• 16.04.2014 11:22

  • von Bernd Mayländer

Bernd-Mayländer-Kolumne: Gigantismus pur in China

Der große Grand-Prix-Check des Safety-Car-Fahrers: Wie er mit Sebastian Vettel eine Schrecksekunde im Flieger erlebt hat und worauf man in Schanghai achten muss

Titel-Bild zur News: Bernd Mayländer

Nach dem actiongeladenen Rennen in Bahrain ist die Vorfreude auf China groß Zoom

Hallo, liebe Leser,

war das nicht ein klasse Grand Prix in Bahrain? Nach der ganzen Kritik, die es dieses Jahr schon auf die Formel 1 gehagelt hat, war das ein unglaubliches Rennen mit Überholmanövern, mit teaminternen Kämpfen, mit jeder Menge Action und Spannung. Natürlich muss man das Duell um den Sieg zwischen Lewis und Nico hervorheben, auch wenn Mercedes nicht das einzige Team war, das frei fahren hat lassen. Siehe Red Bull, siehe Force India.

Ich war nach Bahrain bei der Mercedes-Benz-Mitarbeiterpräsentation für die DTM-Saison in Stuttgart und habe dort Toto Wolff getroffen. Auch er meinte, dass dies sensationell war, erhöhter Puls und Adrenalinausstoß inklusive. So muss es auch sein, denn die Fans haben ein offenes Rennen verdient. Es wurde schon lange nicht mehr so um den Sieg gekämpft - und dass da alles fair abgelaufen ist, dass sich die beiden nicht gegenseitig das Auto ramponiert haben, das war wirklich großer Sport.

Mercedes-Vorteil in Bahrain mit am größten

Jetzt steht Force India nach drei Rennen auf Platz zwei in der Konstrukteurs-WM - das hätte vor einem Jahr auch noch keiner geglaubt. Sicher hat das auch ein bisschen mit der Überlegenheit der Mercedes-Antriebe zu tun, die in Bahrain sicher stärker zum Tragen gekommen sind als beim Grand Prix von China, der jetzt vor der Tür steht. Und darauf freue ich mich nach so einem Rennen doppelt. So macht Motorsport richtig Spaß!

Schanghai ist eine Weltstadt, eigentlich eine fast irre zu nennende Metropole. Die Rennstrecke ist seit 2004 in Betrieb, hochmodern - und größer dimensioniert als alles andere, was der Formel-1-Kalender zu bieten hat. So gemütlich und überschaubar der Paddock in Bahrain mit seinen kurzen Wegen ist, so muss man Schanghai eher in die Kategorie "Gigantismus pur" einordnen. Die Chinesen feiern ihr Zehnjähriges, aber ich habe es bis heute nicht geschafft, den ganzen Paddock abzulaufen.

Unsere Box ist ganz am Anfang. Würde ich zur letzten Team-Hospitality runterlaufen, bist du schnell mal zehn Minuten unterwegs. Und diese Häuschen für die Teams, die es anstelle der klassischen Motorhomes gibt, sind so zahlreich und unregelmäßig als schwimmende Inseln angelegt, dass man ein GPS brauchen würde, um am Ende immer vor der richtigen Tür zu stehen. Das alles ist wunderschön, aber eben fast um einen Tick zu groß geraten.

Gigantische Dimensionen der Anlage in Schanghai

Wenn man zum Beispiel vor der Haupttribüne steht, erschlägt einen deren Größe fast. 30.000 Zuschauer gehen da rauf, überspitzt gesagt also fast das gesamte Motodrom in Hockenheim oder die kompletten Tribünenplätze in Oschersleben. Bis zu 200.000 Zuschauer passen an die Rennstrecke, aber einige der Tribünen werden gar nicht mehr genutzt und sind heute mit Planen abgedeckt. Leider ist das Interesse nach der tollen Premiere im Jahr 2004, warum auch immer, deutlich zurückgegangen.

Langsam wird es wieder besser, und das ist auch wichtig für die gesamte Formel 1. Es bildet sich sogar so etwas wie eine Motorsport-Fangemeinde in China, aber das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein Lernprozess in einem Land, in dem es zuvor doch noch nicht so viel Motorsport gegeben hat. Jetzt sind wir dort auf einem guten Weg, wo auch die Faszination endlich ankommt. Jede Mentalität ist halt ein bisschen anders, aber ich glaube, wir haben jetzt den Durchbruch geschafft.

Bernd Mayländer im Safety-Car

Der Zuschauerandrang in China war schon mal viel schlechter, als er heute ist Zoom

Ich finde es faszinierend, wie sich die Chinesen in den vergangenen Jahren entwickelt haben, wie schnell sie dazulernen - und wie schnell sich Schanghai als Stadt entwickelt hat: Bis zur Weltausstellung 2010 war ich pro Jahr zwei-, dreimal dort, und fast jedes Mal hat es anders ausgesehen, weil wieder neue Wolkenkratzer gebaut wurden. Inzwischen merkt man, dass sie viel fertig gebaut haben und dass die Neubauten weniger werden. So hat sich jetzt auch so etwas wie ein fester Stadtkern gebildet.

Fast jedes Jahr eine neue Autobahn

Uns Europäern erscheint es allerdings immer noch wahnsinnig, wie rasend schnell sich Schanghai verändert. Was ich immer wieder interessant finde: Wenn man aus der Stadt vom Hotel zur Strecke rausfährt, kann man fast jedes Jahr eine neue Autobahn benutzen, weil sie irgendwo 30 Meter über Grund eine 20 Kilometer lange Brücke dazu gebaut haben. Bei uns in Deutschland würde so ein Projekt Jahre dauern, hier funktioniert das innerhalb von ein paar Monaten. Das ist schon der Wahnsinn.

Zum Glück haben wir dort einen Fahrer, denn ich selbst würde mich jedes Mal verfahren. Man braucht auch einen chinesischen Führerschein, und den kriege ich selbst mit einer FIA-Lizenz nicht! Ich bin ehrlich gesagt ganz froh darüber, denn ab und zu steht man dann doch im Stau und dann kann man sich noch ein wenig zurücklehnen und den Jetlag bekämpfen. Die Anreise dauert so circa eine Stunde, abends auf dem Rückweg ins Hotel auch schon mal länger. Da ist es schön, wenn man sich in die Hände eines Chauffeurs begeben und nach einem langen Arbeitstag auch mal die Augen zumachen kann.

Sportlich betrachtet ist Schanghai eines der spektakulären Rennen, alleine schon wetterbedingt - ich erinnere mich an ein paar sehr unterhaltsame Regenrennen dort. Besonders dramatisch in Erinnerung geblieben ist mir das Jahr 2007, als Lewis Hamilton seinen möglichen WM-Titel im Kiesbett der Boxeneinfahrt versenkt hat. Oder der erste Sieg von Sebastian Vettel auf Red Bull im Jahr 2009. Das war ein Regenrennen, in dem ich im Safety-Car auch eine kleine Schrecksekunde hatte.


Fotostrecke: FIA-Fast-Facts: China

2009: Schrecksekunde in der letzten Kurve

Vor der letzten Kurve gab es damals (heute nicht mehr) ein paar Rinnsale, die die Strecke überqueren. Ich habe Sebastian im Rückspiegel, lenke in die letzte Kurve ein und spüre sofort: "Shit, Aquaplaning!" Auf Wasser beim Einlenken bremsen ist nicht immer die beste Idee, insofern hat mir in der Situation das speziell abgestimmte ESP des Safety-Cars geholfen. Auch Sebastian meinte nach dem Rennen, dass das eine wirklich haarige Stelle war. Zu dem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht, aber natürlich merkt man sich das dann für die Zukunft.

Aus jenem Jahr kann ich übrigens eine Geschichte erzählen, die ich gemeinsam mit Sebastian erlebt habe. Wir saßen durch Zufall im gleichen Flieger von Zürich nach Schanghai. Wir rollen ganz normal weg, aber plötzlich scheint jemand die Notbremse zu ziehen und der Start wird abgebrochen. "Was passiert denn jetzt?", fragt mich Sebastian. Und ich sage: "Wir gehen jetzt wieder in den Terminal Mittagessen und nehmen den nächsten Flieger."

Bernd Mayländer im Safety-Car vor Sebastian Vettel

2009 kam es im Safety-Car vor Sebastian Vettel zu einer haarigen Situation Zoom

Wie sich dann herausstellte, hatte die Maschine einen Triebwerksschaden. Ist nichts passiert, aber wir hatten schon voll durchbeschleunigt, bis es vor dem geplanten Abheben einen Schlag gab. Gut drei Stunden später ging's dann doch noch los. Zum Glück ist das gut gegangen, aber es war auch für mich das erste Mal, auf diese Weise anzureisen, mit einem kleinen Triebwerksschaden - zum Glück noch am Boden!

Erinnerungen an den Island-Vulkanausbruch 2010

Ein Jahr später saßen wir dann alle in Schanghai fest, weil die Flieger wegen des Vulkanausbruchs in Island nicht nach Europa zurückfliegen konnten. An diesem Sonntag gab es viele interessante Partys, jedes Team hat sich irgendwo in Diskotheken oder Clubs aufgehalten. Ich selbst bin dann auch nicht ins Bett gegangen, weil wir ja alle auf Stand-by waren. Viele sind auch bis Dubai geflogen und haben dort gewartet, bis man wieder nach Europa reinkam.

Ich selbst bekam nach einer launigen Nacht um 11:00 Uhr morgens einen Anruf: "Bernd, Abflug um 17:00 Uhr!" Natürlich nicht auf der üblichen Route, sondern über Dubai und Nizza, und von dort dann mit dem Auto, gemeinsam mit Jo Bauer, nach Hause. Der ganze Flieger war voll mit Formel-1-Fahrern und sonstigen Paddock-Leuten - und einige davon waren, na sagen wir mal, ganz lustig drauf, weil sie nicht damit gerechnet hatten, so früh einen Rückflug zu bekommen.

Wir sind in China, um Sport zu machen, und ich bin mir sicher, das letzte Übersee-Rennen, bevor es zurück nach Europa geht, kann schon auch mit richtungsweisend sein, wie die restliche Saison verlaufen wird. Die Strecke hat es jedenfalls in sich: Schon Turn 1 ist eine besondere Kurve, am Eingang extrem schnell und 300 Meter später (so lang dürfte die Kurve in etwa sein) macht sie komplett zu und geht fast nur noch im ersten Gang, noch dazu abfallend. Für jeden Fahrer sehr anspruchsvoll. Es gibt da auch unterschiedliche Linien, mit denen man ein bisschen Zeit gutmachen kann.


Safety-Car-Garage in Schanghai

Überholmöglichkeiten in Hülle und Fülle

Wenn man aus der letzten Kurve gut rauskommt, kann man an der Stelle sogar überholen. Überholmöglichkeiten sind sowieso genug vorhanden, alleine schon durch eine der längsten Geraden im gesamten Formel-1-Zirkus. Auch aus einer Schnecke heraus, wo es dann runter zu einer Haarnadel geht, kurz vor Start und Ziel. Die Haarnadel dort ist auf jeden Fall eine sehr dankbare Überholmöglichkeit, wenn man mit Überschuss rauskommen kann, mit DRS und mit mehr Power. Das sollte dieses Jahr den Mercedes-Fahrzeugen besonders liegen.

Vor dieser langen Gerade gibt es mit einer leicht überhöhten Steilkurve eine Besonderheit. Mit einem Formel-1-Boliden ist die wegen des hohen aerodynamischen und mechanischen Grips leicht zu fahren. Im Safety-Car zumindest nicht von Anfang an, sondern da muss man ein bisschen mit dem Gas spielen, wie weit man gehen kann, um nicht zu viel unter- oder überzusteuern. Sonst ist der ganze Schwung weg. Die Überhöhung spürt man aber - und sie hilft ganz deutlich.

Bernd Mayländer beim DTM-Rennen in Schanghai 2004

Das Rennen in Schanghai im Jahr 2004 ist in die DTM-Geschichte eingegangen Zoom

Ich selbst bin übrigens auch schon mal in Schanghai Rennen gefahren, aber nicht auf dem Formel-1-Kurs, sondern in der Stadt, im Jahr 2004 mit der DTM. Es war ein relativ kurzes Rennen für mich, denn ein Gullydeckel wurde durch den Anpressdruck des Fahrzeuges hoch- und ich weggeschleudert. Nur Fliegen ist schöner, und daher hat dies damals auch für große Schlagzeilen gesorgt. Wir waren ein paar Monate vor dem ersten Formel-1-Grand-Prix in der Stadt. Diese Szene werde ich wohl nie vergessen.

Keine Haifischflossen und Tigerzähne auf dem Teller

So manches Gericht in einem der hervorragenden Restaurants auch nicht. Ich mag chinesisches Essen sehr gern, auch wenn ich ehrlich gesagt keine Haifischflossen oder Tigerzähne brauche - diese Tiere dürfen bei mir am Leben bleiben. Aber es gibt hunderte gute Restaurants in der Stadt, wo man wirklich lecker und gut Essen gehen kann, in allen verschiedenen Richtungen. Vom Kommunismus spürt man jedenfalls nichts, sondern die Stadt wirkt ganz im Gegenteil sehr weltoffen und modern.

Ein heißer Tipp sind auch die ganzen "Chinatowns", also die vielen Straßenmärkte, die es dort gibt. Da lernt man das Feilschen, da haben sie uns einiges voraus. Und man bekommt dort wirklich alles, auch wenn man aufpassen muss, dass man nicht statt der Rolex eine Relox angedreht bekommt!


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in China

Euer

Bernd Mayländer

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