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  • 04.08.2014 09:04

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: "Safe" oder "unsafe"? Das ist hier die Frage!

Redakteur Stefan Ziegler schreibt über das DTM-Rennen in Spielberg und über die vielen Szenen, die den sechsten Saisonlauf zu einem sehr kuriosen gemacht haben

Titel-Bild zur News: Robert Wickens, Timo Glock

Die Wurzel allen Übels aus der Sicht von Robert Wickens: Rechts kommt Timo Glock... Zoom

Liebe Leser,

wer soll denn da bitteschön noch durchblicken? Diese Frage habe ich mir während des sechsten DTM-Saisonlaufs in Spielberg gleich mehrfach gestellt. Und wenn ich die Mimik meiner Kollegen im Pressezentrum des Red-Bull-Rings richtig gedeutet habe, dann ging es den meisten Anwesenden nicht viel anders. Die DTM fuhr in Österreich - und irgendwie ging es auf einmal drunter und drüber.

Dabei war das erste Renndrittel wirklich sehenswert. Das Duell zwischen Augusto Farfus und Robert Wickens um die Führung - richtig gut! Sehr spannender und fairer Motorsport, wie man ihn sich jeden Sonntag wünscht. Kurz darauf dann die ersten "Störfeuer": etliche Durchfahrtsstrafen, weil Piloten unter Gelb zu schnell gewesen sind. Wenn es mal dabei geblieben wäre. Es war aber wohl der Wurm drin.

Green zu lange draußen - oder nicht?

Zum Beispiel bei Jamie Green, der gute Chancen hatte, auf das Podest zu fahren. Vielleicht war er sogar ein Kandidat auf den Sieg in Spielberg. Doch dann blieb er einfach eine Runde zu lang auf der Strecke, fuhr eine zu große Distanz mit den Options-Reifen und büßte durch eine Durchfahrtsstrafe sämtliche Möglichkeiten auf ein Top-3-Ergebnis ein. Weil er über das DTM-Reglement gestolpert war.

Die Regeln sagten für Spielberg: Maximal 22 Runden sind mit dem Options-Reifen zurückzulegen. Green kam aber eine Runde zu spät zum Reifenwechsel. Was dabei für Verwirrung gesorgt hat, während und nach dem Rennen: Das online abrufbare Sportliche Reglement (hier klicken!) ist wohl nicht auf neustem Stand. Denn auf Seite 32 heißt es in der Internet-Variante, dass 23 Options-Runden möglich sind.

Jamie Green

Jamie Green hatte Podestchancen, doch in Spielberg gab's keinen Champagner für ihn Zoom

Ein im Mai herausgegebener Reglements-Zusatz hatte diese Rundenzahl in Spielberg auf 22 korrigiert, wurde aber offenbar nicht im originalen und für die Fans einsehbaren Dokument verändert. Doch über dergleichen hat sich Green ohnehin keine Gedanken gemacht. Wie er in seiner Medienrunde nach dem Rennen erklärte, wollte er schlicht eine Runde länger fahren als seine direkten Gegner. "Mein Fehler", sagte er.

War das nun Teamorder?

Während Audi von einem "Kommunikationsproblem" sprach, räumte Green ohne großes Federlesen ein, dass ihm die Schuld für den Fauxpas anzulasten sei. Und das hat mich beeindruckt. Schließlich sind viele Herren Rennfahrer meist nicht um eine Ausrede verlegen oder drücken sich gern mal vor einer klaren Ansage. In Spielberg wurden solche klaren Ansagen teilweise sehr zielsicher umschifft.

Zum Beispiel bei der Frage nach den Geschehnissen in der Schlussphase des Rennens. Ihr erinnert Euch? Marco Wittmann hatte keine große Mühe, seine BMW-Markenkollegen zu überholen, auch Mattias Ekström kam ausgangs der Zielkurve recht einfach an Audi-Kollege Green vorbei. Womit ich im Übrigen kein Problem habe: Stallregie gehört zum Motorsport, weil es eben auch ein Teamsport ist.

Marco Wittmann

Marco Wittmann feiert den dritten Saisonsieg - mit Hilfe der Kollegen? Zoom

Nur: Muss das denn schon im sechsten von zehn Saisonrennen sein? Und wenn schon teamdienlich gefahren wird, kann man das Kind dann nicht auch beim Namen nennen? Offenbar nicht. Das ist zumindest die Erfahrung, die ich in Spielberg gemacht habe. Auf meine Frage, ob er freiwillig Platz gemacht habe oder dazu angewiesen worden sei, antwortete Green: "Can you not ask me that question?"

Ein einfaches "Ja" oder "Nein" würde reichen...

Es war ihm sichtlich unangenehm, über die Situation zu reden. Auch Audi-DTM-Leiter Dieter Gass fand keine ganz deutlichen Worte: "Grundsätzlich weiß jeder, was seine Aufgabe ist. Und wenn man das Reglement liest, weiß man, dass solche Sachen möglich sind. Wir sind aber nicht die einzigen, die sich das anschauen." Stimmt. Timo Glock hatte seine Schützenhilfe ja schon am Samstag angekündigt.

Aber war es bei BMW wirklich Stallregie, die Wittmann zum Sieg verholfen hat? Sportchef Jens Marquardt gab darauf weder ein klares Ja noch ein klares Nein, sondern verwies vielmehr auf die Reifenstrategie seiner Piloten, wodurch diese auf der Strecke zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich schnell waren. Nur Augusto Farfus meinte, man müsse "an das große Ganze" denken.


Fotostrecke: Fakten zu DTM in Spielberg

Wie auch immer. Was die Rennleitung der DTM in Spielberg zwischendurch gedacht hat, erschließt sich mir jedenfalls bis jetzt nicht. Ihr wisst schon: Die Szene in Runde 22, als es in der Boxengasse ziemlich turbulent zuging. Wickens fuhr knapp vor Glock in die Fastlane, im Hintergrund fuhr Pascal Wehrlein Wittmann recht rustikal ins Auto. So kann es aber ganz offensichtlich gar nicht gewesen sein.

Was genau hat die Rennleitung gesehen?

Denn die Rennleitung kam zu dem Schluss: Die Aktion von Wickens, der knapp vor Glock wieder in die Fastlane eingebogen war, sei ein "Unsafe Release" und folgerichtig mit einer Durchfahrtsstrafe zu ahnden. Die Aktion von Wehrlein, der dabei vielleicht den Gesamtführenden hätte ins Aus befördern können, wurde indes nach kurzer Untersuchung abgehakt: "No further action", wie es so schön heißt.

Bei allem Respekt vor der Rennleitung und ihrer gewiss schwierigen Aufgabe (und damit will ich niemandem etwas unterstellen!): Wahrscheinlich habe nicht nur ich mal daran gedacht, ob Wehrlein und Wickens vielleicht verwechselt worden sind? Das wäre eine Erklärung für das "interessante" Vorgehen beim Aussprechen der Strafen. Aber irgendwas muss Wehrlein doch falsch gemacht haben: Nach dem Rennen erhielt er deswegen eine Startplatzstrafe.


DTM Spielberg 2014 - Highlights Rennen

Die schönsten Szenen vom sechsten Saisonlauf der DTM aus Spielberg, mit einem strahlenden Sieger Marco Wittmann Weitere DTM-Videos

Sich rückblickend über hätte, wäre, wenn und aber zu unterhalten, das ist müßig. Doch ich kann Mercedes gut verstehen, wenn sie die gegen Wickens ausgesprochene Durchfahrtsstrafe gleich hinterfragt haben. Was ich wiederum nicht verstehen kann: Warum hat man diese Tatsachen-Entscheidung nicht akzeptiert? Und warum hat man sie dem betroffenen Fahrer nicht mitgeteilt?

Und plötzlich disqualifiziert

Wickens hat, wie er später sagte, erst einen Funkspruch erhalten, als ihn das Team über seine Disqualifikation mit der schwarzen Flagge informierte. Er wusste offenbar nicht, dass er zu einer Strafe an die Box fahren sollte und fiel daher, so sagt er, aus allen Wolken. Kurios. Noch kurioser ist aber: Die Rennleitung zeigt sowohl Durchfahrtsstrafen als auch schwarze Flaggen bei Start und Ziel an.

In Runde 27 wurde die Strafe gegen ihn ausgesprochen, spätestens drei Runden später hätte Wickens sie "absitzen" müssen. Tat er aber nicht, sondern fuhr weiter. Die Anzeigetafeln der Rennleitung hatte er offenbar nicht gesehen. Mehr noch: Er legte sich recht rustikal mit Farfus an, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass er aus der Spitzengruppe herausfallen würde.

Robert Wickens

Robert Wickens erhielt die schwarze Flagge, wusste aber nichts vom Vergehen Zoom

Der Abgesang dann in Runde 34: Wickens leistete der schwarzen Flagge Folge und bog ab in die Boxengasse, aber nicht ohne sein Auto beinahe noch in die Leitplanken der Einfahrt zu feuern. Es ging gerade noch mal gut. Und sein Ärger ist ja auch verständlich. Vor allem im direkten Vergleich der Boxenszenen Wickens/Glock und Wehrlein/Wittmann. Was also ist denn nun "safe" und was ist "unsafe"?

"Sobald das Auto runtergeht, gibt man Gas..."

Schwer zu sagen. Aber dafür gibt es ja eine Rennleitung, die sich damit beschäftigen und dann ein Urteil fällen muss. Da hatte man in Spielberg kein besonders glückliches Händchen, finde ich. Und dann ist es halt wie im Fußball: Wenn der Schiri Abseits pfeift, ist die Torchance dahin. Wie bei Wickens, der seine Siegchance verlor. Aber ihn einfach weitermachen lassen? Auch keine so tolle Idee...

Warum aber kommt es in der Boxengasse in diesem Jahr überhaupt verstärkt zu solchen Szenen? Das hat mehrere Gründe: Das Reifenreglement sorgt dafür, dass die meisten Stopps binnen einer Handvoll Runden absolviert werden. Daher herrscht meist reger Betrieb bei den Boxencrews. Und dann operieren einige Teams auch noch mit automatischen Systemen - ohne einen Lollipop-Mann.

Paul di Resta

Der eine steht noch, der andere kommt schon: Und prompt wird's etwas eng... Zoom

Wehrlein beschreibt sehr treffend, was da aus Fahrersicht passiert, nachdem das System von allen Schlagschraubern die Rückmeldung gekriegt hat, dass alle Räder festgezurrt sind: "Sobald das Auto runtergeht, gibt man als Fahrer Gas." Und dann schaut man auch nicht in den Rückspiegel, ob da vielleicht ein Konkurrent naht. Für ein "Safe Release" sollte das aber eigentlich überwacht werden.

Bei all dem darf man natürlich nicht vergessen: Nobody is perfect. Und nicht immer klappt alles wie am Schnürchen. Vielleicht hat in Spielberg auch der Zufall etwas nachgeholfen, dass es zu so vielen außergewöhnlichen Situationen gekommen ist. Und langweilig war dieses Rennen auf jeden Fall nicht! Das ist ja schon mal was. Auch wenn danach vielleicht nicht jeder richtig gut geschlafen hat...

Beste Grüße & viel Vorfreude auf das, was die Saison 2014 noch alles bereithält!

Euer


Stefan Ziegler

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