• 07.06.2012 18:26

Kanada: Wetter macht Setup-Wahl zum Poker

Mark Webbers Motoreningenieur erklärt, warum die Fahrer durch das kanadische Wetter in Gefahr sind, ohne Sprit liegen zu bleiben, und worauf es bei Regen ankommt

(Motorsport-Total.com) - Red Bull-Pilot Mark Webber reist mit dem Rückenwind seines zweiten Monaco-Sieges zum Großen Preis von Kanada. Auf der Power-Piste von Montreal erwarten den Australier und seinen RB8 bekanntlich ganz andere Bedingungen als in den engen Straßenschluchten von Monte Carlo.

Titel-Bild zur News: Pastor Maldonado

Das Montreal-Wetter kann sich von einem auf den anderen Tag massiv ändern

David Mart, der für Webber zuständige Motoreningenieur von Renault, erklärt die Charakteristika des Circuit Gilles Villeneuve aus Motorensicht. Seine zentralen Parameter Kühlung, Kraftstoffverbrauch und Gaspedal-Mappings werden durch eine unbekannte Größe ergänzt: das wechselhafte Wetter, das in den letzten Jahren in Kanada immer wieder für Überraschungen sorgte.

"In Montreal kann der Samstag mit dem Qualifying warm und sonnig sein und das Rennen am Sonntag verregnet. Wir haben auch schon nasse Freitagstrainings erlebt, dafür ein trockenes Rennen. Mit dem zweiten Fall können wir schlechter umgehen, denn am Freitag misst du gewöhnlich den Benzinverbrauch und legst die Spritmenge für Quali und Rennen fest. Wenn der Regen aber keine vernünftigen Messwerte zulässt, wird es schwierig", beginnt Mart seine Analyse.

Wetter als Risikofaktor

"Im Regen fahren die Autos langsamer und verbrauchen allein deshalb schon weniger Kraftstoff. Außerdem senkt die Luftfeuchtigkeit auch den Sauerstoffgehalt der Verbrennungsluft - dadurch sinkt der Spritbedarf nochmals. Nach einem nassen Freitag musst du für einen trockenen Samstag also mit entsprechend mehr Benzin kalkulieren. Umgekehrt gilt: Nach einem sonnigen Freitag kannst du die Spritmenge fürs Qualifying reduzieren, wenn dein Wetterbericht Regen vorhersagt."

Letztlich gilt für den technologisch anspruchsvollsten Sport der Welt dasselbe wie für die heimische Grillparty zur Fußball-EM: "Es kommt darauf an, wie weit du dem Wetterbericht vertraust und wie viel Risiko du deshalb eingehen möchtest", betont Mart. "Wenn du sicher bist, dass es im Grand Prix regnen wird, füllst du weniger Sprit ins Auto als für ein Rennen im Trockenen. Dafür gehst du das Risiko ein, mit zu wenig Benzin dazustehen, falls die Strecke unerwartet abtrocknet."

Ein gewisses Sicherheitsdenken ist unumgänglich: "Du musst bei deinen Schätzungen immer vom maximalen Kraftstoffbedarf im Trockenen ausgehen. Und wenn du absolut sicher bist, dass es regnet, dann ziehst du davon eben einen bestimmten Betrag ab. Aber wie gesagt: Es hängt immer davon ab, wie weit du dem Wetterbericht vertraust - und diese Entscheidung musst du auch noch weit vor dem Rennen treffen. Das Betanken muss 45 Minuten vor dem Start abgeschlossen sein."

Wie sich das Wetter auf die Kühlung auswirkt

Auch die Konfiguration der Motorenkühlung kann von möglichem Regen beeinflusst werden. "Wenn die FIA den Lauf zum Regenrennen erklärt, das Qualifying aber trocken war, dürfen wir die Kühlung noch modifizieren. Bei Regen gibt der Motor viel weniger thermische Energie ab, weil die Drehzahlen niedriger, die Drosselklappen weniger geöffnet und die Rundenzeiten langsamer sind. Und so gibt es auch wieder die Rückkopplung zum geringeren Benzinverbrauch: Wenn weniger Energie im Motor erzeugt wird, gibt es auch weniger abzuleiten", erklärt Mart.

"Wenn du im Regen mit dem Kühlungsniveau eines Trockenrennens fährst, kühlst du zu viel, und das bekommt dem Motor nicht gut. Nicht umsonst heizen wir die Triebwerke vor dem Anlassen auf 70 oder 80°C Wassertemperatur vor. Im Nassen liegen die Arbeitstemperaturen manchmal sogar unter diesem Wert."

Gibt es noch ein Regensetup?

Eine nasse Fahrbahn verändert unweigerlich auch das Fahrverhalten der Autos - geänderte Motor-Mappings können den Fahrer dann gezielt unterstützen. "Im Nassen brauchen die Piloten etwas Hilfe beim Beschleunigen aus den langsamen Ecken, damit die Hinterräder nicht zu stark durchdrehen", sagt Mart. "Beim Dosieren des Drehmoments spielt die Kennlinie des Gaspedals die entscheidende Rolle. Bei Regen verwenden wir deutlich progressivere Mappings. Das heißt, dass auf den ersten Millimetern Pedalweg relativ wenig passiert, damit die Fahrer bei langsamen Geschwindigkeiten nicht zuviel Drehmoment abrufen und Wheelspin provozieren."

Eine klassische Herausforderung des Kanada-Grand Prix ist die wechselnde Asphaltqualität. Über die Jahre wurden immer wieder einzelne Abschnitte des Circuit Gilles Villeneuve neu asphaltiert. Der ständige Wechsel der Fahrbahnoberfläche wirft einige Setup-Fragen auf. "Wechselnde Bedingungen auf einer Runde sind immer knifflig", so Mart. "Ein Motor kann nicht für jede Art Belag optimal abgestimmt sein, also suchst du nach dem optimalen Kompromiss. Je nach Gripverhältnissen benötigt der Fahrer unterschiedlich viel Drehmoment, und das wird über die Wechselwirkung zwischen Gaspedal und Motor geregelt. Diese Abstimmung nehmen wir üblicherweise am Freitag vor."

Auch das Renault-Aggregat muss an die Bedingungen angepasst werden Zoom

Regen zwingt Teams zu Schuss ins Blaue

Unbekannte gibt es in der Setup-Gleichung also genug: die wechselnden Fahrbahnbedingungen, das unberechenbare Wetter ... Der Große Preis von Kanada scheint mehr als jeder andere Grand Prix ein Wochenende der Kompromisse zu sein. Umso mehr, da für die Autos nach dem Qualifying die Parc-Ferme-Regel gilt und die Ingenieure praktisch nichts mehr verändern dürfen.

"Wenn das Wetter stabil bleibt, ist es natürlich einfacher, bei den diversen Abstimmungen ins Schwarze zu treffen und den Fahrern einen Motor hinzustellen, mit dem sie in jeder Hinsicht zufrieden sind", meint Mart. "Aber wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, spielt uns das Wetter immer öfter einen Streich. Und dann musst du eben das Beste daraus machen."