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  • 28.06.2016 20:19

Die Autopreis-Steigerungen: Wahrheit oder Legende?

Wir beleuchten, ob sich die Autopreise der letzten 30 Jahre wirklich gefühlt schneller nach oben entwickelt haben als der allgemeinen Lebenshaltungskosten-Index

(Motorsport-Total.com/Auto-Medienportal) - Wahrheit oder Legende? - Die Autopreise haben sich in den letzten 30 Jahren gefühlt viel schneller nach oben entwickelt, als die Steigerung des Index der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Der steht laut Statistischem Bundesamt genau fest. Zwischen 1986 und 2016 ist dieser Index um gut 86 Prozent gestiegen. Mithin hat er sich somit fast verdoppelt. Im gleichen Zeitraum haben sich die Neupreise für Autos gefühlt vervielfacht. Alles Legende!

Titel-Bild zur News: Opel Kadett E

Opel Kadett E Zoom

Besonders in den Segmenten unterhalb der Mittelklasse verlief die Kurve des Preisindex wesentlich flacher. Mit dem neuen Tipo tritt Fiat nicht nur erklärtermaßen gegen die Preissteigerung an, gegen den ersten Tipo von 1988 ist der Neue geradezu ein Schnäppchen. Das gilt auch für den Vergleich mit so manchem Wettbewerber.

1986 feierte das Automobil seinen 100. Geburtstag. Die Autoindustrie kriselte im Windschatten der zweiten Ölkrise Anfang der Achtziger. Europäische und amerikanische Hersteller verloren Marktanteile an die Japaner, die sich zur Autonation Nummer 1 emporgeschwungen hatten und Deutschland wurde bei der Fußball-WM in Mexiko Vizeweltmeister. Zu den wichtigsten Autoneuheiten des Jahres zählten der Opel Omega, der Kleinwagen Citroen AX, der Fiat Croma, der Saab 9000 oder der Ferrari GTO. Ein gut ausgestattetes Auto der Kompaktklasse kostete um die 20.000 D-Mark.

Luxuslimousinen viermal so teuer wie vor 30 Jahren

Zum Beispiel ein fünftüriger Opel Kadett E in der gehobenen GLS-Ausstattung mit 74 kW / 100 PS und Dreiwege-Katalysator laut Preisliste vom März 1986 genau 21.743 D-Mark (11 117,01 Euro). Fiat stellte Anfang 1988 den ersten Tipo als Nachfolger des Ritmo vor und verlangte für den 1600 i.e., ebenfalls mit fünf Türen und Kat 21.600 D-Mark (11.043,90 Euro). Beim neuen Tipo steht ein Fünftürer mit 70 kW / 95 PS ab 14.990 Euro (29.317,89 D-Mark) in der Preisliste.

In der Topversion "Lounge" kostet die kompakte Limousine 16.690 Euro (32 643,80 D-Mark). Ein neuer Astra tritt als Benziner mindestens mit 85 kW / 115 PS an, was 1986 dem Top-Modell GSI entsprach. Dafür ruft Opel in der Basisausstattung 16.990 Euro (33 329,55 D-Mark) auf, in der Top-Ausstattung "Exklusive" 21.450 Euro (41 952,55 D-Mark). Somit ist ein Tipo innerhalb von drei Jahrzehnten zwischen 35,7 und 51,1 Prozent teurer geworden, ein Opel Kadett/Asta zwischen 53,3 und 92,8 Prozent. Also deutlich Zur Erinnerung: Der allgemeine Preisindex stieg im selben Zeitraum um gut 86 PS.

In anderen Fahrzeugklassen sieht das anders aus. Bei den Luxuslimousinen hat die Preissteigerung die der Lebenshaltungskosten um ein Vielfaches übertroffen. Dazu ein Beispiel: Mercedes verlangte 1981 für sein Topmodell 500 SE genau 52.681 D-Mark (26.935,37 Euro). In Euro wären das rund 23 Prozent der heutigen 111.027 Euro (217.159 D-Mark) für den S 500 4Matic. Die Vervierfachung des Preise mag noch der Umstand ein wenig relativieren, dass der 500 SE 1981 mit Kat 170 kW / 231 PS antrat. Ohne Allradantrieb und mit einer Ausstattung, die sogar eine Klimaanlage nur gegen Aufpreis bot. 2016 leistet ein S 500 immerhin 355 kW / 455 PS.

Mercedes-Benz S-Klasse, 1979-1991

Mercedes-Benz S-Klasse, 1979-1991 Zoom

Kompaktklasse trägt zur Preisentwicklung bei

In der Kompaktklasse trägt die Relativierung der Angebote noch wesentlich auffälliger zur Senkung der tatsächlichen Preisentwicklung bei. Das beginnt bei den Außenmaßen. Die Kompakten aus den Achtzigern traten in einem Format an, das heute kaum für Kleinwagen reicht. Der Erste Fiat Tipo war 3,96 Meter lang, 1,7 breit und 1,45 hoch.

Heute erstreckt sich ein fünftüriger Tipo über 4,37 Meter, ist 1,72 Meter breit und 1,50 hoch. Einen Radstand von 2,64 Meter zu finden, erforderte vor 30 Jahren die Erweiterung des Fahndungsrasters auf die Mittelklasse. Ähnlich sieht es bei Opel aus. 1986 betrugen Länge, Breit und Höhe beim Kadett E 4,0, 1,66, beziehungsweise Meter. Der Astra bietet bei den gleichen Eckdaten: 4,42, 1,81 und 1,5 Meter.

Fiat Tipo 2016

Fiat Tipo 2016 Zoom

Noch günstiger fällt die Preissteigerungsrate beim Streifzug durch die Ausstattungslisten aus. Vieles was schon vor 30 Jahren wünschenswert und hübsch war und heute als Basismitgift selbstverständlich ist, kostete Aufpreis. Ein großer Teil der heute selbstverständlichen Serienausstattung gab es in den Achtzigern gar nicht. Allen voran für die Sicherheit. Bei Airbags steht es zwischen Tipo I und Tipo II 0:6. ABS, ESP oder Bremsassistent waren bei ersten Tipo wie beim Kadett E (und natürlich allen anderen Fahrzeugen der Klasse) vollkommen unbekannt. Somit lässt sich nicht einmal eine theoretische Preissteigerung für diese Details erheben.

Beim Begriff "Rabatt" zuckten viele Händler verständnislos mit den Schultern

Für einen Basis Tipo sind heute Klimaanlage, Radio mit MP3-Player, elektrisch verstellbare, beheizbare Außenspiegel, Zentralverriegelung verstellbarer Lenkrad oder ein höhenerstellbarer Fahrersitz ebenso selbstverständlich wie Zwölfvolt-Steckdose oder eine geteilt umklappbare Rücksitzbank. Die Basisausstattung eines Astra ist praktisch deckungsgleich. Die Rücksitzbank ließ sich Fiat 1988 beispielsweise mit 280 Mark extra bezahlen, den höhenverstellbaren Fahrersitz mit 320 D-Mark. Die 14-Zöller durften sich nicht einmal gegen Aufpreis über Alu-Felgen schmiegen.

Beim Tipo Lounge sind heute 16-Zoll-Alufelgen ebenso serienmäßig, wie Klimaautomatik, Touchscreen-Audiosystem mit Siebenzoll-Bildschirm und Bloototh, Tempomat, Licht- und Regesensor oder Nebelscheinwerfer mit Abbiegefunktion. Zum Vergleich noch ein Blick in die Opel-Liste: Dort schmückt das "Exklusiv-Paket" unter anderem mit Sitzheizung, LED Fahrlicht, Parkpilot, 17-Zöller-Leichtmetallräder oder rundum elektrische Fensterheber.

Fiat Tipo, 1988-1989

Fiat Tipo, 1988-1989 Zoom

Und schließlich senkt ein weiterer Faktor die reale Preissteigerungsrate deutlich. Vor 30 Jahren verbreiteten die Anbieter die Lockstoff von Sonderaktionen noch wesentlich zurückhaltender als heute. Und auf den Begriff "Rabatt" zuckten die meisten Händler verständnislos mit den Schultern, bevor sie zähneknirschend die obligatorischen (eigentlich aufpreispflichtigen) Gummimatten heraus rückten.

Um den neuen Tipo im harten Wettbewerb der Kompaktklasse einen breiteren Freundeskreis zuzuführen, spendiert Fiat zur Einführung 2.000 Euro. Damit ist der dann 12.990 Euro teure Basis Tipo mit 95 PS real und ausstattungsbereinigt mit umgerechnet 25.403 D-Mark nicht teurer als sein 90-PS-Ahn vor drei Jahrzehnten. Eher sogar günstiger.