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  • 24.07.2013 14:00

Renault in Budapest: Fahrbarkeit statt Spitzenleistung

Auf dem Stop-and-Go-Kurs von Budapest werden besondere Herausforderungen an die Motoren gestellt - Drehzahllimit wird nur an zwei Stellen der Strecke erreicht

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Ungarn auf dem Hungaroring bei Budapest, zehnter von 19 Läufen zur Formel-1-Weltmeisterschaft 2013, gehört bei Teams und Fahrern zu den beliebtesten des Jahres - obwohl oder gerade weil er sehr komplexe Anforderungen an Technik und Fahrkönnen stellt. Für Autos mit Rennmotoren von Renault ist der Hungaroring offenbar ein gutes Pflaster: Beim Debüt der Strecke 1986 sicherte sich Ayrton Senna im Lotus 98T mit dem berühmten 1,5-Liter-V6-Turbo die erste Pole-Position.

Titel-Bild zur News: Romain Grosjean

Viel Zeit für Vollgas bleibt den Piloten in Budapest nicht Zoom

Der erste Sieg folgte 1990, als Thierry Boutsen in seinem Williams-Renault FW13B mit dem revolutionären V10-Saugmotor triumphierte. Seitdem hat Renault weitere sechs Siege in Budapest erzielt, darunter 1995 bis 1997 drei in Folge. 2003 gewann Fernando Alonso hier seinen ersten Grand Prix und den ersten für das damalige Renault-Team. Der bisher jüngste Erfolg geht auf das Konto des Partnerteams Red Bull, für das Mark Webber 2010 auf dem Hungaroring siegte.

Der Hungaroring im Detail: drei entscheidende Passagen

Turn 2
Nachdem die Fahrer die Spitzkehre am Ende der Geraden im zweiten Gang genommen haben, beschleunigen sie bis in den sechsten hoch. Die dann folgende Bremszone für Kurve 2 führt bergab. Deshalb passiert es hier schnell, dass der Bremspunkt verpasst wird, ein Rad blockiert und der Fahrer die Ideallinie beim Einlenken nicht trifft. Überdies verlockt diese Kehre dazu, zu früh wieder aufs Gas zu steigen. In diesem Fall passt aber die Linie für den folgenden Rechtsknick nicht optimal - und das wiederum kostet Schwung für die anschließende kurze Gerade.

Wegen dieser Zusammenhänge fordert die Passage rund um Kurve 2 besonders viel Geduld und Präzision von den Piloten. Gut abgestimmte Motoren erleichtern dem Fahrer diese Aufgabe: Ziel der Ingenieure von Renault ist es, dass der RS27 exakt jenes Maß an Drehmoment liefert, das der Pilot benötigt - und zwar sowohl beim Beschleunigen als auch beim sogenannten Overrun, dem Schub in der Bremsphase.

Turns 8 & 9
Auch wenn es sich bei den Turns 8 und 9 jeweils um eigenständige Kurven handelt, sind sie bei der Streckenanalyse nicht voneinander zu trennen. Die Fahrer beschleunigen aus der engen Schikane (Turns 6/7) vom zweiten bis in den vierten Gang hoch, bremsen dann und schalten vor Kurve 8 in den dritten herunter. Bei einem Zwischensprint kommen sie kurz in den vierten Gang, tippen dann leicht auf die Bremse und legen vor Kurve 9 wieder den dritten ein.

Die Gefahr dieser Passage: Wer in Kurve 8 zu viel will, gefährdet seine Linie in Kurve 9 - und wer dort Schwung verliert, leidet nachhaltig darunter. Denn der anschließende Turn 10 wird absolut voll genommen und erst vor Kurve 11 wird wieder gebremst. Der RS27-V8 muss hier umgehend auf die wechselnden Gaspedalbefehle ansprechen; besonders, weil dem 50 Millisekunden schnellen Herunterschalten ein sofortiger Gasstoß folgt.

Turn 14
Die letzte Kurve der Runde wird im dritten Gang mit 130 bis 150 km/h genommen. Vom Einlenken bis zum Kurvenausgang dauert es rund zwei Sekunden. Kurve 14 ist insofern untypisch, da sich hier nicht die klassische Abfolge abspielt, wo der Fahrer anbremst, einlenkt und sofort wieder aufs Gas geht. Stattdessen bleiben die Piloten die ganze 180-Grad-Kurve über leicht auf dem Gas und balancieren mit kurzen Gasstößen eventuelle Tendenzen zum Untersteuern aus.

Erst am Ende der Kurve treten sie wieder voll aufs Pedal und versuchen, die beste Linie zu treffen, um möglichst früh Tempo für die Start-Ziel-Gerade aufzunehmen. Wegen dieser ungewöhnlichen Anforderungen muss der Motor hier nicht nur sehr spontan, sondern auch sehr fein ansprechen. Jede Verzögerung beim "Lenken mit dem Gaspedal" oder jede Schwäche in der Fahrbarkeit wird die Fahrzeugbalance in der Kurvenmitte zerstören.

Ungarn aus der Sicht eines Motoren-Ingenieurs

Remi Taffin, Leiter des Renault-Einsatzteams erklärt: "Die winklige, 4,381 Kilometer lange Strecke ähnelt einer überdimensionalen Kartbahn - eine Kurve folgt der anderen. Abgesehen vom Stadtkurs in Monaco ist der Hungaroring mit einem Rundenschnitt von 182 km/h der langsamste aktuelle Grand Prix-Kurs. Der Vollgasanteil ist mit nur 55 Prozent pro Runde ähnlich niedrig wie auf einem Stadtkurs."

"Aufgrund dieser Streckencharakteristik spielt die Spitzenleistung unseres RS27-V8 an diesem Wochenende eine eher untergeordnete Rolle. Lediglich auf der Start-Ziel-Geraden sowie dem 790 Meter langen Geradeausstück zwischen den Kurven 3 und 4 erreichen die Triebwerke überhaupt das Drehzahllimit. Stattdessen stehen ein guter Drehmomentverlauf bei niedrigen Geschwindigkeiten sowie optimaler Grip und Traktion beim Gasgeben im Fokus. Beim Grand Prix von Ungarn kommen normalerweise Triebwerke zum Einsatz, die zuvor bereits zwei Rennen absolviert haben."

"Auf dieser Stop-and-Go-Piste ist der Kraftstoffverbrauch pro Kilometer relativ hoch. Folgerichtig werden die Autos am Start eine überdurchschnittlich schwere Spritladung mitführen. Hinzu kommen die hohen Temperaturen, die zu dieser Jahreszeit vor den Toren von Budapest herrschen. Das Thermometer klettert häufig über die 30-Grad-Marke, bisweilen sind sogar 35 Grad Celsius möglich."

"Ein Vorteil der extremen Hitze: Der Kraftstoffverbrauch sinkt. Denn die Umgebungsluft ist mit weniger Sauerstoff angereichert, welcher für den Verbrennungsprozess benötigt wird. Andererseits verlangen die hohen Lufttemperaturen und das langsame Durchschnittstempo naturgemäß nach einer effizienten Motorkühlung. Das ständige Stop-and-Go führt dazu, dass die Achtzylinder kaum einmal Gelegenheit bekommen, bei kühlendem Fahrtwind durchzuatmen. Umso wichtiger ist es, die Aggregate mit der nötigen Frischluft zu versorgen."

"Hier gilt es, den idealen Kompromiss zu finden. Denn die Teams benötigen jedes einzelne Kilo aerodynamischen Abtrieb. Daher können wir nicht einfach die Kühlöffnungen vergrößern. Wir haben die Motorenspezifikationen deshalb auf unseren Prüfständen in Viry intensiv im unteren Drehzahlbereich und bei hoher Umgebungstemperatur vorbereitet. Unser RS27-V8 kann seine Stärken auf kurvigen Strecken wie dem Hungaroring voll ausspielen, wo insbesondere die gute Fahrbarkeit im Mittelpunkt steht. Beim letzten Grand Prix vor der Sommerpause wollen wir diese Vorteile natürlich in ein bestmögliches Ergebnis ummünzen."