Sotschi: Ein Kurort als Spielplatz der Gigantomanie

Zwei Wochen vor Olympia: Wie der beschauliche Kurort Sotschi mit Russlands Formel-1-Premiere "neue Standards" setzen will und wie es um das Projekt steht

(Motorsport-Total.com) - Im beschaulichen Kurort ist die Hölle los. Die Bagger rollen seit Monaten in Sotschi auf und ab, 100.000 Arbeiter schuften rund um die Uhr unter schwierigsten Bedingungen, um das Unmögliche zu schaffen - und um ganz auf Nummer Sicher zu gehen, mobilisierte Präsident Wladimir Putin in letzter Sekunde sogar 7.000 Arbeitslose. Sie alle sollen dafür sorgen, dass die 37,5 Milliarden Euro teure Herkulesaufgabe rechtzeitig bewältigt wird.

Titel-Bild zur News: Sotschi, Haupttribüne

Prestigeprojekt: Der Kurs in Sotschi soll die Formel 1 in Russland etablieren Zoom

Die Rede ist nicht vom historischen ersten Grand Prix von Russland, der am 12. Oktober am Schwarzen Meer stattfinden wird, sondern von den Olympischen Winterspielen, die in genau zwei Wochen mit der Eröffnungsfeier im riesigen Fischt-Stadion im Olympia-Park feierlich gestartet werden sollen.

Es werden die teuersten Olympischen Spiele aller Zeiten - daneben sieht das Formel-1-Projekt vergleichsweise mickrig aus. Der Bau des Sochi International Street Circuit, der in den Olympiapark eingebettet ist und an den Sportstädten vorbeiführt, verschlingt gerade mal 260 Millionen Euro - also ein 144stel des Olympia-Budgets.

Schönste Kulisse der Formel 1?

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn, die sich bei der Demofahrt von Sergej Sirotkin bereits ein Bild von der noch nicht fertiggestellten Anlage machen durfte, ist allerdings schon jetzt hellauf begeistert: "Wenn man dort ist und sieht, wie die Strecke ausgelegt wird, dann habe ich bisher noch keine so schöne Kulisse gesehen. Auf der einen Seite ist man am Meer und hat den Strand neben der Strecke, aber dann schaut man von der Geraden auf schneebedeckte Berge. Wo sonst bekommt man das zu sehen? Es ist wunderschön."

Blick auf Sotschi

Ort der Gegensätze: vorne das Schwarze Meer, im Hintergrund der Kaukasus Zoom

Der Rennstrecken-Bau soll im Gegensatz zu Olympia eine nachhaltige Investition sein. Denn niemand weiß derzeit, wer ab März - wenn die Großveranstaltung im Zeichen der fünf Ringe vorbei ist - die rund 40.000 Hotelbetten der 340.000 Einwohnerstadt nutzen soll. Der Ort ist mit seiner hervorragenden Infrastruktur also für das erste Russland-Gastspiel der Königsklasse wie geschaffen - ein Vertrag mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone wurde bis 2020 unterzeichnet.

Vom Kurort zum Unterhaltungsparadies

Und das, obwohl es sich um einen traditionellen Kurort handelt, wo der ohrenbetäubende Motorenlärm der Boliden eigentlich wenig zu suchen hätte. Doch in Sotschi denkt man längst in größeren Dimensionen: Die Formel 1 ist neben Olympia, einem riesigen Vergnügungspark und der "russischen Riviera" nur ein Element, um den Tourismus ordentlich anzukurbeln.

Oleg Zabara

Oleg Zabara, Vertreter des Grand Prix von Russland, will in Sotschi Emotionen wecken Zoom

"Es geht in Sotschi nicht nur um die Austragung des Rennens, sondern welche Emotionen die Menschen mit dem Ort Sotschi verbinden", philosophiert Oleg Zabara, stellvertretender Generaldirektor für die Organisation des Grand Prix von Russland im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Das Ziel ist, dass die Leute nicht nur das Rennen aufregend finden und dann mit dieser tollen Erfahrung wieder nach Hause fahren, sondern dass sie einen großartigen Eindruck von Russland haben, von der Region Krasnodar, von der Stadt Sotschi, von der Entspannung, die sie hier im Rahmen des Rennens genießen."

Das lässt man sich einiges kosten. Auch wenn das Budget für den Streckenbau im Vergleich zu Olympia klein anmutet, so hat man es doch deutlich überschritten. Ursprünglich waren statt 260 "nur" 142 Millionen Euro für den Rennstrecken-Bau vorgesehen gewesen - die Kosten haben sich also fast verdoppelt. Ein Umstand, der zum Klischee der maßlosen russischen Oberschicht passt wie die Faust aufs Auge.

Warum die Kosten aus dem Ruder liefen

Guennadi Saienko - ein Vertreter des Rennpromoters Omega Center - beschwichtigt gegenüber dem Wirtschaftsblatt 'Vedomosti': "Bei den 142 Millionen handelte es sich doch nur um eine grobe Berechnung. Viele der notwendigen Anforderungen des Designers, der Tilke GmbH, wurden dabei nicht in Betracht gezogen."

Was er damit genau meint, ist im ersten Moment unklar. Doch Zabara verrät die Details: "Wir mussten den Untergrund stabilisieren. In manchen Bereichen war der Untergrund weniger stabil als erwartet, also wurde ein Teil des Geldes dafür verwendet. Das ist der Hauptgrund, warum die Kosten des Projektes höher sind als geplant."

Für den Aachener Rennstrecken-Architekten Hermann Tilke, der mit dem Projekt in Sotschi beauftragt wurde, ist dies keine unbekannte Ausgangssituation. In Schanghai baute er einen Kurs in ein Moorgebiet und musste dafür bis zu 80 Meter lange Pfähle in die Erde schlagen und den Untergrund mit meterdickem Styropor stabilisieren.


Rennstrecken-Bau in Sotschi

Keine Motorsport-Tradition

Die Kosten werden derzeit von der Regierung getragen. Ursprünglich hieß es, dass die vier russischen Unternehmen Basic Element, Lukoil, MegaFon und Russian Technologies in das Projekt investieren. Da man die Kosten aber unterschätzt hatte, gibt sich Zabara diesbezüglich vorsichtig. "Das wird bekanntgegeben, wenn alle Details fixiert sind", sagt er. "Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass diese vier Unternehmen beteiligt sind."

Beim Grand Prix von Russland handelt es sich um ein äußerst mutiges Vorhaben: Im flächenmäßig größten Land der Erde existiert derzeit kein einziges Formel-1-Printmagazin, Motorsport-Tradition ist kaum vorhanden und die Zuseherzahlen bei den Grands Prix sind dementsprechend niedrig. Daran konnte auch Russlands erster Formel-1-Pilot Witali Petrow wenig ändern - der Mann aus Vyborg verschwand nach dem Debüt 2010 Ende 2012 wieder von der Bildfläche.

In letzter Sekunde schenkte Red Bull den Russen mit dem erst 17-jährigen Toro-Rosso-Debütanten Daniil Kwjat nun doch noch einen Lokalmatador. Auf seinen unerfahrenen Schultern ruhen nun die Hoffnungen der Organisatoren.

Sotschi will einzigartig sein

Doch was passiert, wenn der Effekt ausbleibt und das Rennen vor leeren Rängen über die Bühne geht? Zabara stellt klar, dass das Rennen selbst keine schwarzen Zahlen schreiben muss. Das investierte Geld soll wieder in die Region Krasnodar zurückfließen: "Das Rennen soll ein Katalysator für die Entwicklung der Region sein. Viele Unternehmen sind an diesem Projekt beteiligt, sie alle werden durch die Veranstaltung mehr Auslastung erfahren - Restaurants, Hotels und so weiter. Das ist die Idee."

Wenn die Russen schon mit der Formel 1 selbst wenig anfangen können, dann sollte zumindest das Umfeld keine Wünsche offen lassen: Glanz und Glamour will man den Gästen in Sotschi bieten - kein Wunder, dass sich Zabara und sein Kollege Sergei Worobiew, stellvertretender Direktor von Formula Sochi, am Formel-1-Wochenende in Abu Dhabi einfanden, um sich inspirieren zu lassen.

"Wir werden die neuen Standards setzen." Oleg Zabara

"Die Dinge, die uns hier auffallen, versuchen wir bei unserem Grand Prix zu implementieren", erklärt Zabara die Herangehensweise. Man wolle aber das Rennen in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht kopieren, sondern etwas Einzigartiges auf die Beine stellen. "Wir werden die neuen Standards setzen", gibt sich der Vertreter der Organisation des Grand Prix von Russland selbstbewusst.

Abu-Dhabi-Streckenchef soll für Feinschliff sorgen

Um nichts dem Zufall zu überlassen, hat man in Abu Dhabi gleich Verstärkung für das Projekt in Sotschi engagiert. Niemand geringerer als der Chef des Kurses in Abu Dhabi Richard Cregan - früher Teammanager bei Toyota - und sein Beraterbüro Rasgaira sollen dem Formel-1-Rennen am Schwarzen Meer den letzten Feinschliff verpassen. Cregan hat es geschafft, Abu Dhabi im Grand-Prix-Kalender zu etablieren. Der Beweis: Nur beim Rennen auf dem Yas Marina Circuit werden dieses Jahr erstmals doppelte Punkte vergeben.

"Ich bin überzeugt, dass der Russland-Grand-Prix eine der Kultveranstaltungen im Kalender werden wird." Richard Cregan

Sein Know-how soll Zabara & Co. nicht nur zu einem "Weltklasse-Grand-Prix" verhelfen, sondern auch dafür sorgen, dass man die Rennstrecke ganzjährig nutzen kann. "Ich bin überzeugt, dass der Russland-Grand-Prix eine der Kultveranstaltungen im Kalender werden wird", meint Cregan, der dafür sogar seinen Chefposten in Abu Dhabi aufgegeben hat.

Spektakuläres Layout

Der Kurs selbst dürfte das Zeug zur zukünftigen Kultstrecke haben. Er soll 5,872 Kilometer lang sein - nur die Traditionsstrecken in Spa-Francorchamps und in Silverstone sind länger. Sebastian Vettel und David Coulthard zeigten sich bei einer Red-Bull-Demonstration begeistert. "Der Olympische Park und die Rennstrecke mittendrin, das ist einzigartig auf der Welt", schwärmte der Weltmeister gegenüber 'Formula1.com'.

Olympischer Park mit Formel-1-Rennstrecke in Sotschi

Die spektakuläre dritte Kurve führt 180 Grad um den "Medals Plaza" Zoom

Und sein schottischer Red-Bull-Kollege zeigte sich von der endlos anmutenden Kurve drei, die um den "Medals Plaza" führt, begeistert und taufte sie scherzhaft "Infiniti-Corner". Die Begeisterung teilt Architekt Tilke. "Da wird mit mehr als 200 km/h reingefahren, raus geht es mit mehr als 300 km/h. Die wird immer schneller. So eine gibt es glaube ich noch nicht", sagt er gegenüber 'auto motor und sport'.

Boxenanlage als Stützpunkt der Olympia-Organisation

Bei den Olympischen Spielen wird die Strecke annähernd fertig aussehen, doch der Eindruck täuscht. Die oberste Asphaltschicht wurde extra für die Großveranstaltung angebracht, damit der Formel-1-Kurs als Transportweg benutzt werden kann. Danach wird diese wieder entfernt und mit dem endgültigen Rennbelang versehen. Die ursprüngliche Idee, die Rennstrecke für die Olympischen Spiele vorübergehend mit Pflastersteinen zu belegen, wurde nach einer technischen Überprüfung als zu aufwändig eingestuft.

Sotschi

Aufwändige Anlage: links die Team-Stützpunkte, rechts das Boxengebäude Zoom

Auch in der bereits fertigen Boxenanlage kann man bereits jetzt hektisches Treiben beobachten. Dort arbeitet das Olympia-Organisationskomitee am reibungslosen Ablauf der Spiele. Das Mediacenter wird während den Olympischen Spielen als Besprechungs- und Abstellraum benutzt, die Kommunikationseinrichtungen werden danach installiert. Auch das Medical Center ist bereits einsatzbereit.

Wie man die Russen mobilisieren will

Wenn die Olympischen Spiele am 23. Februar mit einer pompösen Abschlussfeier zu Ende gehen, dann ist dies für Zabara und sein Team gleichzeitig der Startschuss für den Endspurt bis zur Formel-1-Premiere. Ganz bewusst hat man den Ticketverkauf noch nicht anlaufen lassen - das wird am 4. März passieren.

"Wir wollen das Marketing nicht mit Olympia vermischen", verrät Zabara den Gedanken hinter der Entscheidung. Auch das Finden der optimalen Ticketpreise gilt wegen der mäßigen Formel-1-Begeisterung als heikle Angelegenheit. "Wir wollen es mit einer überraschenden Strategie richtig machen, wollen die Tickets nicht verschenken, sie aber auch nicht extrem teuer machen", gibt er sich noch kryptisch.

"Wir wollen die Tickets nicht verschenken, sie aber auch nicht extrem teuer machen." Oleg Zabara

Sollte der Verkauf überraschend gut laufen, dann wäre man jedenfalls vorbereitet: Neben den geplanten 55.000 Sitzplätzen könne man zusätzliche Tribünen aufstellen. "Es handelt sich um das erste Jahr, also ist es schwer vorherzusagen, wie es aussehen wird", ist auch Zabara gespannt.

Warum der Herbsttermin nicht optimal ist

Die Spannung wird vermutlich bis zum Schluss anhalten. Denn auch wenn bei der Fertigstellung der Rennstrecke wie erwartet alles klappt, könnte das unberechenbare Wetter im Herbst zur Herausforderung werden. Bei Sirotkins Sauber-Demonstration im vergangenen Herbst wurde sogar das Dach eines Zelts vom Sturm weggeblasen - auch schwere Regenfälle gehören zur Normalität.

"Da kann man nichts machen - so ist eben die Natur", zuckt Zabara ohnmächtig mit den Schultern. Notfallplan habe er für solche Fälle keinen in der Tasche. Der Oktober-Termin ist eine Folge der Olympia-Austragung im Februar. "Es besteht die Möglichkeit, dass das darauffolgende Rennen im Mai stattfindet, weil das Wetter dann besser ist", will er auch diese Problemquelle in Zukunft ausmerzen. Das würde auch aus touristischer Sicht Sinn ergeben, meint er: "Die Tage sind länger, und wir haben im Mai viele Feiertage in Russland." Außerdem sei ein Herbsttermin suboptimal, weil "die Russen im Sommer ihr ganzes Geld ausgeben."

Wenn der Grand Prix 2015 tatsächlich im Mai stattfindet, dann tritt man in direkte Konkurrenz zum Klassiker in Monaco - dem Glamour-Rennen, dem alle nacheifern. Eine Gemeinsamkeit hat man jetzt schon: Sotschi liegt in auf dem gleichen Breitengrad wie Monte Carlo - möglicherweise ein gutes Omen.