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De la Rosa über Pirelli: "Weltklasse kann sich anpassen"

Warum Pedro de la Rosa "Schumis" Reifenkritik für unzulässig hält, wie sich die Pneus 2012 verändert haben und warum es für das Q3-Problem keine Lösung gibt

(Motorsport-Total.com) - Die Ankunft von Reifenhersteller Pirelli hat das Bild der Formel 1 nachhaltig verändert. Während die Pneus nach Ende des Reifenkriegs 2006 nur noch eine Randnotiz waren, was 2010 auch zum Ausstieg von Bridgestone geführt hatte, stehen die Reifen seit dem Vorjahr wieder im Mittelpunkt. Das führte zu heftigen Diskussionen: Pirelli-Fans verweisen stets darauf, dass die neuen, unberechenbaren Gummis die Überholmanöver und die Spannung in die Formel 1 zurückgebracht haben, Kritiker finden allerdings, dass die Reifen inzwischen ein zu wichtiger Faktor geworden sind und die Rennen nach dem Zufallsprinzip ablaufen würden.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher, Fernando Alonso

Schumacher hadert mit Pirelli, Alonso scheint weniger Probleme zu haben

Auch die Fahrer sind sich nicht einig: Während Michael Schumacher keine Gelegenheit auslässt, um an den Reifen, die seiner Meinung nach viel zu fragil sind, Kritik zu üben, sieht zum Beispiel sein Teamkollege Nico Rosberg genau das als enorme Herausforderung, die durchaus Spaß macht.

Whitmarsh: Zwei Seelen in einer Brust

McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh sieht die Situation aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Einerseits leidet auch sein Rennstall unter dem fehlenden Verständnis für die diesjährige Reifengeneration, andererseits ist er von der aktuellen Formel 1 begeistert. "Ich will Pirelli nicht kritisieren", sagt der Brite. "Hätten sie einen gutmütigen Reifen produziert, dann würden sich jetzt alle Teams, Fahrer und Ingenieure bei ihrer Arbeit viel wohler fühlen, es würde sich aber zum Nachteil der Fans und der Show niederschlagen."

Whitmarsh erläutert seine Sichtweise: "Als Teamchef bin ich mit dem Frust konfrontiert, wie entscheidend die Performance der Reifen geworden ist und wie herausfordernd das ist. Wenn ich das aber mit etwas Abstand betrachte, dann finde ich, dass wir diese Saison eine außergewöhnliche Show geboten haben. Wir haben 25 Prozent der Saison hinter uns, und in jedem einzelnen Rennen siegten ein anderer Konstrukteur und ein anderer Fahrer - das ist außergewöhnlich. Es wird sehr schwierig für uns, wenn das die nächsten 15 Rennen so weiter geht..."

"Mit etwas Abstand finde ich, dass wir diese Saison eine außergewöhnliche Show geboten haben." Martin Whitmarsh

Für Whitmarsh ist klar: "Prognosen waren in der Formel 1 schon immer schwierig, aber ich kann mich nicht erinnern, dass eine Einschätzung, wer konkurrenzfähig ist und wer nicht, in den vergangenen 20 Jahren in diesem Sport so herausfordernd war. Natürlich sorgt das intern für Frust, aber insgesamt ist das toll für den Sport."

De la Rosa: Meinung der Fahrer sollte keine Rolle spielen

Tatsächlich ist von der vor rund einem Jahrzehnt vielzitierten "Formel Fad" längst nicht mehr die Rede. HRT-Pilot Pedro de la Rosa war schon damals Formel-1-Pilot und findet, dass die Meinungen der Piloten über die Rolle der Reifen für die Regelmacher kein Gradmesser sein sollten, denn schließlich sollte es ihr Ziel sein, den Sport für den Zuschauer attraktiv zu gestalten. "Meine Kommentare oder die eines anderen Fahrers sind nicht wichtig", so der Spanier. "Das Entscheidende ist, was die Zuschauer über die Rennen mit Pirelli denken."

Der langjährige McLaren-Tester weiß aus eigener Erfahrung: "Jeder Fahrer hat seine eigenen Vorlieben, was die Reifen angeht. Manche mögen die aktuellen, manche nicht. Normalerweise hängt die Meinung sehr stark damit zusammen, wie gut du zurechtkommst. Ich bin der Ansicht, dass wir uns von der Vorstellung lösen sollten, die Reifen an einem bestimmten Auto oder einem bestimmten Fahrstil festzumachen. Unterm Strich sollten die Zuschauer entscheiden, was gut und was schlecht ist, denn sie sind es, für die wir fahren."

Wie sich die 2011er- von den 2012er-Reifen unterscheiden

McLaren-Vizeweltmeister Jenson Button findet gegenüber 'Sky', dass die Formel 1 durch Pirelli spannender geworden ist: "Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren mit Pirelli echt tolle Rennen gesehen. Es ist alles ein bisschen unvorhersehbarer geworden, was es für uns alle schwieriger macht, die Reifen zu verstehen."

Bereits im Vorjahr klagten Piloten und Teams zu Saisonbeginn über die Reifen, die die Teams zu vielen Boxenstopps zwangen. Button erkennt aber klare Unterschiede zwischen den Reifengenerationen 2011 und 2012. "Im Vorjahr hatten wir das Problem, dass die Reifen sehr schnell abgebaut haben - auch das mussten wir erst verstehen", geht der McLaren-Pilot ins Detail. "Wir mussten lernen, damit in Sachen Setup umzugehen, um länger auf einem Satz fahren zu können."

Die vier Slick-Mischungen von Pirelli für die Saison 2012

Diese vier Reifenmischungen sorgen bei den Teams für rauchende Köpfe Zoom

Dieses Jahr spielt die Temperatur der Reifen eine vordergründige Rolle. "In welchem Temperaturfenster arbeitet der Reifen?", kennt Button die Schlüsselfrage. "Alle Fahrer haben das gleiche Problem, daher kann man sich nicht bei Pirelli beschweren. Der Reifen arbeitet eben nicht konstant, und wir müssen ihn jetzt schneller verstehen als die anderen Teams."

Auch der "Reifenflüsterer" stößt an seine Grenzen

Dabei zählt Button grundsätzlich zu den Piloten, die für ihr besonderes Gespür für die Pneus und für einen besonders reifenschonenden Fahrstil bekannt sind. Das brachte ihm den Namen "Reifenflüsterer" ein. Der 32-Jährige erklärt, wie er seinen außergewöhnlichen Fahrstil entwickelte: "Als ich noch jung war, habe ich mit meinem Vater die Rennen gesehen. Ich fand den Fahrstil von Alain Prost toll."

Er erkannte rasch die Vorteile eines ruhigen Fahrstils: "Wenn man gleichmäßig und präzise fährt, dann spürt man wirklich alles. Wenn man aggressiv zu Werke geht, dann spürt man die Reifen und ihren Grip nicht mehr so deutlich. Bei einer flüssigeren Fahrweise spürst du jeden Rutscher."

Sein Fahrstil hat aber auch Nachteile - vor allem bei einem unruhigen Auto: "Du hast ein Problem, wenn du Unter- oder Übersteuern bekommst, denn das Rutschen ist dann ungewohntes Terrain. Die aggressiven Fahrer mögen das Rutschen und fühlen sich damit sehr wohl, andere kommen damit gar nicht klar."

Mit einem ruhigen Fahrstil könne man aber "wesentlich mehr auf die Reifen und andere Faktoren achten", meint Button, gibt aber zu: "Ehrlich gesagt ist es dieses Jahr auch für mich sehr schwierig, die Reifen zu verstehen. Wir brauchen halt alle noch ein bisschen Zeit und werden schon noch draufkommen."

De la Rosa sieht Parallelen zum Tennissport

De la Rosa vergleicht den Umgang der Fahrer mit den Reifen mit der Situation eines Tennisspielers. "Einige Spieler kommen auf Hartplätzen besser zurecht, andere auf Rasen", erkennt er Parallelen. "Als Tennisspieler bist du in der Regel von Natur aus für einen bestimmten Belag gemacht. Mit den Rennfahrern und den Reifen ist es genau das Gleiche. Viele Fahrer bevorzugen einen bestimmten Reifen, weil er ihnen besser passt."

Der Katalane ist aber der Meinung, dass sich die Weltklasse durch ihre Anpassungsfähigkeit auszeichnet: "Die Wahrheit ist, dass die weltbesten Fahrer ihren Fahrstil immer anpassen können, egal wie die Rahmenbedingungen aussehen mögen. Ich zerbreche mir nicht länger den Kopf über dieses Thema und bin der Meinung, dass wir dank Pirelli vor der wahrscheinlich spannendsten Formel-1-Saison überhaupt stehen."

Damit gibt er durch die Blume zu Protokoll, dass er Schumacher nicht mehr für einen der weltbesten Fahrer hält, seinen Landsmann Fernando Alonso allerdings schon. "Jeder weiß, welch sagenhaft guter Fahrer er ist", schwärmt er über den Ferrari-Star. "Er fuhr mit Michelin-, Bridgestone- und jetzt Pirelli-Reifen und schien mit keinem dieser Reifen Probleme zu haben. Ich kann nur sagen, dass ich ihn sehr achte, da er sich und seinen Fahrstil sehr gut anpassen kann."

Surer findet Q3-Poker überbewertet

Doch auch wenn de la Rosa die Kritik an der Charakteristik der Pirelli-Reifen entkräftet, gibt es noch einen weiteren Punkt, der immer wieder für Diskussionen sorgt. Weil den Piloten an einem Wochenende nur ein limitiertes Reifenkontingent zur Verfügung steht, bleiben manche im dritten Teil des Qualifyings in der Box, um im Rennen auf einen zusätzlichen frischen Reifensatz zurückgreifen zu können.

Verliert dadurch nicht das Qualifying an Bedeutung? 'Motorsport-Total.com' Experte Marc Surer findet die Diskussion überbewertet. "Um die Pole-Position wird ja nach wie vor gefahren", sagt der Schweizer Ex-Formel-1-Pilot gegenüber 'Sky'. "Es gibt hinten immer ein paar Fahrer, die nicht starten - sie würden es aber sowieso nicht schaffen, auf die Pole zu fahren."

Er nennt Schumacher als Beispiel: "Michael fährt nur raus, wenn er eine Chance auf die Pole hat. Er ist schon ein paar Mal an den Boxen geblieben, als er es geschafft hatte, unter die Top-10 zu kommen. Bei ihm ist das eine normale Taktik, außer das Auto geht super wie in China. Sonst bleibt er meistens stehen - bei ihm ist das also normal. Alle anderen, die eine Chance haben, sind ja draußen. Ob jetzt um Platz sieben oder um Platz acht gekämpft wird, ist ja eigentlich nicht so entscheidend."

Vettel als Mahnmal?

Dass zuletzt auch Weltmeister Sebastian Vettel auf eine ähnliche Strategie setzte, sieht er ebenfalls nicht als Problem, schließlich bezahlte der Red-Bull-Pilot ohnehin dafür. "Das ist völlig in die Hose gegangen", findet Surer - und schildert, was passiert war: "Er fährt raus, fährt diese Pflichtrunde um klassiert zu sein. Und dann merkt er, dass bis auf Schumacher alle anderen fahren - dann will er raus, fährt dann zu langsam, wahrscheinlich, weil er gedanklich noch nicht so weit war."

Daher rechnet Surer nicht damit, dass das Schumacher-Beispiel nun Schule machen wird: "Das war ein Eigentor, was Vettel da gemacht hat, und das wird er wahrscheinlich nicht mehr machen." Dass das Reglement noch nicht angepasst wurde, um solche Taktikspielchen zu verhindern, sieht Surer nicht als Schuld Pirellis, schließlich haben die Italiener schon mehrmals vorgeschlagen, einen zusätzlichen Reifensatz oder spezielle Qualifying-Reifen anzubieten.

Michael Schumacher

Es kommt vor, dass Schumacher in Q3 keine schnelle Runde mehr hinlegt Zoom

"Das Thema wurde diskutiert", weiß Surer, "weil das ja schon letztes Jahr vorgekommen ist." Er kennt den Grund, warum das Reglement diesbezüglich unangetastet blieb: "Für eine sportliche Regeländerung muss die Entscheidung einstimmig sein. Das heißt, alle Teams müssen zustimmen. Da gibt es aber natürlich ein paar, die mögen dieses Pokern, und deshalb ist es nicht durchgegangen. Wir müssen also damit leben, auch wenn es uns nicht gefällt."