• 01.04.2010 09:40

  • von Fabian Hust

Virgin: Fans beteiligen sich bald an Entwicklungsarbeit

Virgin ist der erste Formel-1-Rennstall, der auf Entwicklungsarbeit im Windkanal verzichtet - nun geht Timo Glocks Arbeitgeber einen radikalen Schritt weiter

(Motorsport-Total.com) - Als das Virgin-Team verriet, dass man bei der Entwicklungsarbeit der Aerodynamik am Formel-1-Auto ganz auf Versuche im Windkanal verzichtet, sorgte das bei Experten wie Fans für Verwunderung. Designer Nick Wirth wurde für seinen mutigen Schritt von einigen Kollegen sogar öffentlich kritisiert, obwohl er im Rennsport bereits bewiesen hat, dass man auch ohne Windkanalversuche konkurrenzfähige Rennfahrzeuge konstruieren kann.

Titel-Bild zur News: Virgin-Cosworth VR-01

Die Fans sollen in Zukunft ihren Anteil an den Fortschritten des Teams haben

Die Zweifel der Kollegen sind unabhängig davon nachvollziehbar, denn die Aerodynamik ist ein Feld, das immer noch nicht als komplett erforscht und verstanden gilt, und die Formel 1 die Aerodynamik-Paradedisziplin schlechthin. Umso mutiger ist der Schritt, sich rein auf Berechnungen aus dem Computer zu verlassen.#w1#

Doch der 43-jährige Brite glaubt fest an seine Strategie, welche auch von der Konkurrenz ganz genau beobachtet wird. Der peinliche Rechenfehler, der dem Team einen zu kleinen Tank bescherte, hat die Kritiker aber mit Sicherheit nicht verstummen lassen.

Das Werkzeug CFD (Computational Fluid Dynamics) hat dem Team zumindest ein Auto beschert, welches derzeit von den drei neuen Rennställen das schnellste zu sein scheint, auch wenn es noch an der Zuverlässigkeit hapert. Virgin sieht seine große Stärke und Hoffnung darin, im Verlauf der Saison ein schnelleres Entwicklungstempo auf den Asphalt zu zaubern als die Konkurrenz - weil man keine Windkanalmodelle bauen und Versuche im Windkanal durchführen muss.

Nick Wirth

Geht der extreme Aerodynamik-Poker von Nick Wirth auf? Zoom

Daneben spielen auch die Kosten in den Augen des Rennstalls von Milliardär Richard Branson eine große Rolle. Das Anmieten und der Betrieb eines Windkanals verschlingen aufgrund des enormen Energieverbrauchs und Personalbedarfs einige Millionen Euro im Jahr. Und um diese Kosten zu reduzieren, haben sich die Teams auf eine Begrenzung der Windkanalstunden verständigt. Das ist ein weiterer Pluspunkt der Virgin-Strategie, denn CFD-Stunden sind nicht begrenzt.

Alle Teams setzen auf CFD, ergänzen diese Technologie jedoch mit Versuchen im Windkanal, was die Großrechner entlastet. Setzt man rein auf CFD, ist die anfallende Rechenleistung um den Faktor 20 höher. Und genau mit diesem Problem hat der Rennstall derzeit zu kämpfen - man verfügt noch nicht über die optimale Rechenleistung.

Nach dem revolutionärem Ansatz, rein auf CFD zu setzen, zündet Virgin nun die nächste innovative Stufe: Um die verfügbare Rechenleistung zu erhöhen, erweitert das Team den verfügbaren Rechner-Cluster um die Rechen-Power von Computern, welche die Fans zu Hause in ihrem Wohnzimmer stehen haben.

Die Idee dahinter ist nicht neu. Beim so genannten "Grid Computing" wird aus mehreren, lose gekoppelten Computern ein virtueller Supercomputer gebildet. Eine Software verteilt kleine zu berechnende Pakete auf die verschiedenen Rechner und fügt die Ergebnisse anschließend wieder zusammen.

US-F1-Designshop

Auch das US-F1-Team wollte wie Virgin komplett auf CFD setzen Zoom

Seit vielen Jahren gibt es im Internet auf dieser Basis zahlreiche Projekte, durch die beispielsweise Primzahlen berechnet, Verschlüsslungsverfahren auf Schwachstellen geprüft werden oder nach außerirdischem Leben gesucht wird ("Seti@home").

Virgin arbeitet derzeit unter Hochdruck zusammen mit Partnern an einem Programm, das sich Fans nach einer Registrierung auf der Webseite des Teams auf ihren Computer laden und anschließend starten können. Es arbeitet unauffällig im Hintergrund und nutzt dabei freie Ressourcen aus, wenn die CPU des Computers im Leerlauf ist. Der PC muss dabei mit dem Internet verbunden sein, damit das Programm die Rechenergebnisse ohne Verzögerung an das Team übertragen kann.

Die zu berechnenden Prozesse werden intelligent an das Grid verteilt, sodass sichergestellt ist, dass das Puzzle vom Team zusammengefügt werden kann, auch wenn ein Nutzer seinen Computer ausschaltet und der Rechenprozess nicht abgeschlossen wurde. In diesem Fall kann ein anderer User-Client einspringen. Das alles - so verspricht das Team - funktioniert völlig ohne Zutun des Anwenders.

Timo Glock

Timo Glocks Auto hat nie einen Windkanal von innen gesehen Zoom

Für die Bereitstellung ihrer Rechenleistung möchte das Team die teilnehmenden Fans übrigens am Erfolg des Rennstalls auf der Strecke partizipieren lassen und einen Teil des Preisgeldes an die fleißigstens "Rechner" ausschütten. Zudem möchte die Mannschaft unter allen Teilnehmern, die mindestens einen Rechenjob ausgeführt haben, attraktive und nicht käuflich zu erwerbende Preise verlosen.

Viele Fans dürften sich Fragen, warum sich Timo Glock nach der Zusammenarbeit mit einem Werksteam auf das Abenteuer Virgin einlässt. Vermutlich, weil der Rennstall innovativ an das Projekt herangeht. "Ich finde es super, dass uns die Fans jetzt mehr Schwung verleihen können", so Glock.

"Das ist einfach eine geniale Idee, denn die meisten Computer laufen oft im Leerlauf. Wir schalten dann mal für unsere Berechnungen einen Gang hoch", meint der 28-Jährige. "Ich kenne das auch von mir selbst. Wenn ich daheim am Rechner sitze und zum Beispiel im Internet surfe, dann ist das Teil ja vielleicht mal zu fünf Prozent ausgelastet. Was für eine Verschwendung eigentlich."

Timo Glock

Timo Glock ist begeistert, dass seine Fans bald am Auto "mitarbeiten" Zoom

"Ich hoffe, dass sich viele Virgin-Fans an unserem Projekt beteiligen, damit unser Auto möglichst schnell weiterentwickelt wird", so der Rennfahrer aus Wersau weiter. "Wenn dadurch Erfolge möglich werden, darf sich jeder als Teil dessen fühlen. Das ist doch der Hammer!"

Jene Fans, die angesichts des Projekts die Befürchtung haben, dass der Rennstall von Glock und Lucas di Grassi zum Spionage-Opfer wird, können beruhigt werden. Die Daten werden verschlüsselt übertragen und zudem wird eine Rechenausgabe schon durch das Prinzip des Systems auf mehrere Systeme verteilt - und mit einem Ausschnitt kann auch die Konkurrenz nichts anfangen.