• 14.05.2012 11:38

  • von Dieter Rencken

Whitmarsh lobt die Fahrer: "Tolle Arbeit"

McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh über das schwierige Wochenende in Barcelona, die Fehler an der Box und die Spannung in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Nach der Tagesbestzeit am Freitag und der schnellsten Qualifyingrunde am Samstag musste McLaren am Ende des Rennens in Barcelona mit den Plätzen acht und neun leben. Lewis Hamilton hatte nach seiner Strafversetzung ans Ende des Feldes einen harten Arbeitstag, sein Teamkollege Jenson Button aufgrund von Balanceproblemen ebenso. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh betrachtet das Ergebnis im Gespräch nach dem Rennen als Schadensbegrenzung.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh (Teamchef, McLaren)

Martin Whitmarsh hat gute Laune: Schadensbegrenzung in Barcelona

Frage: "Martin, wie war das Wochenende?"
Martin Whitmarsh: "Für uns nicht sonderlich gut. Aber für Williams umso besser. Ich möchte dem Team und vor allem Frank herzlich gratulieren. Das ist sehr emotional. Frank hat am Samstag seinen 70. Geburtstag gefeiert und nun dieser Sieg - toll. Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm gratuliert. Ich weiß genau, wie sich der erste Drink anfühlt, wenn man lange durch die Wüste wandert. Sie haben das wirklich verdient."

"Zu uns: Jenson war am Freitag richtig schnell, hatte aber Probleme mit der Balance am Samstag und Sonntag. Er hat das professionell gelöst und ist trotz der Probleme zu wichtigen Punkten gefahren. Lewis war fantastisch. Er war der Schnellste am Samstag, musste dann aber letztlich einen herben Rückschlag verkraften. Ich bin stolz auf ihn, weil er damit dermaßen gut umgegangen ist."

"Er musste also von ganz hinten starten und sich durch das Feld arbeiten. Das DRS war hier nicht besonders effektiv, außerdem gab es immer wieder gelbe Flaggen. Wir haben uns aufgrund dessen dann zu einer Zweistopp-Strategie entschieden. Lewis musste vorsichtig mit seinen Reifen umgehen. Nun hat er allen, die meinen, er würde die Reifen zu aggressiv herannehmen, etwas gezeigt. Er hat einen tollen Job gemacht. 31 Runden auf einem Reifensatz und am Ende hätte er fast Nico Rosberg noch gepackt."

McLaren noch auf WM-Kurs

"Er musste sich also unter der Maßgabe nach vorne arbeiten, dass er jederzeit auf seine Reifen aufpasst und nur zu bestimmten Zeitpunkten angreift. Er ist sein ganz eigenes Rennen gefahren. Die Strategie ist aufgegangen. Wir haben Lewis damit in die Punkte bekommen. Es hätten vielleicht noch ein paar mehr sein können, aber es war eine außergewöhnliche Fahrt von ihm - erwachsen und diszipliniert."

"Es gibt gute und schlechte Seiten an diesem Rennwochenende. Denn wenn man von ganz hinten starten muss, dann ist das Leben natürlich nicht einfach. Aber: Wir wissen, dass unser Auto schnell ist. Lewis hat gezeigt, dass er zu seinem bekannten Speed und seinem Talent nun auch die richtige Reife hat. Wir haben nur geringen Rückstand in der WM. In zwei Wochen könnten wir plötzlich sogar beide Wertungen anführen. So ist die Formel 1 heutzutage."

"Die Reifen werden oftmals kritisiert. Das ist verständlich. Man muss noch viel lernen und über den Umgang damit herausfinden. Bei uns lief das am Wochenende nicht allzu gut. Das war etwas frustrierend. Auf der anderen Seite sorgen die Pneus für Spannung. Wir haben eine tolle Monaco-Statistik und gegen in der Gewissheit dorthin, dass wir siegen können. Aber Vorhersagen wären bei der aktuellen WM völliger Unsinn. Das geht gar nicht."


Fotos: McLaren, Großer Preis von Spanien


Frage: "Wie schafft es beispielsweise ein Team wie Williams, die Reifen plötzlich so gut zu kontrollieren?"
Whitmarsh: "Es gibt keine Magie in der Formel 1. Man muss eben einfach die Daten lesen, richtig interpretieren und die optimalen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Als nächsten Schritt muss man diese Erkenntnisse umsetzen, um bezüglich der Reifen die optimale Performance abrufen zu können. Wir haben ein paar Ideen. Aber bisher verlassen wir die Rennstrecke mit neuen Fragezeichen. Viele Dinge dachten wir schon beantwortet zu haben. Wir lernen hinzu. Es gibt niemanden, der rund um die Reifen alles versteht und nun regelmäßig dadurch gewinnen kann. Die Situation beschert uns gerade eine tolle Saison."

Strafe war nachvollziehbar

Frage: "Wie genau kam es zu dem Fehler mit der Benzinmenge am Samstag? Hat da einfach jemand zu wenig hineingefüllt?"
Whitmarsh: "Ganz so simpel war es nicht, sondern etwas komplexer. Ich will das gar nicht im Detail erklären. Tatsache ist, dass wir auf Lewis' schneller Runde gemerkt haben, dass vielleicht etwas zu wenig Sprit im Tank ist. Dazu muss man wisse, dass es nicht einfach ist, den Füllstand zu messen, wenn das Auto mit drei oder vier G Fliehkraft durch die Ecken geworfen wird. So ganz genau kann man es nicht messen."

"Uns war klar, das es die eindeutige Regel gibt, dass am Ende noch ein Liter im Tank sein muss. Da gibt es keinen Spielraum für Diskussionen. Auf Grundlage dessen haben wir entschieden, das Auto abzustellen, um dieser Regel gerecht zu werden. Es waren dann noch 1,3 Liter drin, was wir zu jenem Zeitpunkt aber nicht so genau wussten. Es hätten auch drei Liter sein können. Dann hätten wir uns geärgert."

"Beim Betanken gibt es komplexer Vorgänge. Wir müssen nun dafür sorgen, dass unsere Leute bei solch komplexen Abläufen entspannt und konzentriert bleiben. Nur so können wir diese Fehler abstellen. Im Nachhinein habe ich mich vielleicht falsch entschieden, als ich das Auto anhalten ließ. Ohne ausreichend Sprit wären wir ohnehin nach hinten versetzt worden. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir die Strafe auch unter solchen Umständen bekommen würden."

Frage: "Was ist bei Lewis' Boxenstopp passiert?"
Whitmarsh: "Er ist kurz an einem Rad hängengeblieben, das nicht weit genug aus dem Weg genommen worden war. Es war ein Fehler, aber keiner, der uns viel gekostet hat. Wir haben dort eine neue Crew, die noch im Lernprozess ist. Der Wechsel einer solchen Mannschaft innerhalb der Saison ist eine schwierige Angelegenheit."

Frage: "Inwieweit werfen euch diese Fehler immer wieder zurück?"
Whitmarsh: "Schon sehr. In der aktuellen Formel 1 kann dich jeder einzelne Fehler sehr weit zurückwerfen. Daher gilt es, diese Dinge möglichst zu vermeiden. So etwas ist für ein Team schmerzhaft und schwierig. Wir stecken viel Kritik ein. Ich kann versichern, dass wir intern nicht minder hart damit umgehen. Es ist schlimm, wenn man nicht alles perfekt hinbekommt."

Viel Lob für die Piloten

Frage: "Warum konnte Jenson das Tempo von Lewis nicht mitgehen? Lag das nur an den Reifen?"
Whitmarsh: "Jedes Team hat wohl immer wieder Überraschungen überlebt. Jenson war am Freitag sehr schnell. Er war richtig zuversichtlich. Aber am Samstag war plötzlich alles verflogen. Er hat sich gut aus der Affäre gezogen. Es ist nicht leicht, ein Auto über die Distanz in die Punkte zu fahren, wenn sich der Fahrer mit der Balance überhaupt nicht gut fühlt."

Frage: "War die Balance seines Autos am Sonntag auch so schlimm?"
Whitmarsh: "Ja, schlimm. Er konnte wirklich nur noch darauf abzielen, irgendwie Punkte zu holen. Das ist es, worum es in dieser Meisterschaft geht. Unsere Fahrer haben wirklich einen tollen, professionellen Job abgeliefert und auf Grundlage der Umstände die bestmögliche Punktzahl herausgeholt."

Lewis Hamilton, Jean-Eric Vergne

Lewis Hamillton (links) arbeitete sich am Sonntag konsequent nach vorne Zoom

Frage: "Verschieben sich nun die Kernpunkte der weiteren Entwicklung etwas weg von der Aerodynamik und mehr hin zum Verständnis der Reifen?"
Whitmarsh: "Nein, beide Bereiche sind entscheidend. Wir hatten in Barcelona viele neue Teile mit dabei, darunter sowohl Updates für die Aerodynamik als auch für die Mechanik. Die Entwicklung wird unvermindert in beiden Bereichen weitergehen. Das ist der ständige Kampf in der Formel 1, wenn du gewinnen willst. Das Verstehen der Reifen ist aber tatsächlich ein Kernpunkt, eine große Herausforderung."

Frage: "Wird sich die Hackordnung in zwei oder drei Rennen mal stabilisieren?"
Whitmarsh: "Wenn es zu unseren Gunsten ist, dann würde ich das begrüßen. Aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich denke, es wird eine großartige Saison. Das bedeutet für uns womöglich, dass wir weitere Enttäuschungen und Qualen erleiden müssen. Aber das wird anderen genauso ergehen. Letztlich wird es auch dadurch richtig toll."