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  • 06.06.2009 12:38

  • von Britta Weddige

Abt: Von Bombardierungen und Anfängerfehlern

Christian Abts Lausitz-Analyse: Über "unglückliche Händchen", Mercedes' Tendenz zu guter Traktion und die "bösartigen Attacken" gegen Katherine Legge

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Auftakt in Hockenheim hat auch das zweite Saisonrennen auf dem EuroSpeedway Lausitz für reichlich Gesprächstoff gesorgt - und für reichlich Analysestoff für den 'Motorsport-Total.com'-Experten Christian Abt. Das begann schon in der Qualifikation am Samstag mit der unglücklichen Strategie von Audi, zu Beginn von Q1 erst einmal Regenreifen einzufahren, bevor man auf Slicks eine schnelle Runde dreht, um in Q2 zu kommen.

Titel-Bild zur News: Christian Abt

Experte Christian Abt fand in der Lausitz viel Stoff für Analysen

Von "Dummheit" würde Experte Abt aber nicht sprechen, schließlich hätten sich die Ingolstädter nur um drei Minuten verschätzt: "Dem Wetterbericht zufolge sollte es erst drei Minuten später zu regnen beginnen. Deshalb war man davon ausgegangen, dass man noch kurz den Regenreifen anfahren kann, für den Fall, dass es dann zu regnen beginnt", so Abt. Denn die Regenreifen werden von der Rennleitung bis zum Beginn der Qualifikation unter Verschluss gehalten, "und mit ganz frischen Reifen im Regen raus zu fahren, geht nicht. Deshalb muss man sie irgendwann im Qualifying anfahren."#w1#

Die Entscheidung, dies gleich zu Beginn von Q1 zu machen, habe sich dann zwar als "extrem schlecht" erwiesen, "und ich glaube, da beißt sich Dr. Ullrich jetzt noch in den Hintern", sagte Abt. "Aber wenn der Regen wirklich wie angekündigt erst nach fünf Minuten gekommen wäre, hätte es locker gereicht, um die Regenreifen anzufahren und dann auf Slicks noch schnell eine Runde zu fahren. Doch dann hat es eben angefangen zu nieseln und bei Audi hat somit das glückliche Händchen gefehlt. Es ist jedoch verdammt schwierig, bei solchen Bedingungen die richtige Entscheidung zu treffen. Audi hat nicht die richtige Entscheidung getroffen und Mercedes hat es besser gemacht."

Sonderfall Lausitz

Dass Mercedes in den Longruns schneller war als Audi und damit das Rennen auch für sich entscheiden konnte, wunderte den Experten Abt nicht. Und das habe nicht daran gelegen, dass die Audi zehn Kilogramm schwerer waren. Denn der Zeitunterschied sei wesentlich größer gewesen als die Differenz, die das Gewicht ausmacht. "Ich weiß, dass Mercedes am Lausitzring und am Norisring einfach eine Klasse für sich ist. Das muss man bei Audi einfach akzeptieren", sagte er.

"Mercedes hat seine Autos einfach mehr auf Traktion ausgelegt." Christian Abt

¿pbvin|1|1599||0pb¿Der Grund dafür sind die unterschiedlichen Philosophien beim Design der Fahrzeuge. "Mercedes hat seine Autos einfach mehr auf Traktion ausgelegt und Audi konzentriert sich mehr auf die schnelleren Rennstrecken. Solange das so bleibt, wird Mercedes auf Traktionsstrecken wie dem Lausitzring und dem Norisring immer schneller sein. Das war schon in den vergangenen Jahren so", sagte Abt. Auch in diesem Jahr habe Mercedes "wieder auf Traktionsoptimierung" gesetzt, erklärte der Experte. Wie sich damit das Kräfteverhältnis im weiteren Saisonverlauf entwickelt, müsse man noch abwarten, denn schließlich könnten andere Kurse dem Audi-Konzept wieder entgegenkommen. "Aber jetzt kommt noch der Norisring und da wird Audi auch wieder schwer kämpfen müssen", prophezeite er.

Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich hatte in der Lausitz nicht nur Sorgen mit den Wetterfröschen, sondern auch mit seinen Fahrern, die sich im hinteren Feld das Leben gegenseitig schwer machten - und sich gegenseitig ins Aus katapultierten. Experte Abt, der in seiner aktiven DTM-Zeit selbst nicht gerade als zartbesaitet und zurückhaltend galt, zeigt für diese teaminternen Fights wenig Verständnis.

"Sie wurde ja schon bösartig bombardiert und abgeschossen." Christian Abt

Gutes Zeugnis für Legge

"Dass sie gegenseitig Autorennen fahren, finde ich ja ganz okay. Es war auch toll, dass unter den Audi-Piloten freies Fahren angesagt war. Aber so manche Attacken habe ich nicht ganz gut gefunden", sagte er. Vor allem die Angriffe der Audi-Piloten auf ihre Markenkollegin Katherine Legge seien völlig überzogen gewesen. "Sie ist wirklich ein gutes Qualifiying und auch ein gutes Rennen gefahren. Aber sie wurde ja schon bösartig bombardiert und abgeschossen. Dadurch wurde ihre Radaufhängung beschädigt und sie flog ins Aus - das fand ich alles andere als toll."

Diese Attacken seien auch nicht vor dem Hintergrund verständlicher, dass die Audi-Piloten nach dem verpatzen Qualifying unbedingt nach vorn wollten. "Katherine ist super Zeiten gefahren, sie war genauso schnell wie die anderen. Sie hat niemanden aufgehalten", hat Abt beobachtet. "Wenn man am Lausitzring weiter hinten steht, dann kommt man halt nicht vorbei. Man muss eben einfach abwarten, bis sich durch den Boxenstopp oder sonst irgendwie eine Gelegenheit bietet. Aber ihr einfach in die Kiste zu fahren, ist völlig daneben. Natürlich spricht nichts dagegen, sie mal zu berühren, ab da ging es ja richtig hart zur Sache. Erst hat man sie dauernd von hinten gerammt, dann von der Seite. Das ging so lang, bis ihr das Rad abgebrochen ist."

Katherine Legge

Katherine Legge wurde von den Kollegen unsanft aus dem Rennen befördert Zoom

Es sei ihm so vorgekommen, "als ob es hieß: 'Das Mädel schießen wir jetzt ab, denn die kennt sich da vorn eh nicht aus'", so Abt. Doch die männlichen Kollegen müssten sich daran gewöhnen, dass Legge künftig öfter weiter vorn mitfährt: "Sie fährt in einem guten Team und man muss ihr jetzt auch einfach mal die Chance geben. Sie war in der Qualifikation ganz klar auf dem Level von Markus Winkelhock, Alexandre Prémat und Oliver Jarvis. Und dann gehört sie da vorn auch hin. Sie hat sich den neunten Startplatz selbst herausgefahren und hätte es um ein Haar noch in die Top 8 geschafft. Sie arbeitet hart daran, dass sie besser wird, sie wird im Team auch hart rangenommen und sie macht große Fortschritte. Und dass das Mädel dann von den eigenen Markenkollegen so abgeschossen wird, das verstehe ich nicht ganz."

Kein Verständnis für Tomczyk und Prémat

Mit Unverständnis reagierte Experte Abt auch auf die Entscheidung Martin Tomczyks, sich etwas neben seine Startbox zu stellen, um die Startampel zu sehen. Der Bayer bekam dafür eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt. Seiner Meinung nach zu Unrecht - schließlich habe er nur aus Sorge um die Sicherheit so gehandelt. "Man muss sich da eben vorher schlau machen", sagte Abt kopfschüttelnd. "Man kennt die Problematik am Lausitzring seit vielen Jahren: Ab Startplatz 15 sieht man die Ampel nicht mehr. Dann muss man sich eben mit seinem Ingenieur in Verbindung setzen, der einem per Funk sagt, wenn die Ampel umschaltet. Alle anderen da hinten sind ja so losgefahren. Aber man kann sich doch nicht einfach außerhalb der Startbox hinstellen... Aber vielleicht war er noch auf 200, weil er in der Startaufstellung hinten stehen musste. Doch gerade in solchen Situationen muss man Ruhe bewahren."


Fotos: DTM am Lausitzring


Kopfschütteln löste bei Abt auch Alexandre Prémats Pirouette ins Kiesbett aus, die das Rennen für den Franzosen beendet. "Einen Donut zu machen, wenn man sich zurückdrehen will und dann ins Kiesbett zu rutschen - das war wirklich ein dummer Anfängerfehler", kommentierte der Experte. Auf alle Fälle gibt es bei Audi viel Gesprächsbedarf - solche Fehler und vor allem die teaminternen Rammstöße werden wohl noch näher diskutiert werden. "Denn es ist schon recht daneben, sich unter Markenkollegen so in die Kisten zu fahren. Gegenüber der Konkurrenz ist es zwar auch nicht ganz so akzeptabel, aber wenn man das unter Markenkollegen macht..."

Martin Tomczyk

Martin Tomczyk erlebte in der Lausitz ein rabenschwarzes Wochenende Zoom

Begeistert hat den Experten dagegen die neuerliche Konkurrenzfähigkeit der Jahreswagen. Die Gewichtseinstufung sei in diesem Jahr gelungen, erklärte er: "Es ist toll: Die Jahreswagen können im Feld der Neuwagen mitfahren. Die Neuwagen gewinnen ja trotzdem noch, aber die Fahrer müssen eben auch richtig Gas geben. Was das angeht, war das Rennen am Lausitzring für mich zum Zuschauen als Experte und als Kenner sehr gut."

Kritik an Übertragung

Aber: "Das einzige, was mich komplett enttäuscht, ist die 'ARD'", sagte Abt, der das Rennen aus terminlichen Gründen nicht direkt an der Strecke verfolgen konnte, sondern es sich im TV ansah. "Bei dieser Übertragung blickt kein Mensch durch, wenn er von Motorsport keine Ahnung hat", kritisierte er. Was ihn besonders ärgert: "Es kommt nur noch rüber, dass Mercedes gegen Audi fährt - und das war's. Die beteiligten Fahrer und Teams interessieren gar nicht, es kam nicht ein einziger Satz über das Rosberg-Team oder das Persson-Team oder ähnliches - es wird nur über Mercedes und Audi gesprochen."

"Bei dieser Übertragung blickt kein Mensch durch, wenn er von Motorsport keine Ahnung hat." Christian Abt

Die DTM biete viele spannende Aspekte wie zum Beispiel den Kampf der Teams gegeneinander, erklärte Abt. Genau das müsse dem Zuschauer vor dem Fernseher vermittelt werden, um die Faszination der DTM in ihrem vollen Umfang dazustellen. "Ich habe das Rennen mit Freunden gesehen, die sich im Motorsport nicht auskennen. Die haben nach 20 Minuten das Interesse verloren, weil sie sagten, nur Mercedes gegen Audi, das sei ihnen nicht spannend genug", gab Abt zu bedenken. "Ich selbst kenne mich ja aus und wusste deshalb, worauf ich achten muss, welche Aspekte das Rennen spannend gemacht haben. Man muss den 'Laien' besser erklären, warum welcher Ingenieur welche Entscheidung trifft und warum die Situation auf der Strecke jetzt gerade so ist, wie sie ist. Da war ich beim Lausitzrennen schon sehr enttäuscht."