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  • 21.12.2012 17:13

  • von Michael Noir Trawniczek

Kolumne: Das Formel-1-Feeling aus der Dose

Der österreichische Journalist Michael Noir Trawniczek schildert anhand des PR-Events in Graz, dass auch die Marketing-Maschine Red Bull nicht immer rund läuft

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel beim Showrun in Graz

Beim Showrun in Graz war von Sebastian Vettel nicht allzu viel zu sehen Zoom

(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Journalisten müssen flexibel sein. Am Donnerstag (29. November) flattert die E-Mail
herein: Einladung zur großen Pressekonferenz anlässlich des großen Showruns des nunmehr dreifachen Formel-1-Weltmeisters Sebastian Vettel in Graz, die am Samstag angesetzt ist. In der Einladung steht: "Am kommenden Samstag wird der 25-Jährige in der österreichischen Heimat seines Rennstalls zu Gast sein und bei einer Pressekonferenz die Fragen internationaler Medienvertreter beantworten."

Dass die Einladung auch an nationale Medienvertreter ging, war wohl ein Entgegenkommen, quasi eine generöse Geste aus Fuschl...

Weiter unten steht dann noch der Hinweis: "Keine Einzel-Interviews möglich!" Doch dieser Zusatz verwundert niemanden mehr, schließlich ist es schon seit rund zwei Jahren üblich, dass es keine Einzelinterviews mit Sebastian Vettel gibt, weder bei einem Grand Prix, noch sonstwo; es gibt nur Gruppenbefragungen. Es sind einfach zu viele Anfragen, heißt es mit großem Bedauern. Eine kleine Ausnahme gibt es dann aber doch, eine Zeitschrift aus einem großen deutschen Verlagshaus darf Vettel in etwa alle zwei Wochen interviewen. Ausnahmen bestätigen schließlich die Regel...

Keine Zeit für Übersetzungen

Zurück zur Pressekonferenz in Graz: Der Moderator begrüßt die anwesenden Journalisten zunächst zweisprachig, doch schon während der Pressekonferenz mit Dr. Helmut Marko gibt es keine englische Übersetzung mehr, offenbar wird die Zeit knapp. Schließlich musste zuvor noch der Bürgermeister von Graz interviewt werden, schließlich müssen sich Vettel und Marko noch ins Goldene Buch der Stadt Graz eintragen, das braucht alles seine Zeit.

Als ein müde und ausgezehrt wirkender Sebastian Vettel auf die Bühne kommt und er die Fragen des Moderators beantwortet, gibt es längst keine englischen Übersetzungen mehr für die "internationalen Medienvertreter".

Schließlich wird die Pressekonferenz beendet, ohne dass es auch nur einen Bruchteil einer Sekunde die Chance gab, Vettel eine Frage zu stellen. Es gibt auch nicht einmal einen Hinweis des Bedauerns, dass die Fragen der Journalisten aus Zeitgründen (der Zeitplan sah von Beginn an vor, dass um 11:00 Uhr der Showrun startet, die Pressekonferenz allerdings war ebenfalls für 11:00 Uhr angesetzt) ausfallen würden - vielmehr entsteht der Eindruck, dass es gar nie vorgesehen war, dass Fragen gestellt werden dürfen.

Michael Noir Trawniczek mit Norbert und Heike Vettel

Journalist Michael Noir Trawniczek mit den Eltern von Sebastian Vettel Zoom

Die verdutzten Journalisten werden nun eifrig nach draußen gebracht, zum Showrun. Sie werden in eine "Media-Area" verfrachtet, die man jedoch nicht mehr verlassen kann. Wer einmal drin ist, muss sich das gesamte Programm zu Gemüt führen. Einer der Kollegen hat einen Termin, doch er kommt nicht raus. Helfen würde wahrscheinlich nur ein vorgetäuschter massiver Nervenzusammenbruch oder eine fingierte Energiegetränke-Vergiftung, doch dann, irgendwann startet ja immerhin der "Showrun".

30.000 Zuschauer sehen fast nichts

Dass ein Formel 1-Bolide gerade einmal einen halben Meter hoch ist, bedenken manche nicht - auch nicht die Veranstalter, die es sich wohl hätten leisten können, provisorische Tribünen aufzubauen, dies aber bis auf kleine Hochstände für offenbar Auserwählte nicht taten.

So kommt es, dass der "Showrun" in erster Linie ein akustischer Genuss wird, denn wirklich sehen können nur jene Menschen etwas, die in der ersten oder zweiten Reihe stehen.

Der Autor steht in Reihe zwei der Media-Area und sieht etwa eine Sekunde lang einen vorbeihuschenden Heckflügel und immerhin die ausgestreckte Weltmeister-Hand von Sebastian Vettel, als dieser auf einem offenen Wagen sitzend den Zuschauern freundlich zuwinkt.

Sebastian Vettel muss man hier zugutehalten, dass er darauf bestanden haben soll, dass er ausgiebig Zeit hat, um den Fans Autogramme zu geben. Nett war Vettel schon immer, es gibt auch einige sehr witzige und auch charismatische Interviews mit dem Dreifach-Weltmeister. Kurz vor dem finalen Titelfight hat Bernie Ecclestone höchstpersönlich Vettel mit der Aussage "aufgebaut", er hätte "kein Charisma" - was natürlich auch die Frage aufwirft, wie man ein Charisma definiert.


Fotos: Sebastian Vettel: Showrun in Graz


Doch wie jeder Mensch ist Vettel erstens abhängig von den Fragen und zweitens wirkt er an diesem Samstag einfach nur ausgelaugt. Die Antwort auf die Frage nach Jochen Rindt ("Das ist das Tolle am Motorsport, dass man Vergleiche ziehen kann zu früher") verwendet dann nicht einmal Red Bull selbst in der hausgemachten Presseaussendung.

Marko plaudert aus dem Nähkästchen

Vettel an diesem Samstag zum wohl 100.000 Mal die Frage zu stellen, was er gedacht habe, als er beim WM-Finale in Brasilien nach dem Startgemetzel "verkehrtrum stand", war wohl auch keine gute Idee. Das absolute Highlight des Bühneninterviews: Vettel wird nach seinem Verhältnis zu dem ebenfalls auf der Bühne stehenden Dr. Marko gefragt, er antwortet zunächst brav, dass ihn Marko schon als junger Pilot auf seine Fehler aufmerksam gemacht habe - und sorgt dann schließlich für die ersten und im Grunde einzigen Lacher im Publikum: "Er steht da jetzt hinter mir, was soll ich da jetzt sagen?"

An diesem Samstag ist es Dr. Marko, der den Reportern den "Stoff" liefert - sowohl bei der PK als auch im Bühneninterview. Marko spricht mit scharfer Zunge, ehrliche Statements mit Gehalt. Vettels Aussagen hingegen verschwinden nach wenigen Sekunden in der großen, unendlichen Weite des Vergessens, sie plätschern nett dahin, doch man spürt, dass Vettel einfach übermüdet ist. Kein Wunder, nach quasi fünf Rennen in Folge, dem Druck des WM-Finales - doch die PR-Maschine des heimischen Energydrink-Herstellers ist offenbar nicht nur im Umgang mit Journalisten gnadenlos, sondern treibt auch den eigenen Hauptdarsteller vor sich her.

Sebastian Vettel

Man sieht aus der zweiten Reihe immerhin die Hand des Weltmeisters Zoom

Schließlich ist Red Bull Racing ein österreichisches Formel-1-Team, das zum dritten Mal Weltmeister wurde - und das soll hier und jetzt in Graz zelebriert werden.

Apropos: Immer wieder hört man aus dem Red-Bull-Umfeld Klagen, Österreichs Medien würden zu wenig betonen, dass dieses Team ein österreichisches ist.

Passend dazu eine Rückblende: Frühjahr 2012, Graz, Seminar "Steirisches Know-how in der Formel 1". Dr. Marko beantwortet dort Fragen aus dem Publikum. Der Autor, ernsthaft an dem Thema "Steirisches Know-how in der F1" interessiert, möchte wissen, wie viele Österreicher bei Red Bull Racing arbeiten würden, beispielsweise auch in der Technikabteilung im britischen Milton Keynes.

Red Bull und "das Österreichische"

Marko ist an diesem Frühlingstage lustig und antwortet: "In der Technik gar keine, soviel ich weiß - in der Gastro arbeiten Österreicher. Jeder macht halt das, was er am besten kann, hahaha." Jetzt stellt sich die Frage: Wie soll man als österreichisches Medium "das Österreichische" betonen, wenn es in Wahrheit oder laut Dr. Marko ohnehin nur um Schnitzel, Blutwurst oder sonstige Hausmannskunst aus dem Alpenland geht?

Oder ist es ohnehin egal, was in Österreich geschrieben wird? Schließlich gibt es ein kolportiertes und daher auch nicht bestätigtes Zitat von Dr. Marko, das da lautet: "Was in Österreich geschrieben wird, interessiert uns schon lange nicht mehr - wir schauen nur noch auf die internationalen Medien."

Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass die Leistungen der Firma Red Bull angeschwärzt werden sollen - der Salzburger Energiegetränke-Konzern hat es unzähligen Sportlern erst ermöglicht, sich zu entwickeln und Erfolge einzuheimsen. Es wurde sehr viel Geld anstatt in Werbung in Menschen mit Zielen investiert. Das ist ohne jeden Ansatz von Zynismus zu würdigen!


Sebastian Vettels Showrun in Graz

Dr. Marko, Christian Horner, Adrian Newey und allen voran Dietrich Mateschitz haben mit Red Bull Racing etwas Großes und Erfolgreiches auf die Beine gestellt - allerdings sollte man nicht damit beginnen, Menschen von oben herab zu behandeln oder vor den Kopf zu stoßen. Und Journalisten, ob international oder lediglich national, sind auch Menschen, der Autor kann das bestätigen.

Michael Noir Trawniczek
(Chefredakteur motorline.cc und Rally & more)