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  • 12.04.2012 15:02

  • von Dieter Rencken

Schumacher: Betriebsfenster der Reifen noch kleiner

Für Michael Schumacher bleibt die Reifennutzung der Schlüssel für erfolgreiche Fahrten: Viele Fragezeichen vor dem Auftritt auf der ungeliebten Schanghai-Strecke

(Motorsport-Total.com) - Nach zwei Rennen der noch jungen Saison hat Mercedes erst einen einzigen Punkt auf dem Konto. Der neue MGP W03 hat zwar eindeutige Stärken im Qualifying, aber im Rennen können die Silberpfeile die Reifen nicht optimal über die Distanz nutzen. Diese Probleme schleppt das Werksteam schon seit dem Vorjahr mit sich herum. Man tappt bezüglich des optimalen Setups noch etwas im Dunkeln, erklärt Michael Schumacher vor dem Grand Prix von China.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher ist kein großer Fan der Rennstrecke in Schanghai

Frage: "Michael, habt ihr immer noch die Reifenprobleme wie im Vorjahr?"
Michael Schumacher: "Ob es in Melbourne so war, kann ich nicht sagen. In Sepang hatten wir aber tatsächlich ähnliche Probleme. Lustigerweise war es aber genau das Gegenteil zu Australien, denn wir bekamen in Malaysia plötzlich nicht mehr genug Temperatur in die Reifen. Die Bedingungen waren allerdings sehr speziell. Nach den Erfahrungen aus Melbourne wollten wir eine Wiederholung vermeiden und haben uns dann vielleicht zu weit auf die andere Seite bewegt."

"Es geht nach wie vor darum, diese Reifen zu verstehen. Das müssen wir nun hinbekommen. Dieses Problem haben allerdings einige andere auch. Wenn man sich in den Teams mal umschaut, dann gibt es mehrfach die Situation, dass es ein Pilot hinbekommt und der andere nicht. Ob das am Fahrstil oder am Setup liegt, das ist nun die wichtige Frage, die es zu beantworten gilt."

"Wir wissen bei anderen Teams nicht, ob die beiden Piloten womöglich deutlich unterschiedliche Setups fahren. Aber der Fahrstil kann gewiss einen Einfluss haben. Aber ob es nur am Fahrstil liegt? Da bin ich mir bisher nicht so sicher."

Frage: "Bist du zuversichtlich, dass ihr das hinbekommen werdet?"
Schumacher: "Was den Betrieb unseres Autos angelangt, da sind wir gut aufgestellt. In Sepang sind wir von den großen Regenmengen überrascht worden. Das kam etwas überraschend. Die Reifen tragen noch ein paar Geheimnisse in sich. Wir sind noch nicht ganz soweit, sodass wir die Reifen optimal nutzen können."

Frage: "Im Qualifying habt ihr gezeigt, dass ihr in diesem Jahr ein tolles Auto habt. Ist es dann umso ärgerlicher, dass ihr es wegen der Reifen im Rennen nicht umsetzen könnt?"
Schumacher: "Natürlich wäre es uns deutlich lieber, wenn wir jetzt schon deutlich mehr Punkte auf dem Konto hätten - gar kein Zweifel. So ist es aber im Rennsport. Manchmal fährst du bei widrigen Bedingungen heraus und es passt alles. Dann bist du schnell der Star. Manchmal läuft es aber auch genau andersherum."

Frage: "Muss man mit den diesjährigen Reifen einen anderen Fahrstil wählen?"
Schumacher: "Nein. Man muss sich stets auf die Bedingungen einstellen, sobald man die Bedingungen kennt. In Melbourne war klar, dass wir etwas vorsichtig sein müssen. In Malaysia waren wir im Rennen rückblickend vielleicht zu vorsichtig. Das wissen wir jetzt. Man stellt seinen Fahrstil jeweils auf die Situation ein und auf das, was gerade gefordert ist."

Frage: "Behandelt ihr die Reifen in diesem Jahr anders? Fahrt ihr sie zum Beispiel aggressiver an?"
Schumacher: "Nicht unbedingt. Man versucht immer, den optimalen Grip abzurufen. Man geht relativ schnell bis an die Haftgrenze und versucht, den Reifen bezüglich Temperatur in das Arbeitsfenster zu bekommen - ohne ihn aber zu überhitzen. Tatsache ist, dass das Fenster, in dem dieser Reifen funktioniert, noch kleiner geworden ist. Das ist eine Sache, die schwierig ist. Es läuft darauf hinaus, dass es in gewissen Momenten dem ein oder anderen besser passt, ohne dass man großartig etwas geändert hat."

"Bei so etwas hat man nicht immer sofort eine Analyse parat. Im Nachhinein versteht man das immer, aber dann ist es meistens schon zu spät. Wetterumschwünge haben dann immer größere Auswirkungen. Wenn du dein Auto im Hinblick auf eine Sache optimierst und plötzlich ist alles wieder ganz anders, dann hat das ziemlich große Effekte. In Malaysia war McLaren das ganze Wochenende dominant, aber im Rennen dann doch nicht so. So ist es vielen gegangen."

"Niemand hätte damit gerechnet, dass Ferrari plötzlich so schnell ist. Auch Sauber und Williams waren unter diesen Bedingungen richtig gut. Es gibt eben welche, die unter gewissen Voraussetzungen Speed zeigen, aber in manchen Situation dann auch nicht. So etwas ist letztlich immer auf den Reifen zurückzuführen, wer wann gerade das Optimum treffen kann."

Frage: "Weißt du als Fahrer im Cockpit immer, wie heiß deine Reifen sind? Oder sagt dir so etwas der Ingenieur?"
Schumacher: "Nein, das weißt du nicht. Wir haben keine spezielle Reifen-Temperatur-Analyse und entsprechendes Feedback. Beim Start kann man so etwas machen, aber beim Fahren ist das nicht wirklich hilfreich. Die Messung erfolgt an nur einem Punkt. Man entwickelt aber, um vielleicht dort künftig ein bisschen mehr Feedback zu haben. Nicht, damit ich das beim Fahren weiß, sondern sodass man noch mehr Analyse betreiben kann."

Frage: "Also ist es eine Gefühlssache?"
Schumacher: "Ja, genau. Aber du kannst keinen Grip haben und denken, dass der Reifen überhitzt ist. Später stellst du dann aber womöglich fest, dass er total unterkühlt war - wie bei uns in Malaysia. Das ist dann schwierig. Dort war am gesamten Wochenende das Thema, dass Temperatur und Verschleiß zu hoch sind und man geht entsprechend heran. Plötzlich ist dann alles anders, unter Umständen, die wir noch nicht austesten konnten. So gesehen war es für uns eine Lehrstunde."

Michael Schumacher

Im Regen von Malaysia holte Michael Schumacher immerhin einen Punkt Zoom

Frage: "Hier hast du deinen bislang letzten Grand-Prix-Sieg eingefahren. Hast du eine besondere Beziehung zur Schanghai-Strecke?"
Schumacher: "Nein, eigentlich habe ich gar keine Beziehung zu diesem Kurs. Ich mag andere Strecken lieber. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Es ist vielleicht wie beim Wein. Manch einen Wein mag man, anderen hingegen nicht so gern. So etwas hängt auch immer davon ab, ob man für eine Strecke ein gutes Setup kennt. Ganz ehrlich: Ich war hier auf dieser Strecke noch nie mit einem wirklich gut ausbalancierten Auto unterwegs. Vielleicht bin ich deswegen kein großer Fans von dieser Strecke. Das mag sich in diesem Jahr aber ändern."

Frage: "Welche Möglichkeiten hat man als Fahrer in einer solchen dreiwöchigen Pause, darauf hinzuwirken, dass das Auto besser wird?"
Schumacher: "Jeder Tag und jede Woche ist sehr entscheidend bezüglich der Weiterentwicklung des Autos. Wir sind permanent im Windkanal, versuchen das Auto aerodynamisch zu verbessern. Das ist die eine Maßgabe. Die andere ist, aus den Erkenntnissen der ersten Rennen unsere Schlüsse zu ziehen und zu verstehen, was wir noch besser machen können. Je mehr Zeit man dafür hat, desto intensiver kann man diese Nachforschungen betreiben."

"Was in Australien und in Malaysia passiert ist, sind zwei Gegensätze. Diese sollten für uns aber hilfreich sein, was unsere Zukunft angeht. Vor allem, wenn es darum geht, das Auto besser zu verstehen und es letztlich optimal zu nutzen."

Frage: "Inwiefern hilft euer verbesserter Simulator dabei, ein Setup herauszufahren?"
Schumacher: "Da finden stetige Updates statt. Wir sind aber noch nicht soweit, dass wir Details analysieren und austesten können. Ich dort nicht wirklich drin im Moment."

Frage: "Lotus hat gegen euer spezielles DRS protestiert. Wäre es ein Drama, wenn ihr das umbauen müsstet?"
Schumacher: "Ich glaube nicht, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen - wollen wir es mal so sagen."

Frage: "Verfolgst du die Diskussionen um dieses Thema?"
Schumacher: "Natürlich bin ich informiert."

Frage: "Ist das System denn aus deiner Sicht legal?"
Schumacher: "Es ist wie im Straßenverkehr. Dort gibt es eine Polizei, die gewisse Dinge regelt. Das ist hier in unserem Fall die FIA. Die sagt letztlich, ob etwas okay ist oder nicht. In der Vergangenheit hat man sich Sachen erarbeitet, plötzlich gab es Meinungsänderungen und gewisse Dinge wurden wieder verboten. Umgekehrt hat es gleichermaßen auch Innovationen gegeben - ich nenne mal den Doppeldiffusor, den Ross Brawn vor Jahren entwickelt hat -, über die sich jeder aufgeregt hat, nur weil er es selbst nicht hatte."

"Das ist leider Gottes hier so. Sobald einer eine gute Idee hat, wird zunächst versucht, diese streitig zu machen, damit sie nicht benutzt werden kann. Das liegt daran, dass es natürlich zu lange dauert, bis die Teams das selbst entwickelt und eingebaut haben. Das ist das normale Spielchen."

Frage: "Könnte euch die Strecke hier besonders gut liegen?"
Schumacher: "Wenn man alles mal analysiert, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass uns China etwas entgegenkommen sollte. Wir hinken in den Highspeed-Kurven etwas hinterher im Vergleich zu langsamen und mittelschnellen Kurven. Hier gibt es anteilig mehr solcher langsamen und mittelschnellen Passagen. Aber: Setup und Fahrzeugbalance sind hier ganz entscheidende Faktoren. Da bin ich gespannt, inwiefern wir da auf einen Nenner kommen."

Frage: "Wo hättest du in Malaysia landen können, wenn es den Zwischenfall mit Grosjean nicht gegeben hätte?"
Schumacher: "Gute Frage. Ich gehe davon aus, dass es schon ein paar Plätze weiter vorne gewesen wäre. Wie viele Ränge weiter vorne, das weiß ich nicht."

Frage: "Wie schätzt du die Szenerie beim Blick auf das aktuelle Klassement ein?"
Schumacher: "Das wäre ein Ratespiel. Es gibt einfach noch kein komplettes Bild."

Frage: "Mit welchen Gefühlen wirst du in der nächsten Woche nach Bahrain fahren?"
Schumacher: "Ich gehe komplett relaxt nach Bahrain, muss ich gestehen. Ich kenne die Leute dort sehr gut. Natürlich weiß ich auch um die Diskussionen, aber ich bin mir sehr sicher, dass Bahrain alles dafür tun wird, dass wir ein Wochenende haben werden, wo keiner irgendwelche Probleme haben wird."

Frage: "Fühlst du dich wohl mit dem Gedanken, am folgenden Wochenende in Bahrain zu fahren?"
Schumacher: "Ja."

Frage: "Keinerlei Bedenken?"
Schumacher: "Nein."