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2014: Keine Chance mehr ohne Hybrid

Mercedes erwartet, dass man ab 2014 ohne ERS chancenlos sein wird - ERS-Schaden erfordert künftig einen Motorwechsel - Airboxen könnten verschwinden

(Motorsport-Total.com) - "Wer dieses Jahr Weltmeister werden will, muss KERS haben", hat BMW-Teamchef Mario Theissen vor Einführung der Hybridtechnologie im Winter 2008/09 gesagt - eine krasse Fehleinschätzung, wie sich wenige Monate später zeigen sollte, als sich BMW dazu entschloss, das Energierückgewinnungs-System wieder auszubauen. Tatsächlich wurden mit KERS im ersten Jahr nur drei von 17 Rennen gewonnen: Lewis Hamilton (McLaren) in Ungarn und Singapur, Kimi Räikkönen (Ferrari) in Belgien. BMW stieg nach der Pleitensaison mit dem KERS-Millionen-Flop sogar aus der Formel 1 aus.

Titel-Bild zur News: Mercedes-KERS 2011

Heute sieht das Mercedes-KERS ungefähr so aus (Foto zeigt Stand 2011) Zoom

Doch schon heute, etwa vier Jahre nach Theissens damaliger Aussage, ist KERS ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Zwar ist das System gerade bei Red Bull immer wieder ausgefallen und Sebastian Vettel und Mark Webber haben trotzdem Spitzenergebnisse eingefahren und teilweise sogar Rennen gewonnen, aber das wird mit Einführung der neuen Motorengeneration ab 2014 nicht mehr möglich sein. Denn die 1,6-Liter-V6-Turbos ersetzen nicht nur die derzeitigen 2,4-Liter-V8-Sauger, sondern kommen auch mit einem verstärkten Hybrid-Schwerpunkt daher.

"Heutzutage ist es schwierig, ohne KERS schnell zu sein. 2014 wird es unmöglich sein, ohne ERS Rennen zu fahren", erklärt Andy Cowell, Geschäftsführer der Mercedes-Motorendivision in Brixworth. ERS steht für Energy Recovery System - das K für Kinetic entfällt, weil künftig nicht mehr nur kinetische, sondern auch thermische Energie rückgewonnen wird. Zwei Hybridsysteme liefern künftig nicht mehr bis zu 81 Zusatz-PS für 6,7 Sekunden pro Runde, sondern bis zu 163 PS für 33,3 Sekunden. ERS bringt ab 2014 also pro Runde mehrere Sekunden.

Alles unter dem Schlagwort "Effizienz"

Cowell spricht unter dem Schlagwort "Effizienz" von einer "einen neue Form des Rennfahrens". ERS ist ein entscheidender Faktor dafür. Trotz der durch die FIA vorgegebenen Kapazitätsbeschränkungen, die ab 2014 aufgelockert werden, wurden beeindruckende Entwicklungsschritte erreicht: Das erste Mercedes-KERS brachte in der Entwicklungsphase im Jahr 2007 noch 107 Kilogramm auf die Waage und erreichte einen Effizienzgrad von 39 Prozent. Heute ist das System 24 Kilogramm leicht und schafft 80 Prozent Effizienz, bei ab 2014 zwölffacher Leistungsdichte.

Weniger Hubraum, niedrigere Drehzahlen: Das ist das Credo, dem sich die Automobilindustrie seit einigen Jahren verschreibt - mit dem Ziel, die CO2-Emmissionen zu reduzieren. Die Formel 1 visiert ab 2014 um ein Drittel weniger Benzinverbrauch an, maximal 100 Kilogramm (oder weniger) statt bisher rund 150 Kilogramm (natürlich variabel nach Strecke) pro Renndistanz. Die Prognosen besagen sogar, dass die Motorenhersteller den Verbrauch so weit wie möglich unter das 100-Kilogramm-Limit schrauben könnten, um Gewicht zu sparen und auf diese Weise Rundenzeit zu finden.

"Ein Motor mit 18.000 Umdrehungen pro Minute ist nicht besonders serienrelevant und auch nicht dazu geeignet, die Technologie weiterzuentwickeln", erklärt Cowell. "Also haben wir uns vor einigen Jahren alle darauf geeinigt, dass der fundamentale Faktor, der unsere Leistungsentwicklung kontrolliert, eine bestimmte Benzinmenge sein sollte. Für eine Renndistanz vom Erlöschen der roten Ampel bis zur Zielflagge darf kein Auto mehr als 100 Kilogramm Benzin verbrauchen. Heute sind wir ungefähr bei 150 Kilogramm."


Fotos: Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth


Gleiche Rundenzeiten bei niedrigerem Verbrauch

"Um auf die gleichen Rundenzeiten zu kommen, was den gleichen Leistungs-Output erfordert, brauchen wir also eine 30-prozentige Verbesserung der Effizienz. Das bedeutet auch, dass wir auf eine Renndistanz gesehen um 30 Prozent weniger CO2 als heute ausstoßen. Das ist ein riesiger Schritt. Wir schlagen damit die gleiche Entwicklungsrichtung ein wie bei Straßenautos", sagt der Ingenieur und ergänzt ein kleines, aber wichtiges Detail: "Wir sprechen nicht mehr von einem Motor. Es ist jetzt eine Antriebseinheit."

Und zwar auch im FIA-Reglement, das ab 2014 nur noch maximal fünf Antriebseinheiten statt bisher maximal acht Motoren pro Auto und Saison erlaubt. Das bedeutet konkret, dass künftig auch ein Hybrid-Defekt zu einem "Motorwechsel" (korrekt: Antriebseinheits-Wechsel) führen wird, sofern dieser nicht reparabel ist. Denn ohne ERS-Zusatzleistung zu fahren, wird aufgrund der stark erhöhten Hybridleistung kein Thema mehr sein - jeder, der keine ERS-Power mehr hat, wird ab 2014 nur noch Kanonenfutter für die Konkurrenz sein.

Mercedes-KERS 2009

Mercedes-Formel-1-KERS der ersten Generation, wie 2009 eingesetzt Zoom

Dadurch, dass eine Antriebseinheit nun nicht mehr nur den Motor umfasst, sondern zusätzlich die beiden Energierückgewinnungs-Systeme samt Batterien und den Turbolader, steigt das vorgeschriebene Mindestgewicht von 95 auf 145 Kilogramm. Das ERS ist seitens der FIA auf ein Gewichtsfenster von 20 bis 25 Kilogramm eingegrenzt. Eigentlich wäre es im Sinne der Relevanz für die Serienentwicklung wünschenswert, ein "Diät-Entwicklungsrennen" zu fördern, aus Kostengründen wurde das untere Limit aber bei 20 Kilogramm angesetzt.

Weniger Abwärme reduziert Probleme

Die Lebensdauer der Batterien wird nicht das Problem sein, denn diese liegt schon jetzt bei jenseits der 3.000 Kilometer. Künftig soll die komplette Antriebseinheit um die 4.000 Kilometer schaffen, bevor sie ausgetauscht wird, um mit maximal fünf Stück pro Saison durchzukommen. Generell könnte die Zuverlässigkeit langfristig aber sogar besser werden, denn die höhere Effizienz bedeutet, dass weniger thermische Abwärme generiert wird - und Überhitzung war in der Vergangenheit häufig eine Ursache für technische Defekte.

Theoretisch könnte die neue Effizienz sogar dazu führen, dass die Airbox-Lufteinlässe obsolet werden, weil die Kühler in den Seitenkästen völlig ausreichend sind. Allerdings sind im Bereich der Airbox auch die Überrollbügel untergebracht, die im Falle von Überschlägen aus Sicherheitsgründen nicht verschwinden können. Laut Cowell überlegen sich die Formel-1-Ingenieure der Hersteller gerade, wie man diesbezüglich eine auch optisch vernünftige Lösung finden könnte, die nicht auf Kosten der Sicherheit geht.


Mercedes erklärt KERS (Version 2009)

Und noch ein interessanter Nebenaspekt ergibt sich durch die Effizienz-Formel ab 2014: Bisher wurde mit rund 790 Kilogramm gestartet, die Zieldurchfahrt erfolgte mit mindestens 640 Kilogramm (Auto inklusive Fahrer). Künftig starten Lewis Hamilton und Co. mit weniger Benzin an Bord und somit auch weniger Gesamtgewicht, am Ende werden die Autos vermutlich aber sogar schwerer sein, als das derzeit bei einer Zielankunft der Fall ist. Die Veränderung des Fahrverhaltens durch das variierende Gewicht im Rennen nimmt also ab.