetrieben werden wie in der Vergangenheit. Die Füße der Fahrer hinter die Vorderachse zu ziehen, hat nichts gekostet und Karrieren gerettet. Und auch Feuer passieren heutzutage nicht mehr. Aber große Sprünge wie diese passieren heutzutage nicht mehr."

Frage: "Wenn du heute noch da wärst: Was würdest du der medizinischen und sicherheitstechnischen Seite hinterlassen?"
Hartstein: "Das Ziel wäre es, die sichersten geschlossenen Cockpits und die sichersten offenen Cockpits zu kennen. Wie sind die Dimensionen, was ist das Material, was ist die beste Bauweise, um all die schlechten Dinge zu verhindern? Man kommt an diese idealen Cockpits. Man sagt zu jeder Rennserie: 'Das ist das Cockpit, das ihr in euer Auto baut. Jetzt designt das Auto darum.'"

Frage: "Obwohl es Verbesserungen durch Helme, das HANS-System und den ganzen Rest gibt: Ist die Hauptsorge weiterhin zu versuchen, den Kopf zu schützen? Es gibt so viel Für und Wider über geschlossene Cockpits. Der Zugang zum Fahrer muss wichtig sein, oder?"
Hartstein: "Absolut. Aber dann gibt es die Frage über ein Formelauto mit offenem Cockpit und ein Formelauto mit geschlossenem Cockpit. Wie sieht das aus? Ist das Formel 1? Ist die Frage überhaupt von Bedeutung?"

"In Suzuka merkt man: Wenn es schiefgeht, dann bist du tot." Gary Hartstein

Frage: "Es ist ein schmaler Grat zwischen ultimativem Schutz und dem Sport an sich und wie er aussehen sollte. Kann man das ganz einfach so ausdrücken?"
Hartstein: "Ja, und ich bin niemand, der sagt, dass es aufregender ist, weil es gefährlicher ist. Fahr mal um eine Strecke wie Türkei. Das ist eine aufregende Strecke. Dann fahr um Suzuka, es ist: 'Halt dich fest und atme für drei Minuten nicht.' Türkei macht großen Spaß, aber in Suzuka merkt man: Wenn es schiefgeht, dann bist du tot. Ich bin sicher, darum mögen es die Fahrer mehr. Es ist ein haariger Ort, in gewisser Hinsicht auch schrecklich - aber aufregender als alle anderen."