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  • 19.07.2012 17:41

Hockenheim: Bekanntes Terrain, unbekannte Gefilde

Motoren-Experte David Mart erklärt, wie man sich auf eine Strecke vorbereitet, die ein Jahr lang nicht im Kalender war - Prüfstandarbeit und Archivdaten wichtig

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Deutschland ist momentan der einzige Grand Prix, der im jährlichen Wechsel auf zwei verschiedenen Rennstrecken ausgetragen wird. Nachdem im Vorjahr der Nürburgring an der Reihe war, schlägt die Königsklasse ihre Zelte jetzt wie schon 2010 am Hockenheimring auf. Wegen dieser für Formel-1-Verhältnisse langen Pause kommt der Vorbereitung auf das Rennen und dem Datensammeln im Training besondere Bedeutung zu.

Titel-Bild zur News: Mark Webber

Mark Webber und seine Ingenieure betreiben intensive Setuparbeit

Bei ihrem Wunsch, so viele Informationen wie möglich zu gewinnen, stoßen die Chassis- und Motoren-Ingenieure auf die erste Hürde: Der deutsche Sommer zeigt sich bisher wechselhaft bis triefend nass. Folglich gibt es keine Garantie, dass der Freitag durchgehend vernünftige Streckenverhältnisse bietet. Dies und die relativ "veraltete" Datenbasis erfordern eine besonders akribische Planung der Trainingssessions.

Computersimulationen von besonderer Bedeutung

David Mart ist als Motoreningenieur von Renault für die Triebwerke von Red-Bull-Pilot Mark Webber zuständig. "Wir sind nicht nur 24 Monate nicht hier gewesen, es ist auch unser erster Hockenheim-Besuch mit Pirelli-Reifen", gibt der Brite zu bedenken. "Ein optimales Setup für einen Kurs zu finden, auf dem du nur alle zwei Jahre fährst, ist erfahrungsgemäß komplexer, als wenn du jedes Jahr dort bist."

Mart fordert: "Wir müssen uns deshalb viel mehr auf unsere Prüfstandversuche verlassen und außerdem die vorhandenen Daten bestmöglich nutzen." Das betrifft sämtliche Bereiche von der Spritmenge bis zum Gaspedal-Mapping, betont der Renault-Spezialist. "Wir greifen natürlich auf Erfahrungswerte von ähnlichen Strecken zurück. Aber vor allem musst du sicher sein, dass deine Simulationen im Computer und die Prüfstandarbeit verlässliche Ergebnisse bringen."

Doppelte Zuverlässigkeitstests

"Dank unserer Erfahrung und der spezifischen Vorbereitung für Hockenheim treffen wir mit den Abstimmungen rund um den Motor schon ziemlich genau das, was der Fahrer sich wünscht", weiß Mart, erinnert aber an den besonderen Stellenwert einer gelungenen Vorbereitung. "Aber du musst deine Hausaufgaben gründlich gemacht haben."

Ein weiterer Faktor, der die Vorbereitung beeinflusst: "Der Deutschland-Grand ist das erste von zwei Rennen im Wochenabstand - eine Konstellation, die wir dieses Jahr noch weitere vier Male erleben werden. Deshalb haben wir im Vorfeld die Zuverlässigkeitstests praktisch doppelt gemacht, also auch schon für Ungarn. In einem sogenannten Hockenheim-Zyklus lassen wir die Aggregate auf dem Prüfstand ein komplettes Rennen nach den Daten von 2010 fahren", erklärt Mart.

Gute Vorbereitung zahlt sich aus

"Das heißt, der Motor macht exakt jede Beschleunigungs-, Brems- und Höchstgeschwindigkeits-Phase mit wie in einem kompletten Rennen in Hockenheim", so der Ingenieur. Er kennt die Vorteile, die dieses aufwendige Verfahren bringt: "Dadurch bekommen wir eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welche Art Kalibrierung sinnvoll ist, bevor wir überhaupt nach Deutschland aufbrechen", erklärt Mart.

"Durch unsere Vorbereitung im Motoren-Workshop in Viry fahren wir mit einem klaren Bild nach Hockenheim - und das nicht nur wegen der Prüfstandarbeit. Unsere Elektronik-Abteilung verfügt über gute Simulationsprogramme. Darin können wir jedes Motoren-Mapping auf einer virtuellen Runde in Hockenheim durchspielen. Dann vergleichen wir die Daten unserer aktuellen Mappings mit den historischen Daten von 2010 und können vorhersagen, wie sich ein Triebwerk in der Realität verhalten wird."

Mark Webber

Vorsprung durch Vorbereitung: So will Red Bull in Hockenheim siegen Zoom

Viele Daten bereits vorhanden

In der virtuellen Welt sind noch weitere Rechenspiele möglich. "Wir können beispielsweise den Kraftstoffverbrauch bei unterschiedlichen Gemischeinstellungen berechnen. Und wir erkennen, wie sich bestimmte Änderungen an der Software auf den Motor auswirken, noch bevor die Achtzylinder aus den Transportkisten geholt werden", berichtet Mart von seiner Arbeit. Er und Red Bull Racing sind in der glücklichen Position, mit den selben Fahrern zu arbeiten wie beim Hockenheim-Grand Prix 2010.

Damit werden die Vorbereitungen noch treffsicherer. Dasselbe gilt natürlich für die Simulationen, die der Rennstall in Milton Keynes für die Chassis-Seite vornimmt: "Du kannst dir genau anschauen, wie Mark oder Sebastian Vettel bestimmte Kurven gefahren haben. Auch die Gaspedal-Einstellungen von 2010 sind ein wichtiger Ausgangspunkt für das diesjährige Mapping. Zudem besitzen wir reichlich Wetterdaten von Hockenheim aus den vergangenen Jahren und können absehen, wie sich der Spritverbrauch über die Renndistanz entwickelt."

Reglement ähnelt eher 2010 als 2011

"Sofern das Wetter uns keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir am Freitag ein paar Tests fahren, um unsere Basisannahmen zu untermauern. Wir vergleichen Theorie und Praxis bei Parametern wie dem Kraftstoff-Verbrauch, den minimalen Ölfüllmengen sowie dem Gaspedal-Mapping und passen diese auf die aktuellen Gegebenheiten an", blickt Mart voraus. Ironischerweise waren Daten von vor zwei Jahren früher kaum relevant, weil sich das Technische Reglement so oft und tiefgreifend änderte.

In der Saison 2012 sieht es genau umgekehrt aus: Nie waren Datenbasis und Erfahrungen der Vor-Vorsaison so wichtig. "Es kommt oft genug vor, dass wir Daten nicht direkt von einem Jahr aufs nächste übertragen können", bestätigt Mart. "Diesmal liegen die Dinge anders: 2011 waren die Abgasführung und die Gestaltung des Diffusors zwei entscheidende Faktoren. Weil beides vom Reglement eingeschränkt wurde, stehen wir heute technisch ungefähr dort, wo wir 2010 waren."

"Stehen regeltechnisch dort, wo wir 2010 waren." David Mart

Mart betont abschließend die Rolle, die das Archivmaterial für ihn, Webber, Red Bull und Renault spielt: "Unser voriger Trip nach Hockenheim spielte also sehr deutlich in unsere Vorbereitungen auf das kommende Rennwochenende hinein."