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Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Force India

Unsere Experten durchleuchten die vielleicht beste Saison von Adrian Sutil und rekonstruieren, wie Force India doch noch an Sauber und Toro Rosso vorbeigezogen ist

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Force India.

Titel-Bild zur News: Adrian Sutil

Adrian Sutil brillierte in der zweiten Saisonhälfte nicht nur in Regenrennen

Der indisch-britische Rennstall mit Sitz in Silverstone hat 2011 sein Saisonziel erreicht und sich gegenüber 2010 gesteigert: Aus dem siebten wurde der sechste WM-Rang, aus 68 wurden 69 Punkte. Auch nach hinten blieb der Abstand zu Sauber ungefähr gleich. Dabei sah es zu Saisonmitte noch gar nicht so rosig aus, denn nach neun von 19 Rennen lag Force India nur an achter Stelle der Teamwertung - 21 Punkte hinter Sauber, fünf hinter Toro Rosso. Doch während Adrian Sutil und Paul di Resta in den ersten neun Rennen nur auf zwölf Zähler kamen, schafften sie in den letzten zehn gleich 57.

Am Ende sogar klar besser als Renault

Beinahe wäre das Team des finanziell angeschlagenen Airliners Vijay Mallya damit sogar noch an Renault vorbeigegangen, denn der französische Rennstall bewegte sich nach einem guten Saisonbeginn im Rückwärtsgang und sammelte nach Silverstone nur noch acht Punkte. Doch am großen Ziel, das Mallya schon vor Jahren geäußert hatte (beim ersten Indien-Grand-Prix mit einem indischen Fahrer auf dem Podium zu stehen), schrammte man doch relativ deutlich vorbei: Sutil wurde in Noida Neunter, di Resta 13.

Damit bleibt Giancarlo Fisichellas zweiter Platz nach Pole-Position beim Grand Prix von Belgien 2009 weiterhin die einzige große Sternstunde in der Force-India-Geschichte. Das Team hatte in jener Saison ein Auto, das auf Hochgeschwindigkeits-Strecken hervorragend funktionierte, auf langsamen dafür überhaupt nicht. Der Kurswechsel wirkte sich positiv auf das Punktekonto aus, allerdings blieben dafür auch die ganz großen Highlights aus - insgesamt drei sechste Plätze (Sutil in Deutschland und Brasilien sowie di Resta in Singapur) waren 2011 das Höchste der Gefühle.

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿Dabei hatte 'Motorsport-Total.com'-Experte Surer dem Team schon vor der Saison 2010 erstmals davon abgeraten, den überragenden Topspeed für Konstanz zu opfern. Diese Theorie sieht er nach zwei Jahren bestätigt: "Sie hätten das Auto vom Konzept her so lassen sollen, wie es war, um auf einigen Strecken ein Highlight zu setzen. So sind sie halt mitgefahren, aber nirgendwo richtig aufgefallen", findet der ehemalige Formel-1-Pilot aus der Schweiz. "Eigentlich schade, denn ab und zu ein Highlight zu setzen ist die einzige Chance für so ein Team."

Immerhin: Während unmittelbare Konkurrenten wie Renault und Sauber am auspuffangeströmten Diffusor verzweifelten, kam Force India trotz limitierter Ressourcen immer besser in Fahrt. "Am Jahresende haben sie aufgetrumpft", stellt Surer fest und fragt sich: "Ich weiß nicht, ob sie da Hilfe von McLaren hatten - es sieht ganz danach aus und die anderen Teams sind überzeugt davon. Das lässt sich schwer beweisen, aber die Zusammenarbeit besteht ja. Sonst wären sie nämlich schon ziemlich dürftig unterwegs gewesen."

Wichtige Abgänge gut verkraftet

Hintergrund: Force India bezieht nicht nur die Motoren von Mercedes, sondern ist auch eine Technologiepartnerschaft mit McLaren eingegangen. McLaren-Ingenieur Simon Roberts war es, der das Team 2010 maßgeblich nach vorne brachte. Doch Roberts ist inzwischen zu McLaren zurückgekehrt - und auch viele andere Schlüsselpersonen sind in den vergangenen Monaten und Jahren gegangen: James Key (Technischer Direktor), Mark Smith (Chefdesigner), Lewis Butler (Chefdesigner), Marianne Hinson (Leiterin Aerodynamik) und Marketing-Urgestein Ian Phillips.

"Es sieht so aus, als hätten sie das gut weggesteckt - im Gegenteil: Das Auto während der Saison zu verbessern, spricht für ein gutes Technikteam", zeigt sich Surer positiv überrascht. "Das einzige Fragezeichen, das man da setzen muss, ist, dass man nicht weiß, inwieweit McLaren im Hintergrund geholfen hat. Dadurch ist das Team wieder auf die Beine gekommen. Die Wahrheit wird man wahrscheinlich 2012 sehen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass diese guten Leute, die weggegangen sind, keine Lücke hinterlassen."

Lücken im Budget gibt es bei Force India (noch?) nicht - dennoch war 2011 aus kommerzieller Sicht ein turbulentes Jahr. Denn der bisherige 50-Prozent-Teilhaber Vijay Mallya geriet mit seinen Geschäften immer mehr unter Druck und entschloss sich im Oktober überraschend dazu, mit der indischen Firma Sahara India Pariwar einen dritten Teilhaber an Bord zu holen. Mallya und Sahara halten nun je 42,5 Prozent, die niederländische Mol-Familie die rechtlichen 15. Sahara investierte für den Deal angeblich rund 100 Millionen US-Dollar (umgerechnet knapp 80 Millionen Euro).

Nico Hülkenberg und Vijay Mallya

Vijay Mallyas neuer Lieblingsschüler heißt ab 2012 Nico Hülkenberg Zoom

Zum Budget beigetragen hat in den vergangenen Jahren auch Sutil, dessen Sponsoren Medion und Capri-Sonne gemeinsam irgendwo zwischen vier und sieben Millionen Euro für Werbeflächen bezahlt haben, wie man hört - abzüglich der Fahrergage. Der Deutsche lieferte 2011 seine vielleicht beste Saison in der Formel 1 ab, dennoch wurde er speziell von britischen Medien oftmals als Verlierer im Stallduell gegen di Resta dargestellt. Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Den Qualifying-Vergleich konnte er mit einem starken Finish noch auf 10:9 drehen, nach Punkten setzte er sich ohnehin mit 42:27 durch.

"Er hat sich am Jahresanfang ein bisschen schwer getan. Ich schiebe das auf die Reifen", analysiert Surer. "Er selbst hat sich dazu nie ganz klar geäußert, aber jeder Fahrer hat seinen eigenen Fahrstil. Die Pirelli-Reifen sind nicht jedem entgegengekommen. Sie sind ein bisschen labiler. Fahrer, die sich sehr stark auf die Rückmeldung, die sie vom Reifen spüren, verlassen, die einen präzisen Reifen brauchen, hatten damit ein bisschen mehr Mühe - siehe Mark Webber. Sein Teamkollege als Neuling war hingegen unvorbelastet und hat relativ gut Gas gegeben."

Starke Saison 2011: Sutils Diplomarbeit

"Aber Sutil hat sich gefangen - und das ist immer das Starke, wenn ein Fahrer ein Problem in den Griff bekommt und sich darauf einstellen kann. Am Schluss war er eindeutig der Mann, der das Team angeführt hat", lobt der Formel-1-Experte. "Da hat er gezeigt, was er eigentlich wert ist. Für mich war das eine Diplomarbeit, die er 2012 abgelegt hat - erst hinter dem Neuling zu hängen, das aber umzudrehen und alles in den Griff zu bekommen. Das heißt auch, dass er sich nicht unterkriegen lässt. Eine sehr starke Saison!"

Mit einem großen Wermutstropfen: Nach dem Sieg seines Kumpels Lewis Hamilton in Schanghai suchten der McLaren-Pilot und Sutil gemeinsam einen Nachtklub auf, um dort zu feiern. Im leicht angeheiterten Zustand kam es dort zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit Genii-Manager Eric Lux, der am Hals von einem Glas aufgeschnitten wurde, das ihm angeblich Sutil ins Gesicht schütten wollte. Für die Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung - Licht ins Dunkel wird wohl erst das Verfahren vor einem Münchner Gericht bringen, Ende Januar.

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿Insider vermuten, dass Sutil unter anderem auch wegen einer drohenden Verurteilung beim Kampf um ein Stammcockpit für 2012 durch den Rost gefallen ist. "Wie sollen wir es unseren Sponsoren erklären, wenn wir ab Saisonmitte mit einem verurteilten Straftäter fahren müssen?", seufzte schon vor Monaten ein hochrangiges Mitglied eines Teams, das an den Diensten des Deutschen grundsätzlich interessiert war. Nun könnte Sutil als Testfahrer bei Mercedes andocken - Norbert Haug hat schon lange eine hohe Meinung von ihm.

Surer glaubt allerdings, dass der Schanghai-Zwischenfall im Paddock "viel zu sehr hochgespielt" wurde: "Offensichtlich wurde es auch politisch genutzt, um von verschiedenen Seiten auf das Team einzuwirken: 'Ihr müsst diesen Sutil loswerden!' Ich weiß nicht, wie viel von der Geschichte stimmt. Es ist eine dumme Sache, klar, aber ich glaube nicht, dass das seiner Karriere enorm schaden wird, denn schlussendlich kommt es auf die Leistung an, die einer bringt. Die hat er gebracht", lobt der 60-Jährige.

Pit Lane über Force India:

Pit Lane

Force India hat 2011 die bisher beste Saison der Teamgeschichte abgeliefert Zoom

Saisonstatistik:

Link: Force India in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 6. (69 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 7,9 Prozent (2.)
Durchschnittlicher Startplatz: 11,6 (6.)

Qualifyingduelle:

Sutil vs. di Resta: 10:9

Adrian Sutil (Startnummer 14):

Fahrerwertung: 9. (42 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 11,6 (10.)
Bester Startplatz: 8.
Bestes Rennergebnis: 6.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (5.)

Paul di Resta (Startnummer 15):

Fahrerwertung: 13. (27 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 11,7 (12.)
Bester Startplatz: 6.
Bestes Rennergebnis: 6.
Ausfallsrate: 5,3 Prozent (1.)