• 19.10.2008 16:31

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Analyse: Hamiltons Spazierfahrt für São Paulo

Martin Whitmarsh erklärt, warum Lewis Hamilton in Shanghai nie in Gefahr war, und spricht über den silbernen Fahrplan für den WM-Showdown

(Motorsport-Total.com) - Pole-Position, schnellste Rennrunde, 53 von 56 Runden geführt, am Ende 14,9 Sekunden Vorsprung auf Felipe Massa - schon die nackten Zahlen unterstreichen, wie dominant Lewis Hamilton heute beim Grand Prix von China in Shanghai war. Dabei musste der McLaren-Mercedes-Pilot die Möglichkeiten seines technischen Pakets noch nicht einmal voll ausschöpfen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamiltons Silberpfeil lief heute in Shanghai präzise wie ein Uhrwerk

Während Ferrari laut Teamaussage das schlechteste Wochenende seit Hockenheim erlebte, hatte Hamilton nach dem geglückten Start nie Probleme damit, die roten Renner, die im Rückspiegel immer kleiner wurden, zu kontrollieren. Nach fünf Runden hatte er 3,1 Sekunden Vorsprung, nach 17 5,7, nach 35 8,5 und nach 47 13,4. Wie sehr er Herr der Lage war, beweist die Tatsache, dass er abgesehen von einem minimalen Drift im ersten Renndrittel nicht den kleinsten Fehler machte.#w1#

Lob für überragenden Hamilton

"Wir waren schon am Freitag und am Samstag sehr schnell", analysierte McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh nach dem Rennen. "Lewis hat das ganze Wochenende dominiert. Er ist dieses Wochenende sehr reif aufgetreten, er hat seine Grenzen nicht überschritten. So gewinnt man Weltmeisterschaften!" Der Vorsprung auf Massa beträgt trotz roter Positionsrochade in der 49. Runde vor dem Showdown in São Paulo sieben Punkte.

Hamilton hatte São Paulo heute offenbar schon im Hinterkopf, denn: "Den Großteil des Rennens hat er damit verbracht, das Auto zu schonen. Am Anfang baute er sich einen Vorsprung auf und danach hatte er das Rennen voll unter Kontrolle. Am Ende lief er auf eine Gruppe überrundeter Fahrzeuge auf. Sein Vorsprung betrug 17 Sekunden. Da haben wir entschieden, dass wir den Motor runterdrehen und nichts mehr riskieren", so Whitmarsh.

"Den Großteil des Rennens hat Lewis damit verbracht, das Auto zu schonen." Martin Whitmarsh

Das war diesmal besonders wichtig - nicht unbedingt, weil Mercedes mit Heikki Kovalainen in Fuji den ersten Motorschaden in zwei Jahren zu beklagen hatte, sondern weil Hamilton vor dem letzten Grand Prix des Jahres seinen noch nicht verwendeten Joker nicht mehr ziehen darf. Normalerweise geht der erste Motorwechsel der Saison ja ohne Rückversetzung in der Startaufstellung über die Bühne, doch für das Saisonfinale wurde eine Ausnahmeregelung definiert.

Zweiter Stopp früher als geplant

Selbst das Reduzieren der Drehzahl brachte die Ferraris aber nicht mehr in Reichweite zum führenden Silberpfeil. Dabei war McLaren-Mercedes zuvor auch in puncto Strategie auf Nummer sicher gegangen: "Wir hätten im zweiten Stint länger draußen bleiben können, holten Lewis aber früher als geplant herein, um nicht von einer Safety-Car-Phase überrascht zu werden. Der Vorsprung auf Räikkönen war ja groß genug", erläuterte Whitmarsh.

In der Nachbetrachtung des Rennens kam wieder die alte Vermutung auf, dass McLaren-Mercedes mit den härteren Gummimischungen aus dem Bridgestone-Sortiment besser umgehen kann als Ferrari. Dieser Trend war 2008 schon einige Male zu beobachten. Dabei war die Differenz zwischen Medium und Hard diesmal laut Whitmarsh gering: "Es war schwierig, die richtigen Reifen für das Rennen auszuwählen. Die beiden Mischungen lagen sehr eng beisammen."

"Die beiden Mischungen lagen sehr eng beisammen." Martin Whitmarsh

Ist es ein Vorteil, dass Bridgestone für São Paulo im Vergleich zu 2007 um einen Grad härter, auf Soft und Medium, geht? "Wir hatten am Saisonbeginn das Problem, dass wir die Reifen zu schnell verschlissen haben, während Ferrari Probleme damit hatte, härtere Reifen auf Temperatur zu bekommen. Aber beide Teams haben daran gearbeitet. Ich glaube, dieser Unterschied ist verschwunden oder nur noch sehr gering", widersprach die rechte Hand von Ron Dennis.

Ähnliche Ausgangslage wie 2007

Die WM-Entscheidung fällt in genau zwei Wochen. Hamilton geht genau wie 2007 mit sieben Punkten Vorsprung auf seinen schärfsten Ferrari-Rivalen in den Showdown - und damals hieß der Weltmeister am Ende Kimi Räikkönen. Diesmal hat er allerdings im Gegensatz zum Vorjahr, als Fernando Alonso vier Punkte hinter ihm lag, nur einen Gegner. Somit würde ein fünfter Platz auf jeden Fall reichen, während Massa selbst bei Hamilton-K.O. mindestens Zweiter werden muss.

Whitmarsh: "Jetzt liegt es an uns. Kein anderes Team wird Ferrari in Brasilien schlagen. Unsere Ausgangsposition ist also gut, aber nicht komfortabel. Wir müssen auf uns selbst schauen und dürfen keine Fehler machen. Wenn wir nicht ins Ziel kommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Felipe das Rennen und den Titel gewinnt." Und mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht fügte er an: "Kimi wird er wahrscheinlich schlagen..."


Fotos: Lewis Hamilton, Großer Preis von China, Sonntag


Defensive kann in die Hose gehen

"Natürlich ist Druck da. Lewis will Weltmeister werden. Aber wenn es normal läuft, dann sollte es klappen. Nur: Es kann auch schief gehen, wie wir seit dem Vorjahr wissen. Wir brauchen vier Punkte", so Whitmarsh, der vor einer allzu defensiven Herangehensweise an das Wochenende eindringlich warnt: "Es ist wie in jedem Sport: Wenn du zu sehr davon abkommst, auf die Konkurrenzfähigkeit zu achten, dann machst du Fehler."

Nicht zu viel riskieren, aber auch nicht zu defensiv sein - zu dieser Strategie passt auch, dass die Silberpfeile in der Fabrik in Woking gerade an einer verbesserten Aerodynamik arbeiten. Diese könnte nachträglich nach Brasilien geflogen und dort an die Autos geschraubt werden. Ob diese Teile zum Einsatz kommen werden, steht noch nicht fest, aber: "Wenn es etwas bringt, dann werden wir sie ans Auto schrauben", betonte Whitmarsh.

"Wenn es etwas bringt, dann werden wir sie ans Auto schrauben." Martin Whitmarsh

Und wie siehst du die Konstrukteurs-WM, Martin? "Ganz egal, was die Teams auch sagen: Der Fahrer ist der Weltmeister, an den sich alle erinnern", antwortete er. "Natürlich würden wir am liebsten beide Titel gewinnen. Bei den Fahrern haben wir unsere Position heute gestärkt, bei den Konstrukteuren war es ein schlechter Tag für uns. Es ist auch noch zu schaffen, aber dafür brauchen wir in Brasilien ein außergewöhnliches Resultat. Das streben wir an."