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  • 06.07.2001 12:13

  • von Fabian Hust

Stahlharte Körper in schnellen Autos

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt Ihnen, wie die Formel-1-Piloten ihren Körper fit halten

(Motorsport-Total.com) - Längst sind Formel-1-Piloten nicht mehr mutige Männer, die vor dem Start in ihren zerbrechlichen Boliden noch lässig eine Zigarre paffen und sich nach dem Rennen für ein deftiges Mahl und einige Runden kühlen Bieres schon einen Platz haben reservieren lassen. Den Formel-1-Fahrern der ersten Stunde war "Fittnesstraining" ein völliges Fremdwort, heute ist es einer der Schlüssel zum Erfolg.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher gilt als Vorbild in Sachen Fittness

In Zeiten, in denen die Formel-1-Autos bis auf die letzte Tausendstelsekunde ausgequetscht werden, ist die physische und psychische Fitness wichtiger denn je. Wenn die Muskeln der Fahrer durch die hohen Fliehkräfte ermüden, werden die Piloten langsamer, und können sich nicht mehr richtig konzentrieren - in entscheidenden Momenten wird ein Fahrer mit mangelhafter Fitness einem körperlich durchtrainierterem Gegner unterlegen sein.

Analyse der Grundfitness
Simon Jones, Physiotherapeut des Arrows-Formel-1-Teams, nahm sich die Zeit, über die Wichtigkeit des Fitnesstrainings in der Formel 1 zu sprechen und gibt einen Einblick hinter die Kulissen: "Zunächst einmal muss man sich ein Bild über die Grundfitness eines Fahrers machen. Grundsätzlich beginnen wir mit einer Serie von Fittnesstests, um die körperliche Grundfitness des Fahrers herauszufinden. Die Fahrer müssen sich zudem sehr ausführlichen medizinischen Untersuchungen unterziehen, die sie normaler Weise in jedem Jahr für die Ausstellung ihrer Superlizenz sowieso durchführen lassen müssen, aber ich begleite sie. Wir fügen ein paar zusätzliche Tests hinzu, um zu sehen, wie es um ihre Gesundheit bestellt ist und um überhaupt zu überprüfen, ob sie fit sind und ob es ihnen gut geht."

Diese Tests bestehen aus dem Gebiet der Aerobic, Kraftausdauertraining, Krafttests verschiedener Muskelgruppen, Reaktionsgeschwindigkeit, Agilitätstests und zuletzt der Flexibilität des Körpers. "Wir beobachten vor allem ständig den Rücken, denn dieser muss während einer Saison Belastungen aushalten, die in einem hohen Tonnenbereich anzusiedeln sind", erklärt Jones. "Die Analyse dieser Tests gibt mir dann die Möglichkeit, die Bereiche zu lokalisieren, auf die ich mich bei dem jeweiligen Piloten vor allen Dingen konzentrieren muss."

Für jeden Fahrer ein individuelles Programm
Als besonders schwierig stellt es sich für die Physiotherapeuten heraus, wenn Fahrer wie im Falle von Enrique Bernoldi so spät in das Team kommen, dass sie schon im Auto sitzen, bevor man sich ausgiebig um die Fitness kümmern konnte: "Im Moment bin ich dabei, ihn zu untersuchen, um zu sehen, wo wir stehen", erläutert Jones, dass es zum Teil Monate dauert, bis sich der persönliche Trainer ein exaktes Bild über seinen Schützling gemacht hat. Zunächst entwickelt Jones für neue Fahrer ein Stufen-Programm, das Schritt für Schritt abgearbeitet wird. Als Erstes muss die Ausdauer trainiert, Muskeln aufgebaut und gedehnt werden: "Wenn ich die Ergebnisse des Tests erhalte, dann weiß ich, ob ich mit meinem Instinkt richtig lag, was die Einschätzung seines Zustandes angeht und ob wir noch an bestimmten Bereichen mehr arbeiten müssen."

Für jeden Fahrer arbeitet der Physiotherapeut ein spezielles Programm aus: "Das wichtigste ist, dass man kontinulierlich am Ball bleibt, stetig Fortschritte erzielt und die Fahrer absolut hinter dem Programm stehen, ansonsten ist es reine Zeitverschwendung. Je nach Fahrer kann das ziemlich problematisch sein, da manche Fahrer auf Grund ihres Charakters so überzeugt sind zu wissen, was für sie gut ist, dass es sich ziemlich von dem unterscheidet, was ich für richtig erachte. In so einem Fall muss man dann einen guten Kompromiss finden. In diesem Jahr haben wir hart daran gearbeitet, diese Balance mit Jos Verstappen aufzubauen und jetzt haben wir unser Ziel erreicht und sind glücklich damit. Mit Enrique habe ich es etwas leichter, denn er ist jung und man sagt ihm, was er machen soll und das tut er dann auch. Jos muss ich einen gewissen Respekt entgegenbringen, da er schon deutlich länger in der Formel 1 ist..."

Gefahr des Übertrainierens
Doch wo muss man eine Grenze ziehen? Wie viel Training ist überhaupt sinnvoll, ohne dass man sich dabei übertrainiert? "Es ist interessant, manche Leute sagen, dass ihre Fahrer vier bis fünf Stunden am Tag trainieren. Ich habe eine Woche mit Michael Schumacher und Jos Verstappen zusammen trainiert und wenn man sich Michaels Programm ansieht, dann trainiert er in Sachen reinem Firtnesstraining zwei Stunden am Tag - eine morgens und eine weitere abends. Allerdings übt er für den Rest des Tages dann Freizeitsport aus, was ein sehr gutes Ausdauertraining ist. Man darf nie unterschätzen, was es bringt, wenn man zwei Stunden Fußball oder Tennis spielt."

Auch Jos Verstappen geht Jones Breitensport nach: "Wenn ich mit Jos zum Beispiel Fahrradfahren gehe, dann tun wir das maximal anderthalb Stunden. Aber das sind dann anderthalb Stunden ordentliche Arbeit und nachdem er eine gute Pause eingelegt hat, machen wir uns am Nachmittag auf eine weitere, lockerere Fahrt auf. Wenn wir als Spielraum zwei Sitzungen am Tag haben, dann wird die eine davon richtig hart sein, die andere relativ locker. Es ist ein leichtes, sich in jeder Sportart zu übertrainieren. Das Problem am Motorsport ist, dass man Rennen und Testfahrten hat und versucht, dazwischen das ganze Training unterzubringen. Und man muss mit den Auswirkungen der Reiserei und der Zeitumstellung auf den Körper umgehen, aus diesem Grund kann es schnell passieren, dass man zu viel trainiert. Meine Meinung ist, dass man völlig falsch trainiert, wenn man am Tag vier bis fünf Stunden richtiges Fitnesstraining durchführt."

Qualität wichtiger als Quantität
"Der Schlüssel zum Erfolg ist es, das Training nicht zur Hausaufgabe für die Fahrer zu machen. Sie haben einen sehr stressigen Terminkalender wie wir ihn alle haben, sie haben also ständig etwas zu erledigen. Ich ziehe es vor, lieber am Tag eine Stunde zu trainieren, wenn es überhaupt möglich ist, da dies viel effektiver ist. Nach einer Stunde können sie ganz schnell ihre Konzentration verlieren. Wenn sie mit der Qualität ihrer Übungen nachlassen, leidet die Arbeit zwangsläufig darunter. Aus diesem Grund ziele ich lieber auf Qualität als auf Quantität ab."

Das Gewicht
"Ich tendiere dazu, das Gewicht der Fahrer jeden Morgen auf meiner eigenen Waage im Motorhome zu kontrollieren, gehe dann aber an den meisten Tagen mit ihnen auch noch auf die FIA-Waage. Die Fahrer müssen alles mitnehmen, was sie in ihrem Auto bei sich haben, also Helm, Handschuhe, Ohrstöpsel, etc. da die Messungen zusammen mit diesen Teilen durchgeführt werden."

"Ich wiege immer auf drei verschiedene Art und Weisen: bevor sie ihren Overall angezogen haben, dann mit dem Overall und zuletzt mit dem Helm. Das wichtigste, an das ich zu denken habe, ist der Flüssigkeitsverlust und ich muss genau wissen, wie viel Flüssigkeit sie während einem Rennen verlieren. Was das Gewicht angeht, versuchen wir inklusive Auto möglichst knapp an die 600-Kilogramm-Marke zu kommen. Aus diesem Grund möchten wir die Fahrer so leicht wie möglich bekommen, so dass die Ingenieure mehr Möglichkeiten haben, mit der Ballastverteilung zu spielen."

Die "Traummaße" eines Physiotherapeuten
In den Augen des Arrows-Physiotherapeuten muss ein Fahrer um die 70 Kilogramm wiegen, 1,74 Meter bis 1,77 Meter groß sein und einen Körperfettanteil von rund 10 Prozent haben - "Dann wäre er für mich mein Goldschatz!" Wichtig ist es, die Fahrer nur so weit abspecken zu lassen, wie sie sich noch wohl fühlen: "Das gute an Jos ist, dass er zu sehr regelmäßigen Zeiten isst und dass er zur richtigen Zeit Nahrung zu sich nimmt. Er isst nie spät in der Nacht, meistens nimmt er seine letzte Mahlzeit um 17 oder 18 Uhr ein, weil er zu Hause eine junge Familie hat. Bis zu einem gewissen Grad gibt ihm das die Möglichkeit zu essen, was er gerne mag."

"Enrique ist mehr der typische junge Single, er isst also sehr vernünftig und seine Diät ist nicht gerade schlecht, da war ich positiv überrascht. Er ist in gewisser Beziehung ein typischer Rennfahrer, der wegen des Kohlenhydratfaktors eine Menge Pasta verschlingt. Man muss aber immer bedenken, dass Kohlenhydrate Zuckerstoffe sind, die sich als Fett ablagern, wenn sie nicht umgewandelt werden. Es ist eine Frage der richtigen Menge. Das wichtigste an einer Diät überhaupt - und auch das aufwendigste - ist die Einstellung des Bedarfs auf den Körper. Höchste Priorität hat das Ziel, dass man nicht ständig daran denken muss, was man essen darf. Man sollte das Essen noch genießen können."

Flüssigkeitsaufnahme
Das schwierigste überhaupt an einem Rennwochenende - besonders wenn es sehr heiß ist - ist der hohe Flüssigkeitsverlust. Jeder Physiotherapeut muss genau errechnen, wie viel Flüssigkeit die Fahrer zu sich nehmen müssen - nicht zu viel, aber eben auch nicht zu wenig. "Ich muss sogar überlegen, wie viel sie im Auto trinken können, ohne dass sie sich aufgeblasen fühlen", so Jones.

"Das beste Beispiel ist Malaysia. Ich habe hier ein sehr striktes Trinkprogramm für sie, das normalerweise am Mittwoch vor einem Rennen aufgenommen wird. Mittwoch, Donnerstag und Freitag wird man langsam die Flüssigkeitsaufnahme steigern. Alle paar Stunden müssen sie einen halben Liter isotonische Getränke oder Wasser trinken. Sie sind aus diesem Grund den ganzen Tag über gut mit Flüssigkeit bedient und kommen nicht drumherum, alle zwei bis drei Stunden die Toilette aufzusuchen."

Elektrolyte-Mangel kann katastrophale Folgen haben
"Neben dem reinen Flüssigkeitsverlust gilt es auch zu beachten, dass sie eine Menge Körpersalze verlieren. Wenn man hier nicht aufpasst, können alle möglichen Probleme mit der mentalen Aufnahmefähigkeit, der Reaktionsschnelligkeit und der Ausdauer auftreten. Aus diesem Grund versorge ich sie mit verschiedenen Flüssigkeiten; die meisten davon sind frei erhältlich aber ich habe auch ein paar Spezialmischungen, die ich selbst anfertige. In meinem Programm sind auch schnell wirkende Lösungen, die im Dünndarm sehr schnell absorbiert werden." Diese selbst gemixten "Getränke" nutzte Jones zum ersten Mal in diesem Jahr in Malaysia. Der Gehalt an Elektrolyten ist hier sehr hoch, der Wassergehalt hingegen gering, so dass die Fahrer sich nicht "schwer" fühlen. Der Nachteil ist die Tatsache, dass die Getränke sehr salzig schmecken.

Jedes Rennen stellt seine eigenen Anforderungen an einen "Getränkeplan". In Australien hat man wegen des Wetters ebenso mehr zu trinken wie in Malaysia und in Japan und Ungarn muss der Physiotherapeut beachten, dass diese Rennen besonders psychisch sehr anstrengend sind. In Malaysia trinken die Piloten pro Tag 3,5-4 Liter, in Silverstone ist es hingegen nicht notwendig, schon am Mittwoch konsequent zu trinken, hier reicht es aus, den Flüssigkeitshaushalt über das Wochenende hinweg zu regeln."

Überwachung im Auto
Wenn die Piloten erst einmal angeschnallt im Auto sitzen, kann der Physiotherapeut nicht mehr viel für sie machen. "Ich kann in diesem Moment keine Daten in Echtzeit erhalten, das ist etwas, an dem ich hart arbeite, um es zu ändern. Wir haben ganz gute Pulsmesser, so dass ich sehen kann, was mit ihnen bei den verschiedenen Szenarien passiert. Jetzt arbeite ich mit den Elektronikern zusammen, um diese Daten in Echtzeit zu erhalten, so dass ich Müdigkeit vorhersagen kann. Im Moment könnten wir anhand der Pulsfrequenz feststellen, wenn sie müde werden, da die Herzfrequenz dann beträchtlich ansteigt."

"Zusätzlich möchte ich noch gerne einen Atemmesser im Helm haben, weil ich sehr interessiert an ihrer Atemrate bin und sehen möchte, wie viel Luft sie umsetzen. Ich bin nämlich der Meinung, dass Fahrer oftmals die Luft anhalten, was zur Kohlenstoffdioxid-Rückhaltung führen kann. Das kann Schwindel oder Blackouts auslösen."

Das Rennen - hohe Anforderungen an Körper und Geist
Ein Rennen dauert im Schnitt 60 Runden und beinahe zwei Stunden, in denen man ständig Stress, extremen Witterungsbedingungen und hohen g-Kräften ausgesetzt ist. Hierauf will sich gut und vor allem rechtzeitig vorbereitet sein: "Was mich betrifft, so ist das letzte Viertel des Rennens entscheidend. Das ist die Phase, in der meiner Meinung nach die Fahrer das Rennen gewinnen oder verlieren. Wenn ich weiß, dass die Fahrer gut körperlich und mental trainiert sind, dann hängt der Ausgang des Rennens nur noch von Dingen ab, auf die ich keinen Einfluss habe."

Und wer ist in den Augen von Jones der fitteste Fahrer? "Mit Sicherheit muss man Michael Schumacher als den Gold-Standard ansehen, weil er den Sinn des Trainings sieht und sich ihm aus diesem Grund vollständig widmet. Als ich mit ihm und Jos zusammen trainierte, dann merkte ich, dass er in Sachen Training nichts anderes als wir macht, aber er hat sich ständig in Bewegung gehalten. Wir trainierten am Morgen ein wenig, dann ging er Tennis spielen, er kickte am Nachmittag dann noch ein wenig gegen den Fußball, wir mussten da erst einmal mithalten. Uns hat das viel gebracht, weil wir unseren Trainings-Mix noch einmal überdacht haben. Gleichzeit haben wir aber noch Dinge eingeführt, die wir als sinnvoll erachteten und Michael hat sich hier als sehr verständnisvoll gezeigt."

Persönliche Vorbereitung wichtig
Doch schlussendlich bringt auch das beste Training nicht viel, wenn der Fahrer vor dem Rennen zu nervös ist: "Wenn ein Fahrer fit ist, dann macht der Unterschied die Art und Weise aus, in der er sich psychologisch selbst vorbereitet. Bis jetzt kann niemand Michael in dieser Beziehung das Wasser reichen. Er weiß, wie wichtig die mentale Vorbereitung ist und er versteht es, sich voll zu konzentrieren, im nächsten Moment dann aber wieder komplett abzuschalten - damit haben viele Fahrer Probleme."