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  • 28.06.2017 14:50

  • von Roman Wittemeier

Le Mans der Zukunft: DPi oder GTE als Rettungsanker?

Die LMP1-Klasse nur dünn besetzt, kaum Aussicht auf weitere Werke und eine Technologie, die laut Toyota-Boss keine Rennreife besitzt: GTE neue Topklasse?

(Motorsport-Total.com) - Durch die Vorstellung des LMP1-Regelwerks für eine vierjährige Phase ab 2020 hat sich die Situation in der Topkategorie der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) nicht verbessert. Von Neueinsteigern keine Spur, Peugeot hat offenbar angesichts des Zukaufs der Marke Opel durch den französischen Konzern PSA (Peugeot, Citroen, DS) zurzeit ganz andere Sorgen und Baustellen. Eine Comeback-Ankündigung blieb bisher aus - und ist auch nicht in Sicht.

Titel-Bild zur News: Chip Ganassi, Joey Hand, Tony Kanaan

Ford gegen Ferrari, Porsche, Corvette, Aston Martin und BMW: Die GTE bommt Zoom

Nominell muss PSA 1,3 Milliarden Euro für Opel auf den Tisch legen. Brancheninsider gehen jedoch davon aus, dass die Übernahme inklusive aller "Nebengeräusche" - wie zum Beispiel umfassender Umstrukturierungen - rund fünf Milliarden Euro kosten wird. Mit Betriebsräten wird um Beschäftigungsgarantien und Standortsicherung gerangelt. Da macht sich ein millionenschweres Investment in den Motorsport nicht allzu gut.

Es bleibt also auf absehbare Zeit bei einem Duell an der Spitze zwischen Toyota und Porsche. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Sollte Porsche tatsächlich ab 2018 alle Aktivitäten in der WEC auf das GTE-Programm mit dem 911 RSR konzentrieren, dann werden die Japaner zu Alleinunterhaltern in der LMP1-H-Kategorie für Werksautos mit Hybridantrieben. Und das in einer Phase, in der Akio Toyoda die Technologie in der LMP1-Klasse für überzogen und nicht reinnreif hält.

Hybridtechnik nicht reif für Le Mans: Was passiert dann 2020?

"Während die durch den Rennsport entwickelte Hybridtechnologie ihre Möglichkeiten in den 6-Stunden-Rennen darstellen kann, ist es jedoch denkbar, dass sie noch nicht bereit ist für eine lange Distanz über 24 Stunden", so der japanische Konzernboss in einem Statement nach dem 24-Stunden-Rennen in Le Mans 2017. Toyota hatte alle drei Fahrzeuge aus dem Kampf um den Sieg verloren. Zweimal waren technische Gebrechen die Ursache, auch an beiden Porsches gab es Zuverlässigkeitssorgen.

2014, 2015 und 2016 waren solche Gebrechen zwar auch an manchen Stellen aufgetreten, aber niemand hat sich in jenen Jahren derart geäußert, wie es Toyoda in seinem Statement nun tat. Man sollte meinen, dass die Hybridsysteme über die Jahre eher stabiler als fragiler geworden sind - zumal das Regelwerk in diesem Bereich äußerst stabil geblieben ist. Die zahlreichen Probleme mit den LMP1-Autos der Hersteller haben vielmehr eine andere Ursache: extremer Wettkampf zwischen Porsche und Toyota.

Ab 2020 sollen das Engagement in der LMP1-H-Kategorie kostengünstiger und die Fahrzeuge weniger kompliziert werden. Die Vorgabe für Hybride bleiben jedoch gleich (maximal zwei Systeme, höchstens 8MJ), hinzu kommen der Plug-in-Hybrid samt Schnelllade-Station, das rein elektrische Fahren über einen Kilometer nach einem Boxenstopp und die Zulassung von Biotreibstoffen. Weniger komplex wird die Aufgabe in Le Mans aus technischer Sicht dadurch nicht. Das Gegenteil ist der Fall.


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Während die Gerüchte um einen LMP1-Abschied von Porsche immer mehr Fahrt aufnehmen und das Toyota-Projekt vom Vorstand bislang nur bis Ende 2019 genehmigt wurde, muss die Frage erlaubt sein: Wer wird 2020 unter dem neuen Reglement überhaupt fahren? Nach aktuellem Stand niemand. "Dann ist die WEC tot", meint ein erfahrener Chef eines WEC-Privatteams. "Lasst es uns dann machen wie früher. Eine LMS mit fünf oder sechs Rennen in Europa und dem Highlight in Le Mans. Das ist besser finanzierbar und kaum weniger spektakulär."

DPi oder GTE im Kampf um Le-Mans-Gesamtsiege

Während ACO-Präsident Pierre Fillon, Sportdirektor Vincent Beaumesnil und WEC-Promoter Gerard Neveu das künftige Regelwerk verteidigen und eine rosige Zukunft malen, ist man an anderer Stelle besorgter. "In Le Mans gab es immer schon Phasen ohne große Hersteller-Beteiligung. Vielleicht beginnt jetzt bald wieder solch ein Abschnitt", sagt Norbert Singer im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der ehemalige Porsche-Ingenieur, der an 16 von 19 Gesamtsiegen der Stuttgarter an der Sarthe direkt beteiligt war, ist Berater des ACO.

"Dem Event haben solche Phasen kaum geschadet", erzählt der frühere Porsche-Rennleiter aus seinem großen Erfahrungsschatz. Der 77-Jährige denkt angesichts der mäßigen Aussichten in der LMP1-H-Kategorie bereits an die Zukunft. "Eine Lösung wäre beispielsweise ein Einheits-Hybridsystem. Es gibt mehrere Anbieter, die entsprechende Systembaukästen liefern könnten. Vielleicht wird aber auch aus der LMP2-Klasse die LMP1-B - wie auch immer."

Cadillac und Nissan DPi

In den USA äußerst beliebt: Die DPi-Klasse (hier: Cadillac und Nissan) Zoom

"Die DPi ist womöglich ein Ansatz, um Herstellern ohne hohe Kosten zu ermöglichen, den Fahrzeugen ein 'eigenes Gesicht' zu geben. Der Nachteil ist allerdings, dass die IMSA entschieden hat, dort verschiedene Motoren zu erlauben. Das will man beim ACO nicht", erklärt Singer. Die so oft als "fabelhaft" dargestellte Zusammenarbeit von ACO und IMSA funktioniert nicht in allen Bereichen. Da die Amerikaner bei der LMP2 (DPi) einen anderen Weg eingeschlagen haben, ist die Kompatibilität nicht vorhanden.

"Es gab auch schon oftmals Jahre, da haben die GT-Autos in Le Mans den Gesamtsieg eingefahren", meint Singer mit einem verschmitzten Lächeln. Durch die derzeit involvierten Hersteller Ferrari, Ford, Chevrolet, Porsche und Aston Martin sowie das Comeback von BMW 2018 und weitere Hersteller mit Interesse an einem Einstieg 2019 wäre der sportliche Wettbewerb perfekt. Aber: Was passiert dann mit der LMP2-Klasse? Die 2017 brandneuen Fahrzeuge sind für vier Jahre homologiert. Dieser Zeitraum ist für die privaten Teams die Grundlage, um aus einem Engagement einen Business-Case machen zu können.